Die wesentlichen Vorschriften des vom Bundesministerium der Justiz (BMJ) vorgelegten und Anfang Juli 2022 vom Deutschen Bundestag beschlossenen Gesetzes zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung genossenschafts- sowie insolvenz- und restrukturierungsrechtlicher Vorschriften sind am 27.7.2022 in Kraft getreten.
Aufgrund der COVID-19-Pandemie war mit dem Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (GesRuaCOVBekG) u.a. die Möglichkeit geschaffen worden, Hauptversammlungen ausschließlich im virtuellen Format abzuhalten.
Vor dem Hintergrund der grundsätzlich positiven Erfahrungen und der fortschreitenden Digitalisierung des Aktienrechts sowie der Vorgabe im Koalitionsvertrag, die virtuelle Hauptversammlung für Aktiengesellschaften und verwandte Rechtsformen unter uneingeschränkter Wahrung der Aktionärsrechte zu verstetigen, wird nun die virtuelle Hauptversammlung als dauerhafte Regelung in das Aktiengesetz (AktG) aufgenommen. Aufgrund des Auslaufens des GesRuaCOVBekG zum 31. August 2022 ist es wichtig, dass es eine Übergangsregelung (§ 26x EGAktG) gibt, die die Abhaltung virtueller Hauptversammlungen durch Entscheidung des Vorstands mit Zustimmung des Aufsichtsrats für ein weiteres Jahr ermöglicht.
Durch den zuletzt im Bundestag geeinten Änderungsantrag ist das virtuelle Format noch weiter an die Präsenzversammlung angenähert worden. Die Regelungen wurden noch praxisnäher ausgestaltet. Vor allem die Konkretisierung der Befugnisse des Versammlungsleiters schafft mehr Rechtssicherheit für Unternehmen bei der Durchführung der Versammlungen.
Vor allen Dingen aber folgt das Gesetz der Leitidee, die Ausübung der Aktionärsrechte (Auskunftsrecht, Rederecht, Antragsrecht, Stimmrecht und Recht zum Widerspruch gegen Beschlüsse der Hauptversammlung) bei der Durchführung der Hauptversammlung in virtueller Form uneingeschränkt sicherzustellen. Dies ist Dreh- und Angelpunkt der neuen Regelungen. Zudem wurden zuletzt Regelungen zu alternativen Versammlungsformen für die Generalversammlung von Genossenschaften sowie punktuelle Konkretisierungen zum Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) mit aufgenommen.
Das Gesetz sieht im Einzelnen vor:
- In das AktG wird ein neuer § 118a als zentrale Vorschrift der virtuellen Hauptversammlung eingefügt. Die Entscheidung für die virtuelle Hauptversammlung bedarf einer Grundlage in der Gesellschaftssatzung, so dass die Aktionäre über deren Format entscheiden. Die Präsenzversammlung bildet damit weiterhin die Grundform der Hauptversammlung. Die Regelung in der Satzung oder eine entsprechende Ermächtigung des Vorstands muss auf bis zu fünf Jahre befristet werden, um die Legitimation der Entscheidung regelmäßig zu erneuern.
- Die Abhaltung der Versammlung als virtuelle Hauptversammlung wird zum Schutz der Aktionäre u. a. an folgende Voraussetzungen geknüpft:
– Die gesamte Versammlung ist in Bild und Ton zu übertragen.
– Es ist die elektronische Stimmrechtsausübung der Aktionäre zu ermöglichen.
– Aktionäre müssen Anträge in der Versammlung im Wege der Videokommunikation stellen können. Dies umfasst auch Gegenanträge.
– Die Aktionäre erhalten ein Auskunftsrecht im Wege elektronischer Kommunikation. Dieses Auskunftsrecht kann, wie in der Präsenzversammlung, ausschließlich im Versammlungstermin gewährt werden. Der Vorstand kann allerdings auch entscheiden, dass Aktionärsfragen bis spätestens drei Tage vor dem Versammlungstermin einzureichen sind. Dann gilt Folgendes:
(1) Die Fragen müssen bis einen Tag vor der Versammlung beantwortet werden. Die Aktionäre können in der Versammlung zu diesen Antworten nachfragen.
(2) Zudem können die Aktionäre in der Versammlung Fragen zu neuen Sachverhalten stellen, die sie bis drei Tage vor der Versammlung nicht hätten stellen können.
(3) Lediglich Fragen, die schon vor der Versammlung hätten eingereicht werden können, müssen im Versammlungstermin nicht mehr zugelassen und beantwortet werden. Der Versammlungsleiter kann diese Fragen aber zulassen.
– Zur Verbesserung der Transparenz ist der Bericht des Vorstands oder dessen wesentlicher Inhalt bereits sieben Tage vor der Versammlung den Aktionären zugänglich zu machen, sofern der Vorstand vorgegeben hat, dass Fragen der Aktionäre bis spätestens drei Tage vor der Versammlung im Wege der elektronischen Kommunikation einzureichen sind.
– Alle Aktionäre erhalten das Recht, Stellungnahmen im Vorfeld der Versammlung einzureichen, die den Aktionären zudem ebenfalls zugänglich zu machen sind.
– Es ist ein Rederecht in der Versammlung für die elektronisch zugeschalteten Aktionäre im Wege der Videokommunikation vorzusehen. Fragen, Nachfragen und Anträge dürfen in Redebeiträgen gestellt werden.
– Es ist den elektronisch zur Versammlung zugeschalteten Aktionären ein Recht zum Widerspruch zur Verfügung zu stellen. - Um Anfechtungsrisiken für die Gesellschaften abzumildern, werden die bestehenden Vorschriften des Aktiengesetzes, die Anfechtungsmöglichkeiten im Falle technischer Störungen begrenzen, auf die virtuelle Hauptversammlung ausgedehnt. Über solche technischen Störungen hinaus bleibt das Anfechtungsrecht eröffnet.
- Die virtuelle Hauptversammlung enthält keine gesetzliche Begrenzung bezüglich in ihr zu behandelnder Gegenstände.
- Neben Aktiengesellschaften erfasst das Gesetz auch die Versammlungen der verwandten Rechtsformen Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA), Europäische Aktiengesellschaft (SE) und Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG).
- Auch für die Generalversammlung bei Genossenschaften treten neue Regelungen zu digitalen Versammlungsformen in Kraft.
(PM BMJ vom 26.7.2022)