Das Bundeskartellamt (BKartA) hat am 21.6.2023 seine vorläufige rechtliche Einschätzung zu Googles Praktiken im Zusammenhang mit den Google Automotive Services an Alphabet Inc., Mountain View, USA, und Google Germany GmbH, Hamburg, übersandt. Nach dem jetzigen Verfahrensstand beabsichtigt das Bundeskartellamt unter Anwendung der neuen Vorschriften für Digitalkonzerne (§ 19a GWB), Google verschiedene wettbewerbsgefährdende Verhaltensweisen zu untersagen.
Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Eine Reihe von Googles Praktiken bei der Lizensierung von Diensten für Infotainmentsysteme in Fahrzeugen sind nach derzeitiger Auffassung nicht mit den neuen Regeln des § 19a GWB vereinbar. Wir sehen es insbesondere kritisch, wenn Google Dienste für Infotainmentsysteme nur gebündelt anbietet, weil sich dadurch die Chancen der Wettbewerber verringern, konkurrierende Dienste einzeln zu vertreiben.“
Die Google Automotive Services sind ein Produktbündel, das Google Fahrzeugherstellern zur Lizensierung anbietet. Es umfasst den Kartendienst Google Maps, eine Version des App-Stores Google Play und den Sprachassistenten Google Assistant. Als Betriebssystem wird eine von Google entwickelte Variante von Android, das Android Automotive Operating System (AAOS) verwendet. Die Kombination der drei Dienste mit AAOS, die GAS Infotainment Plattform, stellt ein im Wesentlichen vollständiges Infotainmentsystem für Fahrzeuge dar. Es unterstützt Fahrer und Fahrerinnen bei der Navigation, gewährt Zugang zu Medieninhalten, erlaubt die Nutzung von Sprachtelefonie- und Messengerdiensten und ermöglicht die sprachgestützte Steuerung von Fahrzeugfunktionen. Google bietet Fahrzeugherstellern die drei Dienste grundsätzlich nur als Bündel an und macht weitere Vorgaben für die Präsentation dieser Dienste im Infotainmentsystem, damit diese bevorzugt genutzt werden.
Nach vorläufiger Einschätzung des Bundeskartellamtes erfüllt Googles Verhalten die Voraussetzungen mehrerer Tatbestände des neugeschaffenen § 19a GWB, auf dessen Grundlage das Bundeskartellamt die Adressaten der Vorschriften dazu verpflichten kann, die jeweiligen Praktiken zu beenden, sofern sie nicht sachlich gerechtfertigt sind.
So könnte die Bündelung von Diensten eine erhebliche Gefahr für den Wettbewerb darstellen, weil Google damit seine Machtposition auf noch nicht vermachteten Märkte ausweiten könnte. Weiterhin könnte die mit einigen Fahrzeugherstellern vereinbarte Beteiligung an Werbeeinnahmen aus der Nutzung des Google Assistant unter der Bedingung, dass ausschließlich der Google Assistant als Sprachassistent in der GAS Infotainment Plattform installiert wird, problematisch sein. Nach vorläufiger Einschätzung des Bundeskartellamtes könnten darüber hinaus vertragliche Regelungen, mit denen Google GAS-Lizenznehmer dazu verpflichtet, die Google-Dienste als Standard einzustellen bzw. sie in der Bildschirmanzeige vor anderen Anwendungen darzustellen, den Tatbestand der Behinderung beim Marktzugang erfüllen. Derartige Voreinstellungen bergen die Gefahr, dass alternative Dienste kaum wahrgenommen und dementsprechend wenig genutzt werden. Google hat solche Praktiken bereits bei mobilen Endgeräten erfolgreich zum Ausbau bzw. zur Absicherung seiner Marktposition eingesetzt. Schließlich könnte Google nach vorläufiger Einschätzung des Bundeskartellamtes die Interoperabilität ihrer Dienste in der GAS Infotainment Plattform mit Diensten Dritter erschweren bzw. verweigern. Dies führt dazu, dass die Funktionen der von Googles Wettbewerbern bereitgestellten Dienste, z.B. eines Sprachassistenten zur Steuerung der Navigationsfunktion in Google Maps, nicht oder nur eingeschränkt nutzbar sind.
Google hat jetzt Gelegenheit, zu den Vorwürfen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Stellung zu nehmen.
Parallel geht das Bundeskartellamt weiterhin der Frage nach, inwieweit Googles Bedingungen zur Nutzung der Google Maps Plattform Untersagungstatbestände des § 19a Abs. 2 GWB erfüllen (vgl. Pressemitteilung vom 21.6.2022) und zieht nach vorläufiger Auffassung eine Aufhebung der Einschränkungen von Google in Betracht, Kartendienste der Google Maps Plattform mit Kartendiensten Dritter zu kombinieren. Die Einschränkungen könnten den Wettbewerb bei Anwendungen im Bereich von Kartendiensten, wie sie z. B. von Logistikunternehmen, Fahr- und Lieferdiensten verwendet werden, behindern. Sie könnten sich auch negativ auf den Wettbewerb bei Diensten für Infotainmentsysteme in Fahrzeugen auswirken, weil Anbietern von Kartendiensten dadurch die Entwicklung leistungsfähiger Alternativen zu Google Maps erschwert wird. Das Bundeskartellamt hat die Verfahrensbeteiligten dazu angehört und wertet derzeit die Stellungnahmen aus.
Das Bundeskartellamt kooperiert im Verfahren eng mit der Europäischen Kommission. Die Europäische Kommission ist derzeit mit der Umsetzung des Anfang Mai des Jahres in Kraft getretenen Digital Markets Act (DMA) befasst, mit dem große Online-Plattformen einer besonderen Aufsicht unterworfen werden.
(BKartA, PM vom 21.6.2023)