BAG, Beschluss vom 9. Mai 2023 – 1 ABR 14/22
ECLI:DE:BAG:2023:090523.B.1ABR14.22.0
1. Die Aufgabe des Betriebsrats nach § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG iVm. § 176 SGB IX, die Eingliederung schwerbehinderter Menschen zu fördern, erfasst auch die Gruppe der schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten leitenden Angestellten.
2. Soweit § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG vorsieht, dass personenbezogene Daten von Beschäftigten verarbeitet werden dürfen, wenn dies zur Erfüllung eines sich aus dem Gesetz ergebenden Rechts der Interessenvertretung der Beschäftigten erforderlich ist, stellt die Norm eine Rechtsgrundlage iSv. Art. 6 Abs. 3 iVm. Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c DSGVO dar. Der Umstand, dass § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG den Vorgaben der Öffnungsklausel in Art. 88 DSGVO nicht genügt, ist insoweit unerheblich.
(Amtliche Leitsätze)
1. Der Betriebsrat hat nach § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG und § 176 Satz 1 SGB IX die Aufgabe, die Eingliederung schwerbehinderter und ihnen gleichgestellter Arbeitnehmer zu fördern. Diese einheitliche Förderaufgabe wird durch seine in § 176 Satz 2 SGB IX beispielhaft genannten Aufgaben – die Erfüllung der Verpflichtungen des Arbeitgebers nach den §§ 154, 155 und 164 bis 167 SGB IX zu überwachen und auf die Wahl einer Schwerbehindertenvertretung hinzuwirken – konkretisiert (Rn. 20).
2. Die Förderaufgabe des Betriebsrats nach § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG iVm. § 176 SGB IX erstreckt sich auch auf schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte leitende Angestellte (Rn. 24 ff.).
3. Der Betriebsrat kann vom Arbeitgeber nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG die Erteilung von Auskünften verlangen, die für die Wahrnehmung der konkret darzulegenden Förderaufgabe nach § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG iVm. § 176 SGB IX (hier: Überwachung der Verpflichtungen nach § 164 SGB IX) erforderlich sind (Rn. 16, 44).
4. Der Auskunftsanspruch des Betriebsrats ist nicht davon abhängig, dass die betroffenen Arbeitnehmer ihr Einverständnis erteilt haben (Rn. 45).
5. Die gesetzliche Zuweisung der Verantwortlichkeit für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch den Betriebsrat an den Arbeitgeber (§ 79a Satz 2 BetrVG) führt nicht dazu, dass bei der Weitergabe sensibler personenbezogener Daten an den Betriebsrat nach § 26 Abs. 3 BDSG das nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DSGVO notwendige Datenschutzniveau nicht mehr gewährleistet wäre. Auf die Frage, ob § 79a Satz 2 BetrVG mit Art. 4 Nr. 7 Halbs. 2 DSGVO vereinbar ist, kommt es dabei nicht an (Rn. 57).
6. § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG stellt eine unionsrechtskonforme Rechtsgrundlage iSv. Art. 6 Abs. 3 iVm. Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c DSGVO dar, soweit danach personenbezogene Daten von Beschäftigten verarbeitet werden dürfen, wenn dies zur Erfüllung eines sich aus dem Gesetz ergebenden Rechts der Interessenvertretung der Beschäftigten erforderlich ist. Da die Norm teilbar ist, steht der Umstand, dass § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG den Vorgaben der Öffnungsklausel in Art. 88 DSGVO nicht genügt, seiner Anwendbarkeit insoweit nicht entgegen (Rn. 62 ff.).
7. Macht der Betriebsrat einen auf personenbezogene Daten besonderer Kategorie gerichteten Auskunftsanspruch geltend, hat er darzulegen, dass er Maßnahmen vorhält, die die berechtigten Interessen der betroffenen Arbeitnehmer iSv. § 26 Abs. 3 Satz 3 iVm. § 22 Abs. 2 BDSG wahren. Das Fehlen oder die Unzulänglichkeit solcher Schutzmaßnahmen schließen seinen Informationsanspruch aus (Rn. 70).
8. Der Begriff der angemessenen und spezifischen Maßnahmen ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Ob die im Einzelfall getroffenen Schutzmaßnahmen datenschutzrechtlich ausreichend sind, unterliegt deshalb der rechtsbeschwerderechtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Würdigung der Tatsachengerichte (Rn. 72).
(Orientierungssätze)