BAG, Urteil vom 12.11.2024 – 9 AZR 205/23
1. Nach § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB ist weisungsgebunden, wer seine Tätigkeit nicht im Wesentlichen frei gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers korrespondiert dabei mit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers nach § 611a Abs. 1 Satz 2 BGB, das Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen kann (Rn. 28 und 29).
2. Die Weisungsgebundenheit und die ebenfalls in § 611a Abs. 1 Satz 1 BGB genannte Fremdbestimmung sind eng miteinander verbunden. Eine weisungsgebundene Tätigkeit ist in der Regel zugleich fremdbestimmt. Das Merkmal der Fremdbestimmung kann allerdings im Hinblick auf die Eingliederung des Dienstverpflichteten in die Arbeitsorganisation des Dienstgebers eigenständige Bedeutung erlangen (Rn. 27).
3. Räumt der Vertragspartner dem Dienstnehmer das Recht ein, Dritte in die Leistungserbringung einzubinden, ist dies ein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit (Rn. 29).
4. Ein Rechtsverhältnis ist nur dann als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren, wenn die Bindung an Weisungen und die Fremdbestimmung bei der nach § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB gebotenen Gesamtbetrachtung aller Umstände im Einzelfall einen Grad an persönlicher Abhängigkeit des Dienstverpflichteten erreichen, der für ein Arbeitsverhältnis prägend ist (Rn. 27).
5. Der in § 611a Abs. 1 Satz 6 BGB normierte Vorrang der Vertragsdurchführung vor dem Vertragstext verlangt eine zweistufige Prüfung der Arbeitnehmereigenschaft (Rn. 34).
a) Zunächst ist der Vertrag der Parteien nach § 157 BGB auszulegen. Ergibt sich bereits daraus, dass die Parteien ein Arbeitsverhältnis begründen wollten, wird der Arbeitnehmerstatus allein hierdurch verbindlich festgelegt, ohne dass es auf die Vertragsdurchführung ankommt.
b) Führt die Auslegung des Vertrags zu dem Ergebnis, dass der Dienstverpflichtete als Selbstständiger tätig werden sollte, ist in einem zweiten Schritt die tatsächliche Durchführung des Vertrags zu prüfen. Stimmt die Vertragspraxis mit den vertraglichen Vorgaben überein, leistet der Dienstverpflichtete die geschuldeten Dienste nicht als Arbeitnehmer, sondern als Selbstständiger. Weicht die tatsächliche Durchführung des Vertrags von den Vertragsbestimmungen ab, richtet sich die Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses allein nach der Vertragsdurchführung, die für sich anhand der Vorgaben des § 611a Abs. 1 BGB zu würdigen ist.
(Orientierungssätze)