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EU-Kommission legt Leitlinien zur Bewältigung der Energiekrise sowie zum ökologischen und digitalen Wandel vor

Die Kommission hat den 2023er Zyklus des Europäischen Semesters zur wirtschaftspolitischen Koordinierung eingeleitet. Das Paket stützt sich auf die Herbstprognose 2022. Aus ihr geht hervor, dass die EU-Wirtschaft nach einer starken ersten Jahreshälfte nun in eine viel schwierigere Phase eingetreten ist. Während die politischen Maßnahmen während der COVID-19-Pandemie Früchte getragen haben, stellen die Folgen der russischen Invasion der Ukraine die EU vor vielfältige und komplexe Herausforderungen. Historisch hohe Energiepreise, hohe Inflationsraten, Versorgungs-Engpässe, höhere Schuldenstände und steigende Fremdfinanzierungskosten belasten die Wirtschaftstätigkeit der Unternehmen und schwächen die Kaufkraft der privaten Haushalte.

Valdis Dombrovskis, Exekutiv-Vizepräsident für eine Wirtschaft im Dienste der Menschen, wies darauf hin, dass Europa wegen des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine vor erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen steht. „Wie wir in unserem heutigen Europäischen Semesterpaket deutlich machen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir unsere Politik in der gesamten EU koordinieren, damit wir die aktuellen Schwierigkeiten besser überwinden und unsere langfristigen wirtschaftlichen Aussichten stärken.“

Diese Herausforderungen erfordern koordinierte Maßnahmen für die Energieversorgung, die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität und den Schutz finanziell schwächerer Haushalte und Unternehmen. Gleichzeitig gilt es, die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen zu wahren. Zudem sind rasche Maßnahmen erforderlich, um das Potenzialwachstum und die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze zu fördern und den ökologischen und digitalen Wandel voranzutreiben. Die wirtschaftspolitische Koordinierung mittels des Europäischen Semesters wird den Mitgliedstaaten dabei helfen, diese Ziele zu erreichen. Sie setzt Prioritäten und gibt klare, gut koordinierte Politikleitlinien für das kommende Jahr vor.

Jahresbericht zum nachhaltigen Wachstum

Der diesjährige Jahresbericht zum nachhaltigen Wachstum enthält eine ehrgeizige Agenda. Sie stärkt koordinierte politische Maßnahmen der EU weiter, um kurzfristig die negativen Auswirkungen von Energieschocks abzufedern. Gleichzeitig ist es von entscheidender Bedeutung, die soziale und wirtschaftliche Widerstandskraft weiter zu erhöhen. Außerdem soll mittelfristig nachhaltiges und integratives Wachstum gefördert und gleichzeitig die Flexibilität gewahrt werden, um neue Herausforderungen zu bewältigen. Dieses Vorgehen steht im Einklang mit den Zielen der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung, die integraler Bestandteil des Europäischen Semesters sind.

Das Europäische Semester verfolgt nach wie vor in erster Linie den Zweck, eine nachhaltige Umweltpolitik, Produktivität, Gerechtigkeit und volkswirtschaftliche Stabilität und damit Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit zu fördern.

Die Zuschüsse und Darlehen aus der mit einem Budget von 723,8 Milliarden Euro ausgestatteten Aufbau- und Resilienzfazilität sorgen weiterhin für Investitionen in europäische Unternehmen, Infrastruktur und Kompetenzen – und flankieren eine ehrgeizige Reformagenda bis 2026. Bisher hat die Kommission 26 nationale Aufbau- und Resilienzpläne akzeptiert, die allesamt vom Rat – also den Mitgliedstaaten – gebilligt wurden. Bislang belaufen sich die Auszahlungen aus der Fazilität auf mehr als 135 Milliarden Euro.

REPowerEU, der Plan der EU, ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland rasch abzubauen, wird zusätzliche Ressourcen mobilisieren. Sie werden die Widerstandsfähigkeit des Energiewesens der EU erhöhen und Energiearmut durch gezielte Investitionen und Reformen verhindern.

Stellungnahmen zur Haushaltsplanung der Euro-Länder

Die Kommission hat die Übereinstimmung der Haushaltsplan-Entwürfe für 2023 mit den Empfehlungen des Rates vom Juli 2022 bewertet. Dabei hat die Kommission zudem berücksichtigt, dass die allgemeine Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts auch im Jahr 2023 angewandt wurde.

Gemäß den haushaltspolitischen Empfehlungen für 2023 sollten die Mitgliedstaaten mit niedrigem und mittlerem Schuldenstand sicherstellen, dass das Wachstum der national finanzierten laufenden Primärausgaben mit einem insgesamt neutralen politischen Kurs im Einklang steht. Den hochverschuldeten Mitgliedstaaten wurde empfohlen, eine umsichtige Finanzpolitik zu verfolgen, indem sie insbesondere das Wachstum der national finanzierten laufenden Primärausgaben unter dem mittelfristigen Potenzialwachstum halten.

Die Kommission fordert Belgien, Portugal, Österreich, Litauen, Deutschland, Estland, Luxemburg, die Niederlande, Slowenien und die Slowakei auf, im Rahmen des nationalen Haushaltsverfahrens die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass ihre Haushaltspläne 2023 vollständig mit den Empfehlungen des Rates in Einklang stehen.

Da Kroatien dem Euro-Währungsgebiet am 1. Januar 2023 beitreten wird, begrüßt die Kommission den Beschluss des Landes, erstmals eine Übersicht über die Haushaltsplanung vorzulegen.

Empfehlung für das Euro-Währungsgebiet

Mit der Empfehlung für das Euro-Währungsgebiet erhalten dessen Mitgliedstaaten maßgeschneiderte Ratschläge für den Zeitraum 2023/2024 zu Themen, die die Funktionsfähigkeit des Euro-Währungsgebiets insgesamt betreffen.

Die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets sollten

  • die Koordinierung der Haushaltspolitik fortsetzen, um die rechtzeitige Rückführung der Inflation auf das mittelfristige Ziel der Europäischen Zentralbank von 2 Prozent zu unterstützen,
  • ein hohes Maß an öffentlichen Investitionen aufrechterhalten, um die soziale und wirtschaftliche Widerstandskraft zu fördern und den ökologischen und digitalen Wandel zu unterstützen,
  • sicherstellen, dass die Unterstützung für Haushalte und Unternehmen, die aufgrund der Energiekrise finanziell unter Druck geraten sind, kosteneffizient, befristet und auf schutzbedürftige Adressaten, insbesondere KMU, ausgerichtet ist; in diesem Zusammenhang wird in der Empfehlung die Einführung eines zweistufigen Energiepreissystems vorgeschlagen, das Anreize für Energieeinsparungen bietet und breit angelegte Preismaßnahmen ersetzt; im Rahmen dieses Systems könnten finanziell schwächere Verbraucher von regulierten Preisen profitieren,
  • Lohnentwicklungen fördern, die die Kaufkraft der Lohnempfänger schützen und gleichzeitig Zweitrundeneffekte auf die Inflation begrenzen, soziale Unterstützung bedarfsgerecht weiterentwickeln und anpassen,
  • die aktive Arbeitsmarktpolitik weiter verbessern und den Fachkräftemangel beheben,
  • die Sozialpartner in die Politikgestaltung wirksam einbeziehen und den sozialen Dialog stärken,
  • die Rahmenbedingungen für Unternehmen weiter verbessern und makrofinanzielle Stabilität wahren.

Warnmechanismus-Bericht

Der Warnmechanismus-Bericht ist ein Beobachtungsinstrument, um potenzielle makroökonomische Ungleichgewichte früh zu erkennen. Darin werden die Mitgliedstaaten genannt, bei denen eingehende Überprüfungen erforderlich sind, um zu beurteilen, ob sie von Ungleichgewichten betroffen sind, die politische Maßnahmen erfordern.

Die Autoren des diesjährigen Warnmechanismus-Berichts kommen zu dem Schluss, dass eingehende Überprüfungen für 17 Mitgliedstaaten gerechtfertigt sind: Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, die Niederlande, Portugal, Rumänien, Spanien, Schweden und Zypern (die bereits im letztjährigen Zyklus einer eingehenden Überprüfung unterzogen wurden) sowie Estland, Lettland, Litauen, Luxemburg, die Slowakei, die tschechische Republik und Ungarn, (die 2021/2022 nicht Gegenstand einer eingehenden Überprüfung waren).

Vorschlag für einen Gemeinsamen Beschäftigungsbericht

Im Vorschlag für den Gemeinsamen Beschäftigungsbericht wird bestätigt, dass sich der EU-Arbeitsmarkt seit dem dritten Quartal 2021 vollständig von der COVID-19-Pandemie erholt hat und sich robust entwickelt. Das Beschäftigungsniveau vor der Pandemie wurde inzwischen übertroffen. Trotz des starken Wachstums benötigen junge Menschen, Frauen und schutzbedürftige Gruppen wie Menschen mit Behinderungen oder mit Migrationshintergrund weitere Unterstützung für den Eintritt in den Arbeitsmarkt. Maßnahmen, die Arbeitnehmern dabei helfen, nachgefragte Kompetenzen zu erwerben, müssen intensiviert werden, um das Risiko eines hohen Arbeitskräfte- und Fachkräftemangels zu mindern und den Arbeitsplatzwechsel auf den sich wandelnden Arbeitsmärkten zu unterstützen – insbesondere vor dem Hintergrund des ökologischen und des digitalen Wandels. Die Förderung gerechter Arbeitsmarktübergänge ist wichtig, um die Kernziele der EU für 2030 in den Bereichen Beschäftigung und Kompetenzen zu erreichen, die in den gemeinsamen Beschäftigungsbericht aufgenommen werden.

Der Preisanstieg seit 2021, der durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine beschleunigt wurde, belastet sowohl die EU-Wirtschaft als auch die Haushalte. Das reale BIP-Wachstum verlangsamte sich im Frühjahr 2022, und die realen Haushaltseinkommen ging erstmals seit der COVID-19-Pandemie zurück. In diesem Zusammenhang sind Tarifverhandlungen und gerechte und angemessene Mindestlöhne wirksame Instrumente, um die Kaufkraft der Löhne zu erhalten und gleichzeitig die Beschäftigung zu fördern. Ergänzend sollten Maßnahmen ergriffen werden, um Reichweite und Angemessenheit des Mindesteinkommensschutzes zu verbessern. Dies wird auch zu den Kernzielen der EU für 2030 in den Bereichen Beschäftigung und Armutsbekämpfung beitragen.

Berichte über die Überwachung nach Abschluss des Anpassungsprogramms

Im Rahmen der Überwachung nach Abschluss von Anpassungsprogrammen wird bewertet, inwieweit Empfängermitgliedstaaten von Finanzhilfeprogrammen in der Lage sind, die Hilfen zurückzuzahlen. Den Berichten über die Überwachung nach Abschluss des Anpassungsprogramms für Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Zypern ist zu entnehmen, dass alle fünf Mitgliedstaaten weiterhin in der Lage sind, ihre Schulden zurückzuzahlen.

Der heutige Bericht über die Überwachung nach Abschluss des Anpassungsprogramms für Griechenland ist der erste Bericht, der nach Auslaufen der verstärkten Überwachung im August 2022 für das Land erstellt wurde. Dort wird festgestellt, dass Griechenland trotz der schwierigen Umstände aufgrund des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine die erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, um seinen Verpflichtungen nachzukommen. Dieser Bericht könnte als Grundlage für die Entscheidung der Euro-Gruppe über die Aktivierung der letzten Reihe der im Juni 2018 vereinbarten politikabhängigen Maßnahmen zum Schuldenabbau dienen.

Nächste Schritte

Die Kommission fordert die Euro-Gruppe und den Rat auf, die vorgelegten Dokumente zu erörtern und die dort enthaltenen Vorgaben zu billigen. Sie sieht einem konstruktiven Dialog mit dem Europäischen Parlament über den Inhalt dieses Pakets und alle weiteren Schritte im Zyklus des Europäischen Semesters erwartungsvoll entgegen.

Hintergrund

Das Europäische Semester bietet einen Rahmen für die Koordinierung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten. Seit seiner Einführung im Jahr 2011 ist es zu einem etablierten Forum für die Erörterung der haushalts-, wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Herausforderungen der EU-Länder innerhalb eines festen jährlichen Zeitplans geworden. Auch in der Erholungsphase und bei der Förderung des ökologischen und des digitalen Wandels kommt es zum Tragen.

Das Herzstück von „NextGenerationEU“ ist die Aufbau- und Resilienzfazilität mit Darlehen und Zuschüssen im Umfang von 723,8 Milliarden Euro zur Unterstützung von Reformen und Investitionen der EU-Länder. Damit sollen die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie abgefedert, die europäischen Volkswirtschaften und Gesellschaften nachhaltiger und widerstandsfähiger gemacht und sie besser auf die Herausforderungen und Chancen des ökologischen und digitalen Wandels vorbereitet werden.

(PM EU-Kommission – Vertretung in Deutschland – vom 22.11.2022)