OLG Hamburg, Urteil vom 31.8.2023 – 15 U 18/23 Kart
1. Wird in einem kartellrechtlichen Eilverfahren eine auf Befriedigung des Beseitigungsanspruchs gerichtete Verfügung begehrt, setzt der Verfügungsgrund keine existenzielle Notlage des antragstellenden Unternehmens voraus. Ausreichend ist, dass der Antragsteller so dringend auf die Erfüllung des Anspruchs angewiesen ist, dass ihm die Verweisung auf später geltend zu machenden Schadensersatz nicht zumutbar ist und dass der ihm aus der Nichterfüllung drohende Schaden außer Verhältnis zu demjenigen Schaden steht, der dem Antragsgegner aus der sofortigen Erfüllung droht. In die gebotene Abwägung aller im Einzelfall in Rede stehenden Interessen sind auch die Erfolgsaussichten des Verfügungsantrags einzubeziehen (Anschluss an OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.12.2001 – U (Kart) 34/01, GRUR-RR 2002, 176, 178 [BB 2002, 592, Ls.]).
2. Einzelfallabhängig können auch erhebliche Umsatzverluste und die damit entfallenden Wachstumschancen einen Verfügungsgrund i.S.d. Ziffer 1. begründen; es bedarf dann keines Vortrags zu Gewinnausfällen (hier bejaht für ein Internet-Start-up).
3. Der Verfügungsgrund in einem anhängigen einstweiligen Verfügungsverfahren entfällt nicht deswegen, weil der Antragsteller nicht innerhalb einer gewissen Frist auch ein entsprechendes Hauptsacheverfahren anhängig macht (entgegen OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2018 – VI-U (Kart) 7/18 – juris Rn. 104 ff. sowie OLG Düsseldorf, Urteil vom 07.09.2020 – VI-U (Kart) 4/20 – juris Rn. 91).
4. Werden die Beseitigung und Unterlassung einer Behinderung zum Marktzutritt einerseits auf einen vertraglichen Schadensersatzanspruch gemäß § 249 BGB und andererseits auf die kartellrechtliche Anspruchsgrundlage gemäß § 33 Abs. 1 i.V.m. § 19 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 GWB gestützt, so handelt es sich um zwei unterschiedliche Streitgegenstände. Der Anspruchsteller muss daher ein Rangverhältnis vorgeben, um dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu genügen. Kostenrechtlich kann es sich dennoch um denselben Gegenstand im Sinne von § 45 Abs. 1 S. 3 GKG handeln.
5. Der Markt für suchwortgebundene Werbung im Umfeld von Internetsuchmaschinen ist ein eigener sachlicher Markt im Sinne des § 18 Abs. 1 GWB.
6. Der Anwendungsbereich der beiden Tatbestandsalternativen des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB ist deckungsgleich. Eine unbillige Behinderung im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 GWB kann daher auch in einem vertikalen Wettbewerbsverhältnis anzunehmen sein.
7. Zur Frage der unbilligen Behinderung und ungerechtfertigten Ungleichbehandlung im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB (hier jeweils bejaht) durch einen Anbieter suchwortgebundener Online-Werbung aufgrund der – nicht diskriminierungsfreien – Umsetzung einer Richtlinie, die Werbung für die Unterstützung bei der Beantragung oder Bezahlung hoheitlicher Dienstleistungen untersagt, wenn diese Dienstleistungen auch direkt bei einer staatlichen oder staatlich beauftragten Stelle erhältlich sind (hier: Vermittlung ausländischer digitaler Straßenmautvignetten).
(Amtliche Leitsätze)