Das BAG hat mit Urteil vom 31.3.2022 – – 8 AZR 207/21 – wie folgt entschieden:
1. Verpflichtet sich der Arbeitgeber in einem Arbeitsvertrag über eine Beschäftigung eines deutschen Arbeitnehmers im Ausland, die im jeweiligen Ausland auf das Gehalt anfallenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zu tragen, ergibt sich allein daraus keine Nettolohnabrede des Inhalts, dass der Arbeitgeber im Innenverhältnis sämtliche Steuern und Sozialversicherungsbeiträge trägt, auch soweit sie in Deutschland anfallen. Eine Nettolohnabrede ist die Ausnahme und muss deshalb einen entsprechenden Willen klar erkennen lassen (Rn. 81).
2. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist eine in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfende Sachurteilsvoraussetzung. Aus § 545 Abs. 2 ZPO folgt nichts Abweichendes. Diese Bestimmung bezieht sich trotz ihres weit gefassten Wortlauts nicht auf die internationale Zuständigkeit (Rn. 15).
3. Der Begriff der „Zivil- und Handelssachen“ iSv. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 ist verordnungsautonom auszulegen. Um festzustellen, ob ein Rechtsgebiet in den Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 fällt, müssen das zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehende Rechtsverhältnis bestimmt und die Grundlage der erhobenen Klage sowie die Modalitäten ihrer Erhebung geprüft werden. Die Erfordernisse, das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten und es im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege zu vermeiden, dass in den Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen, verlangen eine weite Auslegung des genannten Begriffs der „Zivil- und Handelssachen“ (Rn. 22).
4. Es spricht viel dafür, dass die Vereinbarung einer ausschließlichen Zuständigkeit nach Art. 23 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 dann wirksam ist, wenn durch Art. 20 ff. der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 kein Gerichtsstand begründet wird, der den betroffenen Arbeitnehmern entzogen werden könnte. In einem solchen Fall kann den Arbeitnehmern nämlich nicht der durch die Zuständigkeitsregelungen nach der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vermittelte Schutz genommen werden (Rn. 36).
5. Nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. e der Rom-I-Verordnung sind Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Rom-I-Verordnung ausgenommen. Teilweise wird insoweit jedoch eine entsprechende Anwendung der Vorschriften der Rom-I-Verordnung befürwortet. Nach anderer Auffassung soll sich die Auslegung von Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem für den Hauptvertrag, hier den Arbeitsvertrag im Übrigen anwendbaren Recht (Vertragsstatut) richten, das sich seinerseits grundsätzlich nach den Regelungen der Rom-I-Verordnung in unmittelbarer Anwendung bestimmt. Ferner könnte zu erwägen sein, dass die Auslegung von Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem am Ort des angerufenen Gerichts geltenden Recht (lex fori) vorzunehmen ist. Vor dem Hintergrund der in Art. 25 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbs. der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 getroffenen Regelung, wonach die durch Vereinbarung gewählten Gerichte zuständig sind, „es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell ungültig“, könnte einiges dafür sprechen, dass auch die Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Recht des Staates vorzunehmen ist, in dem sich das oder die prorogierten Gerichte befinden (Rn. 39).
6. Nach Art. 8 Abs. 1 Satz 2 der Rom-I-Verordnung darf die Rechtswahl der Parteien nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch Bestimmungen gewährt wird, von denen nach dem Recht, das nach Art. 8 Abs. 2 bis 4 der Rom-I-Verordnung mangels einer Rechtswahl auf den Vertrag anzuwenden wäre, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf. Demnach sind in einem ersten Schritt das mangels einer Rechtswahl anzuwendende Recht und die Vorschriften, von denen nach diesem Recht nicht abgewichen werden darf, zu ermitteln. Anschließend ist in einem zweiten Schritt das Schutzniveau, das dem Arbeitnehmer nach diesen Vorschriften zukommt, mit dem des von den Parteien gewählten Rechts zu vergleichen. Sofern das in diesen Vorschriften vorgesehene Schutzniveau einen besseren Schutz als das gewählte Recht gewährleistet, sind diese Vorschriften anzuwenden. Nach alledem ist ein Günstigkeitsvergleich vorzunehmen zwischen den zwingenden Bestimmungen des objektiv anwendbaren Rechts, die dem Arbeitnehmer Schutz gewähren, und denen der gewählten Rechtsordnung (Rn. 44).
(Orientierungssätze)