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BAG: Betriebliche Übung – Beihilfen im Krankheitsfall – Betriebsübergang – Nachwirkung von Kollektivnormen

BAG, Urteil vom 19.9.2023 – 1 AZR 281/22

ECLI:DE:BAG:2023:190923.U.1AZR281.22.0

1. Die bindende Wirkung einer betrieblichen Übung, nach der der Arbeitgeber seinen Betriebsrentnern Beihilfen im Krankheitsfall gewährt, tritt auch gegenüber Arbeitnehmern ein, die sich noch im laufenden Arbeitsverhältnis befinden und deshalb die Voraussetzungen für einen entsprechenden Anspruch noch nicht erfüllen (Rn. 23).

2. Eine durch betriebliche Übung begründete Verpflichtung des Arbeitgebers geht im Fall eines Betriebsübergangs nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Betriebserwerber über (Rn. 25).

3. Unterliegen die in einer Betriebsvereinbarung geregelten Angelegenheiten der erzwingbaren Mitbestimmung, wirken ihre Normen im Fall einer Kündigung nach § 77 Abs. 6 BetrVG nach. Ist die Betriebsvereinbarung nur teilmitbestimmt, weil sie finanzielle Leistungen des Arbeitgebers vorsieht, die von ihm ohne rechtliche Verpflichtung erbracht werden, tritt bei einer Kündigung von Gesetzes wegen keine Nachwirkung ein, wenn der Arbeitgeber diese Leistungen vollständig und ersatzlos einstellen will (Rn. 34).

4. Haben die Betriebsparteien die Nachwirkung einer freiwilligen oder nur teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung vereinbart, ist diese Abrede regelmäßig dahingehend auszulegen, dass die Einigungsstelle angerufen werden und ggf. verbindlich entscheiden kann, wenn die Verhandlungen über eine einvernehmliche Neuregelung scheitern (Rn. 34).

5. Dieselben Grundsätze gelten, wenn eine Betriebsvereinbarung, die unterschiedliche Angelegenheiten regelt, die teils der erzwingbaren Mitbestimmung unterliegen und teils nur teilmitbestimmt oder freiwillig sind, bezogen auf einen selbständigen Regelungskomplex und damit nur teilweise gekündigt wird (Rn. 35).

6. Geht ein Betrieb unter Verlust seiner Betriebsidentität auf einen Betriebserwerber über, werden die Inhaltsnormen einer Betriebsvereinbarung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer transformiert. Dabei bleibt der kollektivrechtliche Charakter der transformierten Normen einschließlich einer von den Betriebsparteien vereinbarten Nachwirkung mit entsprechenden betriebsverfassungsrechtlichen Konfliktlösungsmöglichkeiten erhalten (Rn. 43).

(Orientierungssätze)

Werden die Inhaltsnormen einer Betriebsvereinbarung im Fall eines nicht identitätswahrenden Betriebsübergangs in die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer transformiert, bleibt der kollektive Charakter der Regelungen einschließlich einer vereinbarten Nachwirkung erhalten. Die Bestimmungen können deshalb kollektivrechtlich in gleicher Weise abgeändert werden wie die ursprünglich normativ geltenden Regelungen.

(Amtlicher Leitsatz)