EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin vom 01.12.2022 in der Rechtssache C-626/21 – Funke
Nach Auffassung der Generalanwältin Tamara Ćapeta ergibt sich das Recht eines Wirtschaftsteilnehmers, die Vervollständigung einer RAPEX- Meldung zu verlangen, zwar nicht unmittelbar aus den RAPEX betreffenden Unionsvorschriften, kann aber aus dem in Art. 34 AEUV niedergelegten Verbot von Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung hergeleitet werden
Mit dem vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) in dieser Rechtssache vorgelegten Vorabentscheidungsersuchen wird der Gerichtshof erstmalig um eine Auslegung der Bestimmungen des Unionsrechts ersucht, die das System zum raschen Informationsaustausch (RAPEX) für gefährliche Non- Food-Produkte betreffen.
Das RAPEX-System sieht vor, dass ein Mitgliedstaat, der feststellt, dass ein gefährliches Produkt auf seinem Markt in Verkehr gebracht wurde, dies den anderen Mitgliedstaaten über die Europäische Kommission meldet. In dieser Rechtssache geht es um dieses System, insbesondere um die Rechte von Wirtschaftsteilnehmern, an diesem System beteiligt zu werden, wenn die Waren, mit denen sie handeln, Gegenstand einer solchen Meldung sind.
Bei den Produkten, um die es in dieser Rechtssache geht, handelt es sich um schallerzeugende Feuerwerkskörper, die von Funke, einem polnischen Unternehmen, aus China in die Europäische Union eingeführt werden. Sie wurden über verschiedene Händler in mehreren Mitgliedstaaten, darunter auch Österreich, verkauft. Nachdem die zuständige österreichische Behörde festgestellt hatte, dass diese Feuerwerkskörper für Anwender nicht handhabungssicher seien, leitete sie ein RAPEX-Meldeverfahren ein und übermittelte über die nationale RAPEX-Kontaktstelle drei gesonderte Meldungen. Die Kommission leitete diese Meldungen nach einer Überprüfung an die Mitgliedstaaten weiter.
Funke war der Ansicht, dass die Produkte in diesen über RAPEX übermittelten Meldungen nicht ordnungsgemäß beschrieben worden seien, und beantragte bei der zuständigen österreichischen Behörde, die RAPEX-Meldungen durch Ergänzung der Chargennummern der betroffenen Produkte zu vervollständigen. Ihre Anträge wurden jedoch zurückgewiesen. Nach österreichischem Recht könnte Funke bei den Gerichten in Österreich eine gerichtliche Überprüfung dieser Zurückweisung nur beantragen, wenn ihr ein Recht zustünde, die Vervollständigung einer RAPEX-Meldung zu verlangen. Vor diesem Hintergrund hat der Verwaltungsgerichtshof (Österreich) dem Gerichtshof eine Reihe von Fragen vorgelegt.
In ihren Schlussanträgen vom 1.12.2022 schlägt Generalanwältin Tamara Ćapeta dem Gerichtshof vor, zu entscheiden, dass sich das Recht eines Wirtschaftsteilnehmers, die Vervollständigung einer RAPEX-Meldung zu verlangen, aus den Vertragsbestimmungen ableiten lasse, nach denen es den Mitgliedstaaten verboten sei, ungerechtfertigte Handelshindernisse vorzusehen. Ein Wirtschaftsteilnehmer, dessen Antrag auf Vervollständigung von der zuständigen Behörde abgelehnt worden sei, müsse Zugang zu einem Gericht erhalten, um diese Ablehnung anfechten und geltend machen zu können, dass die unvollständige Meldung ein ungerechtfertigtes Handelshindernis darstelle.
Nach Ansicht von Generalanwältin Ćapeta sind die RAPEX betreffenden Unionsvorschriften nicht darauf ausgelegt, Wirtschaftsteilnehmer als Parteien zu behandeln, die im Rahmen des RAPEX-Meldeverfahrens mit bestimmten Rechten ausgestattet sind. Obwohl sich das Recht eines Wirtschaftsteilnehmers, die Vervollständigung einer RAPEX-Meldung zu verlangen, nicht aus diesen Vorschriften ableiten lasse, seien Wirtschaftsteilnehmer, die durch eine unvollständige RAPEX-Meldung beeinträchtigt würden, innerhalb der Unionsrechtsordnung nicht rechtsschutzlos gestellt. Ihr Recht, die Vervollständigung einer RAPEX- Meldung zu verlangen, ergebe sich aus den den freien Warenverkehr betreffenden Vorschriften des Vertrags.
Eine unvollständige RAPEX-Meldung könne den Handel mit sicheren Produkten behindern, die unberechtigt von ihr erfasst würden. Eben deshalb verlangten die einschlägigen Rechtsvorschriften des Unionsrechts, dass die gemeldeten Daten so genau und vollständig wie möglich sein müssten. Die bloße Möglichkeit, dass ein Wirtschaftsteilnehmer in einem anderen Mitgliedstaat durch eine von den zuständigen nationalen Behörden über RAPEX übermittelte unvollständige Meldung davon abgehalten werden könnte, die irrtümlich in der RAPEX-Meldung aufgeführten Produkte einzuführen oder zu vertreiben, stelle für einen Wirtschaftsteilnehmer bereits eine Behinderung des freien Warenverkehrs dar.
Auch wenn der Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher sicherlich ein legitimes Ziel sei, das RAPEX-Meldungen rechtfertige, rechtfertige es nicht notwendigerweise unvollständige Meldungen. Während eine korrekte und genaue RAPEX-Meldung eine Beeinträchtigung der Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher verhindere, könnte eine nicht korrekte und nicht genaue RAPEX-Meldung das Inverkehrbringen von Produkten behindern, die keine ernste Gefahr darstellten. Eine unvollständige RAPEX-Meldung könne daher eine verbotene Maßnahme gleicher Wirkung darstellen, wenn sie den Handel mit sicheren Produkten, die fälschlicherweise darin genannt seien, unverhältnismäßig behindere. Angesichts dieser Möglichkeit müsse ein Wirtschaftsteilnehmer Zugang zu einem Gericht haben, das befugt sei, zu prüfen, ob eine unvollständige RAPEX-Meldung gerechtfertigt ist.
(EuGH, PM Nr. 194/22 vom 1.12.2022)