1. Der Grundsatz ne bis in idem (Art. 50 der Charta der Grundrechte) ist hier mangels Identität der Tat nicht anwendbar.
2. Art. 205 der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin gehend auszulegen, dass er eine Haftung für fremde Steuerschulden nur insoweit ermöglicht, als der Steuerschuldner und seine Steuerschuld bekannt sind. Eine Haftung für eine bloß geschätzte Steuerschuld eines unbekannten Dritten kann nicht auf Art. 205 der Mehrwertsteuerrichtlinie, sondern allenfalls auf Art. 273 dieser Richtlinie gestützt werden.
3. Art. 203 in Verbindung mit Art. 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist in Verbindung mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Neutralität der Mehrwertsteuer dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der die in einer falschen Rechnung ausgewiesene Mehrwertsteuer im Zusammenhang mit der Beteiligung an einer Mehrwertsteuerhinterziehung eines Dritten ohne Korrekturmöglichkeit als Haftungsschuld festgesetzt und zusätzlich – neben den strafrechtlichen Möglichkeiten – um eine Geldbuße in Höhe von weiteren 200 % des ausgewiesenen ergänzt wird.
GAin Kokott, Schlussanträge vom 5.9.2024 – C-331/23