Die Europäische Kommission will die EU-Kapitalmarktunion weiter ausbauen. Kommissarin Mairead McGuinness, zuständig für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und die Kapitalmarktunion, sagte: „Heute unternehmen wir drei große Schritte auf dem Weg zur Kapitalmarktunion. Erstens bauen wir im Bereich des Clearing Marktinfrastruktur-Kapazitäten in der EU auf, wobei wir unsere Märkte offen halten. Zweitens erleichtern wir im Bereich der Notierung den Unternehmen den Zugang zu mehr Finanzierungsarten. Drittens ergreifen wir im Bereich der Insolvenz von Nichtbanken Maßnahmen, um eines der größten Hindernisse, das die nationalen Märkte trennt, abzubauen.“
Die heute vorgeschlagenen Maßnahmen verfolgen diese Ziele:
- Steigerung der Attraktivität und Widerstandsfähigkeit der in der EU erbrachten Clearingdienste, Unterstützung der offenen strategischen Autonomie der EU und Wahrung der Finanzstabilität.
- EU-weite Harmonisierung bestimmter Insolvenzvorschriften für Nichtbanken, um die Vorschriften effizienter zu gestalten und grenzüberschreitende Investitionen zu fördern.
- Verringerung des Verwaltungsaufwands für Unternehmen jeder Größe, insbesondere KMU, durch einen neuen Rechtsakt zur Notierung an öffentlichen Märkten, damit die Unternehmen durch eine Börsennotierung leichter Zugang zu Finanzmitteln erhalten können.
Exekutiv-Vizepräsident Valdis Dombrovskis sagte: „Es könnte keinen besseren Zeitpunkt geben, um den europäischen Unternehmen den Zugang zu verschiedenen Finanzierungsquellen zu erleichtern und um ihre Wachstums- und Innovationsfähigkeit sowie ihre Fähigkeit, Arbeitsplätze zu schaffen und Investitionen anzuziehen, zu stärken. Dies ist seit jeher das Ziel der Kapitalmarktunion. Wir haben gute Fortschritte erzielt, aber wir können noch mehr tun. Das heutige Paket ist ein weiterer Schritt zur Stärkung der europäischen Wirtschaft und zur Stützung unseres langfristigen Wachstums.“
Clearing
Mit Blick auf eine gut funktionierende Kapitalmarktunion braucht die EU ein sicheres, robustes und attraktives Clearing. Wenn das Clearing nicht effizient funktioniert, sind Finanzinstitute, Unternehmen und Anleger mit höheren Risiken und Kosten konfrontiert. Die Finanzkrise von 2008 hatte das offengelegt.
Die heute vorgeschlagenen Maßnahmen werden
- die europäische Clearing-Landschaft attraktiver machen, da sie die zentralen Gegenparteien (central counterparties, „CCPs“) – die Clearingdienste erbringen – in die Lage versetzen, ihre Produkte schneller und einfacher zu erweitern. Auch bieten sie den EU-Marktteilnehmern weitere Anreize, Clearingdienste von EU-CCPs in Anspruch zu nehmen und bei ihnen Liquidität aufzubauen.
- einen Beitrag zum Aufbau eines sicheren und widerstandsfähigen Clearingsystems leisten, indem sie den EU-Aufsichtsrahmen für CCPs stärken und den durch die Aggression Russlands gegen die Ukraine bedingten jüngsten Entwicklungen an den Energiemärkten Rechnung tragen. Geplant ist zum Beispiel eine Erhöhung der Transparenz von Nachschussforderungen, damit Marktteilnehmer (einschließlich Energieunternehmen) besser in der Lage sind, solche Forderungen vorherzusehen.
- übermäßige Risikopositionen von EU-Marktteilnehmern gegenüber CCPs in Drittländern reduzieren, insbesondere bei Derivaten, die nach Ansicht der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde von „wesentlicher Systemrelevanz“ sind. Der heutige Vorschlag verpflichtet alle relevanten Marktteilnehmer, für das Clearing von mindestens einem Teil bestimmter systemrelevanter Derivatekontrakte aktive Konten bei EU-CCPs zu unterhalten. Dies wird das Management von Risiken für die Finanzstabilität in der EU verbessern.
Das Paket zum Clearing besteht aus:
- einer Mitteilung,
- einer Verordnung zur Änderung der Verordnung über europäische Marktinfrastrukturen (EMIR), der Eigenmittelverordnung (CRR) und der Verordnung über Geldmarktfonds (MMF) und
- einer Richtlinie zur Änderung der Eigenkapitalrichtlinie (CRD), der Richtlinie über Wertpapierfirmen und der Richtlinie über Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW-Richtlinie).
Insolvenz von Nichtbanken
Jeder Mitgliedstaat hat seine eigene Insolvenzregelung. Das ist eine Herausforderung für grenzüberschreitende Anleger, die bei der Bewertung einer Anlagemöglichkeit 27 unterschiedlichen Insolvenz-Regelwerken Rechnung tragen müssen. Justizkommissar Didier Reynders sagte: „In der EU gibt es sehr unterschiedliche Insolvenzregelungen. Diese Situation führt nicht nur zu Rechtsunsicherheit und behindert Investitionen über EU-Grenzen hinweg, sondern zieht auch übermäßige Beitreibungszeiten und hohe Gerichtskosten nach sich. Die neuen Vorschriften werden gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleisten und dabei – durch Festlegung gemeinsamer, an das digitale Zeitalter angepasster Schutzvorkehrungen und Standards – die Anleger unterstützen, den freien Kapitalverkehr fördern und den Markt stärken.“
Der Vorschlag über eine Richtlinie zur Insolvenz von Nichtbanken wird
- bestimmte Aspekte von Insolvenzverfahren EU-weit harmonisieren. Er enthält beispielsweise Vorschriften über:
- Maßnahmen zur Erhaltung der Insolvenzmasse (d. h. Vermeidung von Handlungen von Schuldnern, durch die der Wert, den die Gläubiger erhalten können, verringert würde),
- Gläubigerausschüsse, um eine gerechte Verteilung des beigetriebenen Werts unter den Gläubigern sicherzustellen,
- sogenannte Pre-pack-Verfahren (ein nach dem englischen Begriff „pre-packaged insolvency sale“ benanntes Verfahren, bei dem die Veräußerung des Unternehmens vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinbart wird),
- die Verpflichtung der Mitglieder der Unternehmensleitung, rechtzeitig Insolvenz anzumelden, um zu verhindern, dass der Wert des Unternehmens Schaden nimmt.
- eine vereinfachte Regelung für Kleinstunternehmen einführen, um die Kosten für deren Abwicklung zu senken und den Eigentümern der Unternehmen eine Schuldenbefreiung zu ermöglichen, sodass ihnen ein Neuanfang als Unternehmer möglich ist.
- die Mitgliedstaaten verpflichten, ein Informationsblatt zu erstellen, in dem die wesentlichen Elemente ihres nationalen Insolvenzrechts zusammengefasst werden, um grenzüberschreitenden Anlegern ihre Entscheidungen zu erleichtern.
Diese Maßnahmen werden grenzüberschreitende Investitionen im gesamten Binnenmarkt fördern, die Kapitalkosten für Unternehmen senken und letztlich einen Beitrag zur EU-Kapitalmarktunion leisten. Insgesamt wird der Nutzen des Vorschlags auf über 10 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.
Rechtsakt zur Notierung an öffentlichen Märkten
Für Unternehmen ist die Notierung an öffentlichen Märkten mit erheblichen Anforderungen verbunden. So können sich beispielsweise die Prospektdokumente auf bis zu 800 Seiten erstrecken.
Die heute vorgeschlagenen Änderungen werden
- die Dokumentation, die Unternehmen für eine Notierung an öffentlichen Märkten benötigen, vereinfachen und die Verfahren der Kontrolle durch die nationalen Aufsichtsbehörden straffen, wodurch das Notierungsverfahren beschleunigt und die Kosten gesenkt werden, soweit dies möglich ist. Schätzungen zufolge werden an öffentlichen Märkten in der EU notierte Unternehmen beispielsweise rund 100 Millionen Euro pro Jahr durch niedrigere Befolgungskosten einsparen, während Unternehmen allein durch einfachere Prospektvorschriften Einsparungen in Höhe von 67 Millionen Euro pro Jahr erzielen werden.
- bestimmte Vorschriften in Bezug auf Marktmissbrauch einfacher und klarer gestalten, ohne die Marktintegrität zu beeinträchtigen.
- die Sichtbarkeit der Unternehmen gegenüber den Anlegern verbessern, indem sie die Finanzanalyse, insbesondere in Bezug auf kleine und mittlere Unternehmen, fördern.
- Unternehmern die Möglichkeit geben, bei einer Notierung an KMU-Wachstumsmärkten auf Mehrstimmrechtsaktien-Strukturen zurückzugreifen, damit sie auch nach der Notierung eine ausreichende Kontrolle über ihr Unternehmen behalten können und gleichzeitig die Rechte aller anderen Aktionäre geschützt werden.
Diese Maßnahmen werden die Kapitalmarktunion dadurch voranbringen, dass unnötiger administrativer Aufwand und unnötige Kosten für die Unternehmen vermieden werden. Dies wird Unternehmen zu einer Notierung an den EU-Kapitalmärkten oder zur Beibehaltung einer solchen Notierung ermutigen. Ein leichterer Zugang zu öffentlichen Märkten wird die Unternehmen in die Lage versetzen, ihre Finanzierungsquellen besser zu diversifizieren und zu ergänzen.
Das Paket zur Notierung an öffentlichen Märkten besteht aus:
- einer Änderungsverordnung zur Änderung der Prospektverordnung, der Marktmissbrauchsverordnung und der Verordnung über Märkte für Finanzinstrumente,
- einer Änderungsrichtlinie zur Änderung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und zur Aufhebung der Notierungsrichtlinie und
- einer Richtlinie über Mehrstimmrechtsaktien.
Weitere Einzelheiten und nächste Schritte
Die sechs Legislativvorschläge werden nun dem Europäischen Parlament und dem Rat zur Annahme vorgelegt.
(PM EU-Kommission – Vertretung in Deutschland – vom 07.12.2022)