Das BAG hat mit Urteil vom 1.12.2020 – 9 AZR 102/20, ECLI:DE:BAG:2020:011220.U.9AZR102.20.0 – entschieden:
Die kontinuierliche Durchführung einer Vielzahl von Kleinstaufträgen („Mikrojobs“) durch Nutzer einer Online-Plattform („Crowdworker“) auf der Grundlage einer mit dem Betreiber („Crowdsourcer“) getroffenen Rahmen-vereinbarung kann im Rahmen der nach § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB gebo-tenen Gesamtbetrachtung zur Annahme eines Arbeitsverhältnisses führen, wenn der Crowdworker zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet ist, die geschuldete Tätigkeit ihrer Eigenart nach einfach gelagert und ihre Durchführungen inhaltlich vorgegeben sind sowie die Auftragsvergabe und die konkrete Nutzung der Online-Plattform im Sinne eines Fremdbestimmens durch den Crowdsourcer gelenkt wird. (Leitsatz)
Orientierungssätze: 1. Das Arbeitsverhältnis und das Rechtsverhältnis eines Selbständigen unterscheiden sich durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit des Verpflichteten. Ein Arbeitnehmer leistet weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit. Die Begriffe der Weisungsgebundenheit und Fremdbestimmung sind eng miteinander verbunden und überschneiden sich teilweise (Rn. 31).
2. Weisungsgebundenheit und Fremdbestimmung können in unterschiedlicher Weise Ausdruck finden. Auch eine vom Auftraggeber geschaffene Organisationsstruktur kann den Beschäftigten durch mit ihr verbundene tatsächliche Zwänge zu dem gewünschten Verhalten veranlassen, ohne dass konkrete Anweisungen nötig sind (Rn. 33, 36).
3. Ergibt die tatsächliche Vertragsdurchführung, dass der Beschäftigte abweichend von den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen tatsächlich weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit leistet, ist die Bezeichnung im Vertrag kraft gesetzlicher Anordnung unbeachtlich. § 611a Abs. 1 Satz 6 BGB löst den Widerspruch zwischen Vertragsbezeichnung und Vertragsdurchführung zu Gunsten letzterer auf (Rn. 39).
4. Die tatsächliche Durchführung von Kleinstaufträgen („Mikrojobs“) durch den Nutzer einer Online-Plattform („Crowdworker“) auf der Grundlage einer mit deren Betreiber („Crowdsourcer“) getroffenen Vereinbarung kann im Rahmen der nach § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB gebotenen Gesamtbetrachtung ergeben, dass die rechtliche Beziehung als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist. Von Bedeutung für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass der Crowdworker zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet ist, die geschuldete Tätigkeit ihrer Eigenheit nach einfach gelagert und ihre Durchführungen inhaltlich vorgegeben sind sowie dass die Auftragsvergabe durch die konkrete Nutzung der Online-Plattform im Sinne eines Fremdbestimmens durch den Crowdsourcer gelenkt wird (Rn. 44 ff.).
BGB §§ 293, 294 ff., § 611a, § 612 Abs. 2, § 615 Satz 1, § 623; GewO § 106; KSchG § 4 Abs. 1, § 7; ZPO §§ 81, 83 Abs. 2, § 256 Abs. 1, § 308 Abs. 1 Satz 1