© IMAGO / Image Source

EuGH/GA-SA: Auskunftsanordnung der ersuchten Finanzbehörde – Herausgabe von Unterlagen durch einen Rechtsanwalt – Berufsgeheimnis eines Rechtsanwalts

GAin Kokott, Schlussanträge vom 30.5.2024 – C-432/23

1. Die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwaltsgesellschaft fällt auch im Bereich des Gesellschaftsrechts – z. B. im Hinblick auf die Einrichtung einer gesellschaftsrechtlichen Investitionsstruktur – in den Schutzbereich des durch Art. 7 der Charta garantierten Anwaltsgeheimnisses.

2. Eine gegenüber einer Rechtsanwaltsgesellschaft erlassene Anordnungsentscheidung der zuständigen Steuerbehörde im Zusammenhang mit einem Informationsaustausch auf Ersuchen, mit dem die Behörde im Großen und Ganzen sämtliche Unterlagen zu bestimmten Transaktionen und der Beteiligung an diesen verlangt, stellt einen Eingriff in das durch Art. 7 der Charta garantierte Recht auf Achtung der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant dar.

3. Die Richtlinie 2011/16/EU ist mit Art. 7 und Art. 52 Abs. 1 der Charta vereinbar, obwohl sie über Art. 17 Abs. 4 hinaus keine Bestimmung enthält, die einen Eingriff in die Vertraulichkeit des Schriftwechsels zwischen Rechtsanwalt und Mandant im Rahmen der Regelung des Informationsaustauschs auf Ersuchen zulässt und die den Umfang der Einschränkung der Ausübung des betreffenden Rechts selbst festlegt. Denn Art. 17 Abs. 4 der Richtlinie 2011/16 gewährt den Mitgliedstaaten einen ausreichenden Freiraum, um den Vorgaben von Art. 7 der Charta gerecht zu werden.

4. Die innerstaatlichen Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten können und müssen die Voraussetzungen, den Umfang und die Grenzen der Mitwirkungspflicht von Rechtsanwälten als Informationsinhaber im Rahmen des Informationsaustauschs auf Ersuchen gemäß der Richtlinie 2011/16 regeln. Dabei muss das nationale Recht der zuständigen Behörde insbesondere ermöglichen, im Einzelfall eine Abwägung zwischen dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen einerseits und dem Schutz des Anwaltsgeheimnisses andererseits vorzunehmen. Da das luxemburgische Recht eine solche Abwägung in Steuerrechtsangelegenheiten nicht zulässt, steht Art. 7 der Charta der Anwendung des nationalen Rechts insoweit entgegen.

Volltext BB-Online BBL2024-1364-2