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EuGH: Aufnahme von Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen in strafrechtliche Ermittlungsakten

1. Art. 101 AEUV ist dahin gehend auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der die nationale Wettbewerbsbehörde und das für Kartellsachen zuständige nationale Gericht im Rahmen des in dieser Regelung vorgesehenen Amtshilfemechanismus verpflichtet sind, ihre Akten – einschließlich der Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen in diesen Akten sowie der daraus gewonnenen Informationen – der Staatsanwaltschaft auf deren Ersuchen zu übermitteln, sofern ein solcher Mechanismus die praktische Wirksamkeit dieses Artikels nicht beeinträchtigt.

2. Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie (EU) 2019/1 des Europäischen Parlaments und Rates vom 11. Dezember 2018 zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts ist dahin gehend auszulegen, dass der Schutz, den er Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen gewährt, nicht die Dokumente und Informationen umfasst, die zur Darlegung, zur Konkretisierung und zum Beweis des Inhalts dieser Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen vorgelegt wurden.

3. Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2019/1 ist im Lichte von Art. 47 Abs. 1 und 2 sowie von Art. 48 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin gehend auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der im Rahmen eines Strafverfahrens, das keine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht zum Gegenstand hat, Beschuldigte, bei denen es sich nicht um die Verfasser der Kronzeugenerklärungen oder Vergleichsausführungen handelt, ein Recht auf Zugang zu den Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen haben, die für die Zwecke eines Verfahrens vor einer nationalen Wettbewerbsbehörde erstellt und den nationalen Strafverfolgungsbehörden übermittelt worden sind; er steht aber einer nationalen Regelung entgegen, nach der sonstige Beteiligte des Strafverfahrens, insbesondere durch den fraglichen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht Geschädigte, die Ersatz des durch diese Zuwiderhandlung verursachten Schadens begehren, ein Recht auf einen solchen Zugang haben.

EuGH, Urteil vom 30.10.2025 – C-2/23

(Tenor)