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Teilzeit – tarifvertragliche Überstundenzuschläge – Diskriminierung von in Teilzeit beschäftigten Arbeitnehmern

– Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG – mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts – Haftungsprivilegierung nach § 15 Abs. 3 AGG – Haustarifvertrag

BAG, Dezember 2024 – 8 AZR 370/20

  1. Eine tarifvertragliche Regelung, die für das Verdienen von Überstundenzuschlägen allein das Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers voraussetzt, ohne dass diese Grenze bei einer Teilzeitbeschäftigung proportional zur individuell geschuldeten Arbeitszeit des Arbeitnehmers vermindert wird, behandelt iSv. § 4 Abs. 1 TzBfG in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer wegen ihrer Teilzeitarbeit gegenüber vergleichbaren in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmern schlechter. Durch eine solche Regelung kommt es – unter Beachtung der Vorgaben des Unionsrechts und der danach gebotenen isolierten Betrachtung des Entgeltbestandteils Überstundenzuschlag – für in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer zu nachteiligen Auswirkungen auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung, was eine Abweichung von dem in § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG, Paragraph 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung verankerten Pro-rata-temporis-Grundsatz darstellt (Rn. 38).
  2. Ein sachlicher Grund für die sich daraus ergebende unmittelbare Ungleichbehand-lung kann nicht darin gesehen werden, dass mit der tarifvertraglichen Regelung das Ziel verfolgt wird, den Arbeitgeber davon abzuhalten, für Arbeitnehmer Überstunden anzuordnen, die über die arbeitsvertraglich individuell vereinbarte Arbeitszeit hinaus-gehen. Ebenso wenig trägt das Ziel, in Bezug auf die Gesamtvergütung pro Arbeits-stunde eine schlechtere Behandlung von in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmern ge-genüber in Teilzeit beschäftigten Arbeitnehmern zu verhindern (Rn. 45 ff.).
  3. Eine gegen das Benachteiligungsverbot des § 4 Abs. 1 TzBfG verstoßende tarifvertragliche Regelung ist insoweit nach § 134 BGB nichtig. Dies führt dazu, dass in Teil-zeit beschäftigte Arbeitnehmer aus § 612 Abs. 2 BGB Anspruch auf Überstundenzuschläge bzw. wenn dies vorgesehen ist, eine den Zuschlägen entsprechende Zeitgutschrift bereits für Arbeitsstunden haben, die sie über ihre individuell vereinbarte Arbeitszeit hinaus leisten („Anpassung nach oben“) (Rn. 54). Der Anspruch unterliegt allerdings einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist (Rn. 60).
  4. Eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung in Teilzeit beschäftigter Arbeitnehmer bewirkt zugleich für betroffene weibliche Arbeitnehmer eine gegen das Benachteiligungsverbot nach § 7 Abs. 1 AGG verstoßende und zu einem Anspruch auf Entschädigung aus § 15 Abs. 2 AGG führende mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts iSv. § 3 Abs. 2 AGG, wenn innerhalb der Gruppe der in Teilzeit beschäftigten Arbeitnehmer signifikant mehr Frauen als Männer vertreten sind. Auf das Verhältnis der Geschlechter in der Gruppe der Vollzeitarbeitnehmer kommt es insoweit nicht an (Rn. 77 ff.).
  5. § 15 Abs. 3 AGG erfasst in unionsrechtskonformer einschränkender Auslegung nicht die Anwendung von Haustarifverträgen durch den Arbeitgeber (Rn. 86 ff.).

(Orientierungssätze)