BAG, Beschluss vom 19. März 2025 – 4 ABR 35/23
ECLI:DE:BAG:2025:190325.B.4ABR35.23.1
Die in § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG angeordnete Verdrängung eines Minderheitstarifvertrags
tritt im Fall einer Tarifkollision unmittelbar – ohne rechtskräftigen
Beschluss nach § 99 Abs. 3 ArbGG – kraft Gesetzes ein.
(Amtlicher Leitsatz)
- Im Verfahren nach § 99 ArbGG ist neben den Parteien der kollidierenden Tarifverträge
der hieran gebundene Arbeitgeber beteiligt. Dieser ist von einer Entscheidung
nach § 99 Abs. 3 ArbGG unmittelbar betroffen. Die tarifgebundenen betriebsangehörigen
Arbeitnehmer, für die dies ebenfalls gilt, sind aus verfahrensspezifischen Gründen
nicht beteiligt (Rn. 16 ff.). - Die in § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG vorgesehene Verdrängungswirkung des Minderheitstarifvertrags
setzt keinen rechtskräftigen Beschluss nach § 99 Abs. 3 ArbGG voraus,
sondern tritt im Kollisionsfall kraft Gesetzes unmittelbar ein (Rn. 26 ff.). - Ein Antrag nach § 99 Abs. 1 ArbGG, der auf die Feststellung des nach § 4a Abs. 2
Satz 2 TVG anwendbaren Tarifvertrags in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum
abzielt, kann zulässig sein. Voraussetzung ist allerdings das Bestehen eines besonderen
Rechtsschutzinteresses aufgrund einer gegenwärtigen, konkreten Beeinträchtigung
des durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Rechts der Tarifvertragsparteien,
namentlich auf Anwendung der Tarifverträge in den von ihnen erfassten Individualarbeitsverhältnissen
(Rn. 34 ff.). - Im Verfahren nach § 99 ArbGG ist es nach § 559 Abs. 1 ZPO grundsätzlich ausgeschlossen,
in der Rechtsbeschwerdeinstanz die Feststellung eines nach § 4a Abs. 2
Satz 2 TVG anwendbaren Tarifvertrags für einen anderen Kollisionszeitpunkt zu beantragen
als für denjenigen, der in der Vorinstanz Verfahrensgegenstand war
(Rn. 39 ff.).
(Orientierungssätze)