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BAG: Erschwerniszuschläge an Theatern und Bühnen – Orchesterwart – Gleichbehandlungsgrundsatz – Willkürkontrolle

BAG, Urteil vom 20. Juli 2023 – 6 AZR 256/22

ECLI:DE:BAG:2023:200723.U.6AZR256.22.0

1. Mit Ausnahme der Zuschläge für die Arbeitsleistung während der tarifvertraglich definierten Nachtzeit können die Tarifvertragsparteien in den Grenzen des Willkürverbots frei regeln, für welche Erschwernisse sie in welcher Weise und Höhe einen Zuschlag gewähren wollen.

2. Bei der Willkürkontrolle wird von den Arbeitsgerichten nur geprüft, ob objektive Willkür vorliegt, dh., ob die Tarifnorm im Verhältnis zu der tatsächlichen Situation, die sie regeln soll, objektiv unangemessen ist. Die nach dem Willen der Tarifvertragsparteien für die Ausgestaltung der Tarifregelung maßgeblichen Gründe müssen sich insoweit weder ausdrücklich noch durch Auslegung dem Tarifvertrag entnehmen lassen.

(Amtliche Leitsätze)

1. Bestimmen die Tarifvertragsparteien in einem Tarifvertrag (vorliegend § 2 Abs. 1 Satz 3 5. TVEZ hinsichtlich der Erschwerniszuschlagstatbestände), dass dessen Normen einer analogen Anwendung nicht zugänglich sind, bringen sie damit ihren Willen zu einer bewusst abschließenden Regelung zum Ausdruck (Rn. 29, 35).

2. Insbesondere aus diesem Grund können die Instrumente Hammerklavier, Elektro[1]Piano und Celesta nicht als „Klavier“ und die Truhenorgel nicht als „Harmonium“ iSd. § 21 Position 829 5. TVEZ verstanden werden. Das Hammerklavier ist ebenso wenig ein „Flügel“ iSd. § 21 Position 828 5. TVEZ (Rn. 22 ff.).

3. a) Sowohl eine ergänzende Auslegung eines Tarifvertrags als auch dessen analoge Anwendung setzen voraus, dass der Tarifvertrag – ausgehend von dem im Tarifvertrag zum Ausdruck gebrachten Willen der Tarifvertragsparteien – eine unbewusste Regelungslücke enthält oder nachträglich lückenhaft geworden ist (Rn. 33 f.).

3. b) Daher scheiden beide Formen der Lückenschließung aus, wenn die Tarifvertragsparteien im Tarifvertrag ihren Willen zu einer abschließenden Regelung zum Ausdruck bringen (Rn. 35).

4. Mit Ausnahme der Nachtarbeitszuschläge, bei denen wegen § 6 Abs. 5 ArbZG eine gewisse inhaltliche Bindung besteht (Rn. 41), haben die Tarifvertragsparteien bei der Festlegung derjenigen situationsgebundenen Kriterien, die einen Erschwerniszuschlag auslösen, einen weit reichenden Entscheidungsspielraum. Sie entscheiden, welche Erschwernisse sie in welcher Weise und Höhe ausgleichen wollen (Rn. 39).

5. Die Arbeitsgerichte überprüfen in diesen Fällen im Rahmen einer Willkürkontrolle nur, ob die tarifliche Regelung – in Bezug auf die tatsächliche Situation, die sie regeln soll – offenkundig auf sachwidrigen, willkürlichen Erwägungen beruht und objektiv unangemessen ist. Nicht erforderlich ist, dass sich der der Erschwerniszuschlagsregelung zugrundeliegende Zweck im Tariftext niedergeschlagen hat oder sich diesem durch Auslegung entnehmen lässt (Rn. 39).

6. Das Auf- bzw. Absetzen eines der in § 21 Positionen 828, 829 5. TVEZ genannten Instrumente auf ein oder von einem Podium erfüllt den Begriff des „Tragens“ im Sinne dieser Tarifnorm und ist damit zuschlagspflichtig (Rn. 42 ff.).

(Orientierungssätze)