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BAG: Versorgungszusage – verfallbare Anwartschaft – Betriebsübergang – Insolvenz

Das BAG hat mit Urteil vom 26.1.2021 – 3 AZR 878/16 – entschieden:

1. Die besonderen Verteilungsgrundsätze des Insolvenzrechts gehen § 613a BGB als Spezialregelungen auch für noch nicht gesetzlich unverfallbare Anwartschaften vor. Der Erwerber haftet nicht, wenn diese für die Zeit vor der Insolvenzeröffnung entstanden sind. Der Arbeitnehmer kann seine Ansprüche als aufschiebend bedingte Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anmelden.

2. Arbeitnehmern muss als Mindestschutz ihrer Forderungen aus Direktzusagen auf betriebliche Altersversorgung ein Anspruch nach Art. 3 Abs. 4 Buchst. b Richtlinie 2001/23/EG iVm. Art. 8 Richtlinie 2008/94/EG gewährt werden. Das ist in Deutschland gesichert, da das Unionsrecht den Arbeitnehmern einen unmittelbaren Anspruch gegen den PSV einräumt.

3. Der PSV ist auch eintrittspflichtig, wenn die vom Arbeitnehmer erworbene Anwartschaft bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens gesetzlich noch nicht unverfallbar ist. Er ist zur Garantie des insolvenzrechtlichen Mindestschutzes nach Art. 8 Richtlinie 2008/94/EG verpflichtet.

(Leitsätze)

1. Der Erwerber eines Betriebs tritt nach § 613a Abs. 1 BGB in die durch Betriebsvereinbarung begründeten Versorgungsversprechen übernommener Arbeitnehmer ein und wird Schuldner ihres Versorgungsversprechens und der sich daraus ergebenden Verpflichtungen auf Gewährung einer Betriebsrente bei Eintritt eines Versorgungsfalls (Rn. 35).

2. § 613a BGB gilt bei einer Betriebsveräußerung in der Insolvenz nur eingeschränkt: Die besonderen Verteilungsgrundsätze des Insolvenzrechts gehen § 613a BGB als Spezialregelungen für bereits entstandene Ansprüche, aber auch für gesetzlich verfallbare Anwartschaften vor. Der Erwerber haftet nicht hinsichtlich Anwartschaften die für die Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind. Dazu gehört auch eine bereits vom Arbeitnehmer erdiente, aber noch nicht gesetzlich unverfallbare Anwartschaft (Rn. 37 ff.).

3. Beim Arbeitnehmer verbleibt die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits erdiente, aber noch nicht gesetzlich unverfallbare Anwartschaft, die damit auch nicht durch den Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) insolvenzgeschützt ist; sie geht nicht kraft Gesetzes auf ihn über. Der Arbeitnehmer kann diese Anwartschaft als aufschiebend bedingte Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anmelden. Aufgrund § 191 Abs. 1, § 198 InsO ist der auf diese Forderung entfallende Anteil nicht an den Arbeitnehmer auszuzahlen, sondern zunächst zu hinterlegen; die Auszahlung kann erst mit dem Eintritt des Versorgungsfalls des Arbeitnehmers erfolgen (Rn. 49 ff.).

4. Dieser begrenzten Haftung des Erwerbers stehen unionsrechtliche Bedenken nicht entgegen. Arbeitnehmern muss allerdings als Mindestschutz ihrer Forderungen aus Direktzusagen auf betriebliche Altersversorgung ein unmittelbarer Anspruch nach Art. 3 Abs. 4 Buchst. b Richtlinie 2001/23/EG iVm. Art. 8 Richtlinie 2008/94/EG gewährt werden. Einem ehemaligen Arbeitnehmer ist dabei eine Entschädigung zu garantieren, die mindestens der Hälfte seiner in einer betrieblichen Zusatzversorgungseinrichtung erworbenen Ansprüche entspricht. Außerdem ist eine offensichtlich unverhältnismäßige Kürzung der Leistungen der betrieblichen Altersversorgung unzulässig, die die Fähigkeit des Betroffenen, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, schwerwiegend beeinträchtigt (Rn. 64 ff.).

5. Der Gerichtshof der Europäischen Union verlangt für diesen Mindestschutz keine konkrete gesetzliche Bestimmung im nationalen Recht. Es genügt, wenn der Mitgliedstaat im Ergebnis eine Absicherung gewährt, die dem des Art. 8 Richtlinie 2008/94/EG entspricht – auch unter seiner unmittelbaren Anwendung. Ein solcher Schutz besteht nach nationalem Recht: Der PSV ist jedenfalls bei Direktzusagen als dem Staat gleichgestellt iSv. Art. 8 Richtlinie 2008/94/EG anzusehen, da sich seine Aufgaben tatsächlich und rechtlich auf die Insolvenzsicherung von unmittelbaren Versorgungszusagen der Arbeitgeber nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG erstrecken. Er ist deshalb unmittelbar für den unionsrechtlich begründeten Mindestschutz eintrittspflichtig (Rn. 74ff.).

6. Diese Grundsätze gelten auch, wenn die vom Arbeitnehmer erworbene Anwartschaft bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens gesetzlich noch nicht unverfallbar und der PSV insoweit nach nationalem Recht nicht eintrittspflichtig ist. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat zwar erkannt, dass ein Mitgliedstaat nicht daran gehindert ist, bei Anwartschaftsrechten solche zu unterscheiden, die nicht unverfallbar sind. Allerdings bezieht der Gerichtshof diese Ansprüche in den Mindestschutz des Art. 8 Richtlinie 2008/94/ERG ein und verpflichtet den Mitgliedstaat – und damit den PSV – zur Garantie des insolvenzrechtlichen Mindestschutzes nach Art. 8 Richtlinie 2008/94/EG (Rn. 83 f.).

(Orientierungssätze)