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BAG: Unzulässiges Teilurteil – Abschluss einer Betriebsvereinbarung – fehlender Beschluss des Betriebsrats – Anscheinsvollmacht – Pflicht zur Aushändigung einer Abschrift des Sitzungsprotokolls

Das BAG hat mit Urteil vom 8.2.2022 – 1 AZR 233/21 – wie folgt entschieden:

1. Ein Teilurteil ist unzulässig, wenn es Begründungselemente enthält, die bei der weiteren Entscheidung über den noch nicht entscheidungsreifen Teil des Rechtsstreits maßgebend sein können und weder in Rechtskraft erwachsen noch das Gericht nach § 318 ZPO für das weitere Verfahren binden (Rn. 13).

2. Eine vom Vorsitzenden des Betriebsrats unterzeichnete Betriebsvereinbarung kommt nicht wirksam zustande, wenn es an einem – zumindest (nachträglich) genehmigenden – Beschluss des Gremiums für deren Abschluss fehlt. Die vom Vorsitzenden abgegebene Erklärung kann dem Betriebsrat nicht nach den Grundsätzen einer Anscheinsvollmacht zugerechnet werden. Da das Betriebsverfassungsgesetz die Rechtsstellung des Betriebsratsvorsitzenden in besonderer Weise ausgestaltet, scheidet eine unmittelbare Anwendung dieser Grundsätze aus. Auch ihre entsprechende Anwendung kommt nicht in Betracht, weil es sich bei einer Betriebsvereinbarung um einen kollektiven und objektives Recht setzenden Normenvertrag handelt (Rn. 23 ff.).

3. Der Betriebsrat kann eine von seinem Vorsitzenden ohne einen wirksamen Betriebsratsbeschluss unterschriebene Betriebsvereinbarung entsprechend § 184 Abs. 1 BGB durch eine ordnungsgemäße Beschlussfassung genehmigen. Die Genehmigung wirkt auf den Zeitpunkt der Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung zurück (Rn. 33).

4. Nach § 29 Abs. 3 BetrVG hat der Betriebsratsvorsitzende eine Sitzung einzuberufen und den Gegenstand, dessen Beratung beantragt ist, auf die Tagesordnung zu setzen, wenn der Arbeitgeber dies beantragt. Die Norm ermöglicht dem Arbeitgeber auch, lediglich die Ergänzung der Tagesordnung für eine bereits anberaumte Sitzung des Betriebsrats zu beantragen. In diesem Fall erstreckt sich das in § 29 Abs. 4 Satz 1 BetrVG vorgesehene Teilnahmerecht des Arbeitgebers oder eines von ihm entsandten betriebsangehörigen Vertreters nur auf die Beratung über den betreffenden Tagesordnungspunkt, nicht auf eine darauf bezogene Beschlussfassung (Rn. 36 ff.).

5. Hat der Arbeitgeber an einer Sitzung des Betriebsrats teilgenommen, ist ihm nach § 34 Abs. 2 Satz 1 BetrVG der entsprechende Teil der Niederschrift abschriftlich auszuhändigen. Die Abschrift erstreckt sich auch auf den Inhalt eines vom Betriebsrat gefassten Beschlusses und das Stimmverhältnis. Zudem ist dem Arbeitgeber – neben einer Abschrift der Anwesenheitsliste – derjenige Teil der Sitzungsniederschrift abschriftlich zu überlassen, aus dem ersichtlich wird, dass sie nach § 34 Abs. 1 Satz 2 BetrVG vom Vorsitzenden und einem weiteren Betriebsratsmitglied unterschrieben wurde. Die Abschrift ist vom Betriebsratsvorsitzenden zu unterschreiben (Rn. 38 f.).

6. Bei Abschluss einer Betriebsvereinbarung hat der Betriebsrat die sich aus § 77 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 BetrVG ergebende Nebenpflicht, dem Arbeitgeber auf dessen zeitnah geltend zu machendes Verlangen eine Abschrift desjenigen Teils der Sitzungsniederschrift auszuhändigen, aus dem sich die für die Wirksamkeit der von seinem Vorsitzenden abgegebenen Erklärung notwendige Beschlussfassung des Gremiums ergibt. Die Abschrift muss den inhaltlichen und formellen Maßgaben einer Abschrift nach § 34 Abs. 2 Satz 1 BetrVG entsprechen (Rn. 40 ff.).

7. Der Rechtsstreit kann im Arbeitsgerichtsprozess – trotz der Regelung in § 68 ArbGG – ausnahmsweise an das Arbeitsgericht zurückverwiesen werden, wenn erst-instanzlich ein unzulässiges Teilurteil erlassen wurde (Rn. 51)

(Orientierungssätze)