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BAG: Prozessvergleich – Anfechtung wegen arglistiger Täuschung

– treuwidrige Herbeiführung des Bedingungseintritts – Rücktritt wegen nicht erbrachter Leistung – Erfordernis der Durchsetzbarkeit der Forderung im Rücktrittszeitpunkt – Rücktritt wegen Störung der Geschäftsgrundlage

BAG, Urteil vom 20.6.2024 – 2 AZR 156/23

1. Der Streit über die Wirksamkeit eines zur Erledigung eines Kündigungsschutzver-fahrens geschlossenen Prozessvergleichs ist sowohl unter dem Gesichtspunkt der Anfechtung als auch des Rücktritts im ursprünglichen Rechtsstreit auszutragen (Rn. 12).

2. Die Anwendung von § 166 Abs. 2 BGB setzt voraus, dass der Vertretene den Vertreter im Rahmen der erteilten Vollmacht zur Vornahme eines bestimmten Rechtsakts (hier: zum Abschluss eines Abfindungsvergleichs) veranlasst. Dafür genügt es auch bei der gebotenen weiten Auslegung der Vorschrift nicht, dass der Vertretene den Abschluss des betreffenden Rechtsgeschäfts durch den Vertreter bloß für möglich erachtet (Rn. 17).

3. Bei der Prüfung von § 162 Abs. 2 BGB steht allein in Rede, ob die betreffende Partei wider Treu und Glauben den Eintritt des zur Bedingung erhobenen Ereignisses herbeigeführt hat; die Vorschrift sanktioniert allein den regelwidrigen Eingriff in den Geschehensablauf. Deshalb findet sie auf eine sog. Wollensbedingung als besonders starke Form der Potestativbedingung allenfalls in besonderen Ausnahmefällen Anwendung (Rn. 19).

4. § 323 Abs. 1 Alt. 1 BGB verlangt als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung die Durchsetzbarkeit der nicht erbrachten Leistung im Rücktrittszeitpunkt. Daran fehlt es regelmäßig aufgrund des sog. doloagit-Einwands aus § 242 BGB, wenn die den Rücktritt erklärende Vertragspartei Kenntnis von dem vom Rücktrittsgegner gestellten Insolvenzeröffnungsantrag hat und die Leistung, würde sie noch erfolgen, deshalb nach der Insolvenzeröffnung gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO anfechtbar wäre (Rn. 20).

(Orientierungssätze)

Ein Prozessvergleich kann nur mit Erfolg nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB angefochten werden, wenn die arglistige Täuschung durch den Anfechtungsgegner für die Annahmeerklärung des Anfechtenden kausal geworden ist. Das ist nicht der Fall, wenn der Anfechtende im Zeitpunkt der vermeintlichen Täuschung dem Vergleich bereits unwiderruflich zugestimmt hatte.

(Amtliche Leitsätze)