Die Europäische Kommission hat Verpflichtungsangebote von Amazon nach den EU‑Kartellvorschriften für rechtlich bindend erklärt. Die Verpflichtungen von Amazon räumen die wettbewerbsrechtlichen Bedenken der Kommission in Bezug auf die Nutzung nichtöffentlicher Daten von Marktplatzverkäufern sowie eine etwaige Ungleichbehandlung beim Zugang von Verkäufern zur Buy-Box und zu Prime aus.
Margrethe Vestager, Vizepräsidentin der Kommission und zuständig für Wettbewerbspolitik erklärte: „Der heutige Beschluss legt neue Regeln dafür fest, wie Amazon sein Geschäft in Europa betreibt. Amazon kann seine Doppelrolle nicht länger missbrauchen und wird mehrere geschäftliche Vorgehensweisen ändern müssen. Das gilt für die Nutzung von Daten, die Auswahl von Verkäufern bei der Angebotsplatzierung in der Buy-Box und die Bedingungen für den Zugang zu Amazon Prime. Die Änderungen eröffnen neue Möglichkeiten und vergrößern die Auswahl, was konkurrierenden unabhängigen Einzelhändlern und Beförderungsunternehmen sowie den Verbraucherinnen und Verbrauchern zugute kommt.“
Bedenken der Kommission
Die Kommission leitete im Juli 2019 ein förmliches Prüfverfahren in Bezug auf die Nutzung nichtöffentlicher Daten der Marktplatzverkäufer durch Amazon ein. Am 10. November 2020 nahm die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an. Darin stellte sie vorläufig fest, dass Amazon auf dem französischen und dem deutschen Markt eine beherrschende Stellung für die Bereitstellung von Online-Marktplatzdiensten für Drittverkäufer einnimmt. Die Kommission stellte ferner fest, dass Amazons Rückgriff auf nicht öffentliche Geschäftsdaten von Marktplatzverkäufern zur Kalibrierung seiner Einzelhandelsentscheidungen den fairen Wettbewerb auf seiner Plattform verzerrt und wirksamen Wettbewerb verhindert.
Parallel dazu leitete die Kommission am 10. November 2020 eine zweite Untersuchung ein. Damit prüfte sie, ob die Kriterien, die Amazon für die Auswahl der Gewinner der Buy Box festlegt – und die es Verkäufern ermöglichen, Produkte im Rahmen des Prime-Programms anzubieten – zu einer Vorzugsbehandlung des Einzelhandelsgeschäfts von Amazon oder von Verkäufern führen, die die Logistik- und Lieferdienste von Amazon nutzen.
In der zweiten Untersuchung kam die Kommission zu dem vorläufigen Schluss, dass Amazon seine beherrschende Stellung auf dem französischen, deutschen und spanischen Markt für die Bereitstellung von Online-Marktplatzdiensten für Drittanbieter missbraucht hat.
Außerdem kam die Kommission zu dem vorläufigen Schluss, dass Amazons Regeln und Kriterien für die Buy Box und Prime das eigene Einzelhandelsgeschäft sowie Marktplatzverkäufer, die Amazons Logistik- und Lieferdienste in Anspruch nehmen, unangemessen begünstigen.
Verpflichtungen
Um die Wettbewerbsbedenken der Kommission in Bezug auf beide Untersuchungen auszuräumen, hat Amazon zunächst folgende Verpflichtungsangebote vorgelegt:
Zu den Bedenken in Bezug auf die Datennutzung:
- Nichtöffentliche Daten, die sich auf die Tätigkeiten der unabhängigen Verkäufer auf dem Amazon-Marktplatz beziehen oder sich daraus herleiten, werden nicht für das Einzelhandelsgeschäft von Amazon genutzt. Dies gilt sowohl für die automatisierten Tools von Amazon als auch für Mitarbeiter, die die Daten aus dem Amazon-Marktplatz bei Einzelhandelsentscheidungen heranziehen könnten.
- Solche nichtöffentlichen Daten werden nicht für den Verkauf von Markenartikeln und Produkten der Eigenmarke genutzt.
Zu den Bedenken in Bezug auf die Buy-Box:
- Bei der Erstellung der Rangfolge für das Angebot, das die Buy-Box gewinnt, werden alle Verkäufer gleichbehandelt.
- Zusätzlich zu dem Angebot, das die Buy-Box gewonnen hat, wird ein zweites, konkurrierendes Angebot angezeigt, sofern ein solches von einem anderen Verkäufer vorliegt und sich vom ersten Angebot in Bezug auf Preis und/oder Lieferung hinreichend unterscheidet. Beide Angebote enthalten dieselben beschreibenden Informationen und bieten dieselbe Einkaufserfahrung.
Zu den Bedenken in Bezug auf Prime:
- Für die Qualifizierung von Marktplatzverkäufern und Angeboten für Prime werden nichtdiskriminierende Bedingungen und Kriterien festgelegt.
- Prime-Verkäufer erhalten die Möglichkeit, für ihre Logistik- und Lieferdienste ein Unternehmen frei zu wählen und die Konditionen direkt mit diesem Unternehmen auszuhandeln.
- Über Prime gewonnene Informationen über die Konditionen und die Leistung dritter Beförderungsunternehmen werden nicht für die eigenen Logistikdienste genutzt.
Die Kommission hat die Verpflichtungsangebote von Amazon im Zeitraum vom 14. Juli 2022 bis zum 9. September 2022 einem Markttest unterzogen und alle interessierten Dritten konsultiert, um festzustellen, ob die wettbewerbsrechtlichen Bedenken durch diese Zusagen ausgeräumt würden. Angesichts der Ergebnisse dieses Markttests änderte Amazon die ursprünglichen Verpflichtungsangebote und sagte Folgendes zu:
- Das zweite, konkurrierende Buy-Box-Angebot wird besser präsentiert, d. h. deutlicher hervorgehoben; ferner wird ein Überprüfungsmechanismus eingeführt für den Fall, dass die Präsentation bei den Kunden keine angemessene Aufmerksamkeit erweckt.
- Transparenz und frühzeitige Information von Verkäufern und Beförderungsunternehmen in Bezug auf die Verpflichtungen und die neuen Rechte der Verkäufer und Beförderungsunternehmen werden verstärkt, um u. a. Verkäufern frühzeitig einen Wechsel zu unabhängigen Beförderungsunternehmen zu ermöglichen.
- Es werden die Voraussetzungen geschaffen, damit unabhängige Beförderungsunternehmen ihre Amazon-Kunden im Einklang mit den Datenschutzvorschriften direkt kontaktieren und mit den Zustelldiensten von Amazon vergleichbare Dienste anbieten können.
- Die Daten von Beförderungsunternehmen, insbesondere Daten zum Frachtprofil, werden besser vor dem Zugriff der konkurrierenden Logistikdienste von Amazon geschützt.
- Die Befugnisse des Überwachungstreuhänders werden durch weitere Meldepflichten ausgeweitet.
- Es wird ein zentralisiertes Beschwerdeverfahren eingeführt, das alle Verkäufer und Beförderungsunternehmen bei Verdacht auf Nichteinhaltung der Verpflichtungen nutzen können.
- Die Laufzeit der Verpflichtungen in Bezug auf Prime und das zweite, konkurrierende Buy-Box-Angebot wird auf sieben Jahre verlängert (ursprünglicher Vorschlag: fünf Jahre).
Die Kommission ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die endgültigen Verpflichtungsangebote von Amazon gewährleisten dürften, dass das Unternehmen keine Daten von Marktplatzverkäufern mehr für sein eigenes Einzelhandelsgeschäft nutzt und diskriminierungsfreien Zugang zur Buy-Box und zu Prime gewährt. Die Kommission hat daher entschieden, die angebotenen endgültigen Verpflichtungen für Amazon rechtsverbindlich zu machen.
Die Verpflichtungen sollen für alle bestehenden und künftigen Marktplätze von Amazon im Europäischen Wirtschaftsraum gelten. Dabei beziehen sich die Verpflichtungen zur Buy-Box und zu Prime nicht auf Italien, da die italienische Wettbewerbsbehörde am 30. November 2021 eine Entscheidung erlassen hat, mit der Amazon für den italienischen Markt bereits Abhilfemaßnahmen auferlegt wurden.
Die endgültigen Verpflichtungen gelten in Bezug auf Prime und die Anzeige eines zweiten, konkurrierenden Buy-Box-Angebots sieben Jahre lang und für die übrigen Teile der Verpflichtungen fünf Jahre lang. Unter Aufsicht der Kommission wird ein unabhängiger Treuhänder für die Überwachung der Umsetzung und Einhaltung der Verpflichtungen zuständig sein.
Sollte Amazon gegen die Verpflichtungen verstoßen, könnte die Kommission eine Geldbuße in Höhe von bis zu 10 Prozent des jährlichen Gesamtumsatzes von Amazon oder ein Zwangsgeld von 5 Prozent des Tagesumsatzes von Amazon für jeden Tag der Nichteinhaltung verhängen, ohne einen Verstoß gegen die EU-Kartellvorschriften feststellen zu müssen.
(PM EU-Kommission – Vertretung in Deutschland – vom 20.12.2022)