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BAG: Tatbestand – Beweiskraft – Entkräftung durch Sitzungsprotokoll – Überleitung in S-Entgelttabelle im Tarifbereich der TdL – Antragsrecht – Gleichheitsverstoß

BAG, Urteil vom 25.1.2024 – 6 AZR 119/23; ECLI:DE:BAG:2024:250124.U.6AZR119.23.0

1. Werden in der mündlichen Verhandlung entgegen § 137 ZPO keine Anträge gestellt, kann dieser Mangel nicht nach § 295 ZPO geheilt werden (Rn. 16).

2. Die Beweiskraft des Urteilstatbestands gemäß § 314 Satz 1 ZPO erfasst jedenfalls die Antragstellung in der mündlichen Verhandlung als solche (Rn. 18).

3. Eine Entkräftung dieser Beweiswirkung durch das Sitzungsprotokoll gemäß § 314 Satz 2 ZPO setzt einen ausdrücklichen bzw. zumindest unzweideutigen Widerspruch zwischen Tatbestand und Protokoll voraus. Bloße Lücken oder ein Schweigen im Protokoll sind unzureichend (Rn. 21).

4. In § 29e TVÜ-Länder haben die Tarifvertragsparteien die Überleitung der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst in die S-Entgeltgruppen zum 1. Januar 2020 bewusst nicht von einem vorherigen Antrag des/der Beschäftigten abhängig gemacht. Daher kann sich ein solches Antragsrecht auch nicht durch ergänzende Tarifvertragsauslegung ergeben (Rn. 26, 27 ff.).

5. Den Besitzstandsinteressen der Beschäftigten haben die Tarifvertragsparteien durch eine rein auf den Überleitungsstichtag 1. Januar 2020 bezogene Vergleichsentgeltbetrachtung (§ 29e Abs. 3 und Abs. 4 TVÜ-Länder) Rechnung getragen (Rn. 31).

6. Die Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) erlaubt den Tarifvertragsparteien, Tarifverträge auch zum Nachteil der Beschäftigten – wie vorliegend durch die Verlängerung der Stufenlaufzeiten in den Stufen 2 und 3 um jeweils ein Jahr gemäß § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L idF des § 52 Nr. 3 TV-L – zu ändern. Dabei müssen sie das Rückwirkungsverbot beachten (Rn. 34).

7. Regelungen der Tarifvertragsparteien zur Überleitung der Beschäftigten in neue Entgeltsysteme unterliegen ebenso wie Stichtags- und Erschwerniszuschlagsregelungen (mit Ausnahme der Nachtarbeitszuschläge) im Hinblick auf einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich nur einer Willkürkontrolle. Willkürlich ist eine Tarifregelung nur, wenn sich für sie kein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonst sachlich einleuchtender Grund finden lässt (Rn. 37).

8. Es stellt keinen Gleichheitsverstoß dar, dass § 29e TVÜ-Länder die Fachkräfte für Schulsozialarbeit im Sozial- und Erziehungsdienst in die S-Entgeltgruppen überleitet, während die sozialpädagogischen Mitarbeiter in der Schuleingangsphase an Grundund Förderschulen sowie die Fachkräfte aus den anderen pädagogischen Berufsgruppen im Rahmen von multiprofessionellen Teams als Lehrkräfte iSd. § 44 Nr. 1 TV-L weiterhin nach dem Tarifvertrag über die Eingruppierung und die Entgeltordnung für die Lehrkräfte der Länder (TV EntgO-L) eingruppiert sind (Rn. 38 ff.).

(Orientierungssätze)

Der durch den Tatbestand eines Urteils erbrachte Beweis wird durch bloße Lücken des Sitzungsprotokolls oder sein Schweigen über bestimmte Vorgänge nicht entkräftet. § 314 Satz 2 ZPO setzt voraus, dass die Feststellungen im Protokoll ausdrücklich oder doch unzweideutig dem Tatbestand widersprechen.

(Amtlicher Leitsatz)