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BAG: Aussetzung der Verhandlung – anhängiges Vorabentscheidungsverfahren mit identischer Rechtsfrage

Das BAG hat mit Beschluss vom 28.7.2021 – 10 AZR 397/20 (A) – entschieden:

1. Die Vorschrift des § 148 Abs. 1 ZPO ist einer entsprechenden Anwendung zugänglich. Ein Rechtsstreit kann deshalb auch ausgesetzt werden, wenn in einem anderen Verfahren kein Rechtsverhältnis, sondern eine Rechtsfrage zu klären ist, die für die Entscheidung des Rechtsstreits präjudiziell ist (Rn. 19 ff.).

2. Klärt der Gerichtshof der Europäischen Union, wie Unionsrecht auszulegen ist, sind an seine Entscheidung unmittelbar nur die Gerichte der Mitgliedstaaten gebunden, die mit dem Ausgangsverfahren befasst sind. Der Entscheidung des Gerichtshofs kommt jedoch präjudizielle Wirkung für andere Rechtsstreitigkeiten zu. Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV und das Recht auf wirksamen Rechtsschutz aus Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verpflichten die nationalen Gerichte, dafür zu sorgen, dass das Unionsrecht in seiner Interpretation durch den Gerichtshof voll wirksam wird (Rn. 36 f.).

3. In entsprechender Anwendung von § 148 Abs. 1 ZPO kann ein Rechtsstreit daher ausgesetzt werden, wenn die Auslegung von Unionsrecht entscheidungserheblich ist und zu dieser Frage bereits ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union anhängig ist (Rn. 28 ff.).

4. Eine solche Aussetzung kann aus Gründen der Prozessökonomie gerechtfertigt sein. Das ist ua. der Fall, wenn das nationale Gericht annehmen darf, dass dem Gerichtshof durch ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen keine breitere Entscheidungsgrundlage verschafft wird. Dazu muss es die Parteien grundsätzlich anhören und deren Argumente bei der Entscheidung über die Aussetzung berücksichtigen (Rn. 38 f.).

5. Die Parteien werden durch eine Aussetzung, die im Hinblick auf ein bereits anhängiges Vorabentscheidungsverfahren angeordnet wird, grundsätzlich nicht in ihren Verfahrensgrundrechten verletzt. Ihre Ansprüche auf rechtliches Gehör und auf effektiven Rechtsschutz werden nicht beeinträchtigt. Die Parteien können ihren Rechtsstandpunkt im Rahmen der Anhörung vorbringen. Ein Vorabentscheidungsersuchen ist in ihrem Rechtsstreit zudem weiterhin möglich (Rn. 42 ff.).

(Orientierungssätze)