Am 3.5.2021 fand die Anhörung im Finanzausschuss zum Gesetzentwurf statt, der grenzüberschreitende Steuervermeidung erschweren soll. Neben viel Zustimmung gab es von den Experten auch eine Menge Kritik.
Der Gesetzentwurf geht zurück auf die Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates vom 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes – ABl. L 193 vom 19.7.2016, S. 1 (Anti-Steuervermeidungsrichtlinie/ATAD), geändert durch Art. 1 der Richtlinie (EU) 2017/952 des Rates vom 29.5.2017 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2016/1164 bezüglich hybrider Gestaltungen mit Drittländern (ABl. L 144 vom 7.6.2017, S. 1/ATAD II, die bis Ende 2019 hätte umgesetzt werden müssen. Die EU-Kommission hat gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass Deutschland zwar bereits heute weitgehend die vorgegebenen Mindeststandards der Richtlinie erfülle, es gebe aber in einigen Bereichen Anpassungsbedarf, der mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie umgesetzt werden soll.
Um dem Vertragsverletzungsverfahren den Garaus zu machen, will die Bundesregierung eine Regelung: die Beschränkung der Abzugsfähigkeit von Betriebsausgaben bei Auslandseinkünften, rückwirkend zum 1.1.2020 in Kraft setzen. Die Rechtfertigung für diese Rückwirkung lautet, die Steuerpflichtigen hätten mit einer solchen Regelung rechnen können. Mehrere Sachverständige kritisierten diesen Punkt. „Verfassungsrechtlich äußerst zweifelhaft“ nannte Professor Dr. Xaver Ditz, Universität Trier und zugleich Kanzlei Flick Gocke Schaumburg diese Regelung. Er wies auch auf die praktisch problematischen Fälle hin, falls für 2020 bereits eine Steuererklärung abgegeben worden sei.
Dr. Arne Schnitger von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers GmbH beurteilte dieses rückwirkende Inkrafttreten ebenso kritisch. Die EU-Vorgaben wären mit dieser bisher im deutschen Steuerrecht nicht enthaltenen Norm korrekt umgesetzt. Er hielt ein Inkrafttreten am 1.1.2022 für sinnvoll.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie vertreten durch Dr. Monika Wünnemann nannte es unverständlich, dass der Gesetzentwurf nicht die Vorgaben der EU-Richtlinie ATAD eins zu eins umsetze, sondern in mehreren Punkten darüber hinausgehe. Damit schaffe die Bundesregierung „einen deutlichen Wettbewerbsnachteil für deutsche Unternehmen“.
Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit e. V. war anderer Meinung und verwies darauf, dass EU-Richtlinien immer Mindeststandards setzten und keine Notwendigkeit bestünde, sie eins zu eins zu übernehmen. Er mahnte darüber hinaus eine wirksame Regelung für firmeninterne Kredite an, auch wenn ATAD dies nicht verlange, „da darüber erhebliche Gewinnverschiebungen in Konzernen erfolgten“. Eine solche Regelung sei in einem früheren Referentenentwurf enthalten gewesen. Auch der Finanzausschuss des Bundesrates fordere die Wiederaufnahme einer solchen Regelung. Diese Auffassung wurde von Dr. Achim Pross von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) uneingeschränkt geteilt. Konzerninterne Kredite seien weltweit für etwa ein Drittel der Gewinnverlagerungen verantwortlich. Er verwies ferner auf eine weltweite Bewegung zur Angleichung des Steuerrechts, die das Ausmaß der Steuervermeidung bereits vermindert hätte. Die ATAD-Richtlinie wie die geplante deutsche Umsetzung reihten sich hier ein und entsprächen dabei den Vorgaben der OECD.
Die im Gesetzentwurf enthaltene Regelung zur sog. Wegzugsbesteuerung sah sich auch vielfacher Kritik ausgesetzt. Die Wegzugsbesteuerung soll verhindern, dass die stillen Reserven, die in Wirtschaftsgütern enthalten sind, der deutschen Besteuerung entzogen werden. „Die Absicht sei nicht in Frage zu stellen“ meinte Rainer Kambeck vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag. Aber der Zugriff des Fiskus bereits vor Realisierung der stillen Reserven sei nicht zu rechtfertigen. Liquiditätsschonend sei diese Regelung nicht. Da das ATAD diese Regelung nicht verlange, solle sie zurückgestellt werden. In diesem Zusammenhang waren die Experten uneins, ob die Wegzugs-Regelung dem Urteil des EuGH vom 26.2.2019 widerspricht. Auf der einen Seite verlange der EuGH zwar eine dauerhafte Stundung, aber er habe die Wegzugsbesteuerung nicht als unionsrechtswidrig gebrandmarkt. Der Gesetzentwurf sehe zudem die Stundung auf Antrag vor, meinte Professor Dr. David Hummel von der Universität Leipzig.
Wegen der angemessenen Höhe der Besteuerung war unter den Sachverständigen keine Einigung zu erzielen. Die Anrechnung im Ausland bereits bezahlter Steuern nicht nur auf die Körperschaftsteuer, sondern auch auf die Gewerbesteuer solle eingeführt werden, da ansonsten in bestimmten Fällen eine Doppelbesteuerung drohe. Dies bringe Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen mit sich.
Dr. Lukas Hakelberg, Freie Universität Berlin, sieht die von den USA 1989 eingeleitete Ära des globalen Steuerwettbewerbs zu Ende gehen. Drei Gründe führte er dafür an: Der neue US-Präsident Joe Biden fordere eine Mindeststeuer von 21 %. Die Staaten müssten die in der CORONA-Pandemie entstandenen Defizite decken und zu guter Letzt unterstützten große Teile der amerikanischen Tech-Industrie den Biden-Vorschlag. Unternehmen, die sich gegen diese Entwicklung stellten, drohe ein Prestigeschaden.
Insgesamt ein ernüchterndes Bild. Mal sehen, ob und wie der Gesetzgeber sich von dieser Anhörung beeindrucken lässt.
Professor Dr. iur. Michael Stahlschmidt lehrt an der FHDW Paderborn Steuerrecht, Rechnungswesen und Controlling und ist Ressortleiter des Ressorts Steuerrecht des Betriebs-Berater und Schriftleiter Der Steuerberater, Frankfurt am Main/Medebach.