BAG: Gesamthafenbetrieb im Lande Bremen – Zustandekommen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 9 Abs. 1 AÜG – Wirksamkeit einer Befristung

Das BAG hat mit Urteil vom 5.7.2022 – 9 AZR 476/21 – wie folgt entschieden:

1. § 1 Gesamthafenbetriebsgesetz ermächtigt die zuständigen Arbeitgeberverbände bzw. einzelnen Arbeitgeber und Gewerkschaften, durch schriftliche Vereinbarung „zur Schaffung stetiger Arbeitsverhältnisse“ einen besonderen Arbeitgeber – den Gesamthafenbetrieb – zu bilden. Der Gesamthafenbetrieb hat insbesondere die Aufgabe, die bei ihm angestellten Gesamthafenarbeiter den Hafeneinzelbetrieben – nach dem dort auftretenden Arbeitsanfall – zuzuweisen (Rn. 26 f.).

2. Auf die Überlassung von Gesamthafenarbeitern durch den Gesamthafenbetrieb im Lande Bremen an die Hafeneinzelbetriebe ist weder der Erlaubnisvorbehalt nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG noch das Rechtsfolgensystem des § 10 Abs. 1 iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1a und Nr. 1b AÜG anwendbar. Die Vorschriften des Gesamthafenbetriebsgesetzes und der aufgrund dessen erlassenen Vorschriften sind gegenüber den genannten Bestimmungen des AÜG lex specialis (Rn. 21, 24).

3. Das behördliche Aufsichtsrecht und das Statusverhältnis der Gesamthafenarbeiter sind im Gesamthafenbetriebsgesetz gesamthafenspezifisch ausgestaltet und verdrängen die entsprechenden allgemeinen Bestimmungen des AÜG (Rn. 29 ff.).

4. Der spezifische Schutzzweck des Gesamthafenbetriebsgesetzes, Hafenarbeiter bedarfsorientiert bei allen Hafenbetrieben einsetzen zu können und dadurch stetige Arbeitsverhältnisse mit dem Gesamthafenbetrieb zu gewährleisten, ließe sich durch die feste Bindung eines Gesamthafenarbeiters gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG an einen bestimmten Hafeneinzelbetrieb nicht erreichen. Es würde vielmehr eine Situation hergestellt, die durch die Einrichtung des besonderen, die Hafeneinzelbetriebe zusammenfassenden Arbeitgebers gerade verhindert werden soll (Rn. 34).

5. Sofern gemäß § 9 Abs. 4 der Verwaltungsordnung für den Gesamthafenbetrieb ein Arbeitsvertrag für die Dauer der Beschäftigung im Hafeneinzelbetrieb zustande kommt, ist die Befristung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt, der sich als Besonderheit des Gesamthafenbetriebs aus dem mit Schaffung eines besonderen Arbeitgebers intendierten Arbeitnehmerschutz ergibt (Rn. 44 ff.). Das unternehmerische Risiko eines kurzfristig stark schwankenden Personalbedarfs im Gesamthafen wird durch die Befristung der Arbeitsverträge mit den Hafeneinzelbetrieben nicht etwa auf die Hafenarbeiter abgewälzt, sondern vielmehr in deren Interesse an einer stetigen Beschäftigung auf den Gesamthafenbetrieb als besonderen Arbeitgeber übertragen. Die gesetzlich vorgesehene, stets nur zeitlich begrenzte Beschäftigung in den Hafeneinzelbetrieben ist ein Umstand, der auch der Annahme einer missbräuchlichen Nutzung der Befristungsmöglichkeit nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) entgegensteht (Rn. 48).

6. Das Schriftformerfordernis des § 14 Abs. 4 TzBfG findet keine Anwendung, wenn der Arbeitsvertrag des Gesamthafenarbeiters die die Befristung regelnde Verwaltungsordnung insgesamt in Bezug nimmt (Rn. 49).

(Orientierungssätze)