BGH, Beschluss vom 13.7.2023 – I ZR 206/22
1. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Damit in engem Zusammenhang steht das ebenfalls aus Art. 103 Abs. 1 GG folgende Verbot von „Überraschungsentscheidungen“. Von einer solchen ist auszugehen, wenn sich eine Entscheidung ohne vorherigen Hinweis des Gerichts auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte (BVerfG, 13.02.2019 – 2 BvR 633/16, juris Rn. 24 m. w. N.). Die grundrechtliche Gewährleistung des rechtlichen Gehörs vor Gericht schützt dabei auch das Vertrauen der in erster Instanz siegreichen Partei darauf, vom Berufungsgericht rechtzeitig einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen Punkt der Vorinstanz nicht folgen will und aufgrund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Sachvortrags erforderlich sein kann (vgl. BGH, 23.04.2009 – IX ZR 95/06, WRP 2009, 845 m. w. N.).
2. Hinweise hat das Gericht gem. § 139 Abs. 4 S. 1 ZPO so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann gemäß § 139 Abs. 4 S. 2 ZPO nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Erteilt das Berufungsgericht den Hinweis entgegen § 139 Abs. 4 S. 1 ZPO erst in der mündlichen Verhandlung, so muss es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Ist offensichtlich, dass sich die Partei in der mündlichen Verhandlung nicht abschließend erklären kann, so muss das Gericht, wenn es nicht ins schriftliche Verfahren übergeht, die mündliche Verhandlung auch ohne einen Antrag auf Schriftsatznachlass vertagen, um Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Sofern die Akten die Erteilung des gebotenen Hinweises nicht hinreichend dokumentieren, gilt dieser als nicht erteilt.
3. Gemessen hieran hat das Berufungsgericht mit seiner von der landgerichtlichen Entscheidung abweichenden Beurteilung, es bestehe zwischen den einander gegenüberstehenden Zeichen der Parteien eine Verwechslungsgefahr gemäß Art. 9 Abs. 2 Buchst. b UMV, das Gehörsrecht der Klägerin in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht mit Erfolg geltend, dass die Klägerin maßgebliche Erwägungen des Berufungsgerichts ohne vorherigen Hinweis erst aus der schriftlichen Urteilsbegründung erfahren hat.
(Redaktionelle Leitsätze)