Mit Beschluss vom 29.4.2025 – 2 BvR 1440/23 hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde eines Autoherstellers nicht zur Entscheidung angenommen, die sich unter anderem gegen ein Revisionsurteil des VIa. Zivilsenats (Hilfssenat) des Bundesgerichtshofs in einem sogenannten Dieselverfahren richtet.
In dem angegriffenen Urteil entschied der Bundesgerichtshof erstmals, dass eine deliktische Haftung der Fahrzeughersteller wegen Verletzung von Regelungen der EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung auf Ersatz des Differenzschadens in Betracht kommt. Er verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück. Dieses folgte der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs, wies aber die Klage wegen der vorzunehmenden Vorteilsausgleichung letztlich ab.
Die Verfassungsbeschwerde blieb ohne Erfolg. Die Beschwerdeführerin hat weder eine unmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit durch das angegriffene Urteil noch die Möglichkeit einer Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten, insbesondere im Hinblick auf die Einrichtung und die Besetzung des Hilfssenats beim Bundesgerichtshof, hinreichend dargelegt.
Sachverhalt:
1. Die Beschwerdeführerin wurde im Ausgangsverfahren vom Käufer eines von ihr hergestellten und veräußerten Kraftfahrzeugs wegen behaupteter Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen auf Schadensersatz in Anspruch genommen.
Das Berufungsgericht wies die – in erster Instanz erfolgreiche – Klage ab. Auf die dagegen eingelegte Revision des Klägers hob der Bundesgerichtshof – VIa. Zivilsenat (Hilfssenat) – mit dem hier angegriffenen Urteil das Berufungsurteil insoweit auf, als die Klage betreffend eine deliktische Schädigung des Klägers durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs abgewiesen worden war. Er wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück. Das Urteil des Bundesgerichtshofs berücksichtigte dabei eine zwischenzeitlich ergangene Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union und entschied, dass eine deliktische Haftung der Fahrzeughersteller wegen der Verletzung von Regelungen der EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung auf Ersatz des Differenzschadens in Betracht kommt.
Im erneuten Berufungsverfahren wies das Berufungsgericht die Klage ab. Dabei folgte es der vom Bundesgerichtshof vertretenen Rechtsauffassung. Es verneinte einen darauf gestützten Anspruch des Klägers auf Ersatz des Differenzschadens letztlich aber, weil aufgrund der vorzunehmenden Vorteilsausgleichung kein Schaden verblieben sei.
2. Der mit der Sache befasste VIa. Zivilsenat (Hilfssenat) wurde durch Beschluss des Präsidiums des Bundesgerichtshofs vom 21. Juli 2021 mit Wirkung zum 1. August 2021 „vorübergehend als Hilfsspruchkörper“ eingerichtet. Ihm wurde für die ab diesem Zeitpunkt neu eingehenden Verfahren die Zuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten über Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen zugewiesen, soweit sie den Vorwurf einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei einem Kraftfahrzeug mit Dieselmotor zum Gegenstand haben.
3. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass sie als Adressatin des angegriffenen Urteils selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sei. Sie rügt die Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) im Hinblick auf die Einrichtung und Besetzung des VIa. Zivilsenats (Hilfssenat) sowie die Verletzung weiterer Grundrechte und grundrechtsgleicher Rechte im Hinblick auf das Verfahren und den Inhalt des Urteils.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
1. Die Beschwerdeführerin hat bereits eine unmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit durch das angegriffene Urteil nicht hinreichend dargelegt.
a) Aus der Entscheidungsformel des angegriffenen Urteils ergibt sich keine gegenwärtige und unmittelbare Betroffenheit. Der Tenor „Aufhebung und Zurückverweisung“ bestimmt vorliegend nicht verbindlich, welche Rechtsfolgen aufgrund eines festgestellten Sachverhalts für die Parteien des Ausgangsverfahrens am Ende eintreten. Dies geschah erst durch das – von der Beschwerdeführerin nicht angegriffene nachfolgend ergangene – verfahrensabschließende Urteil des Berufungsgerichts. Die Bindungswirkung des angegriffenen Urteils des Bundesgerichtshofs ändert daran nichts. Denn auch insoweit handelt es sich lediglich um Rechtsausführungen in den Gründen einer Entscheidung, die für sich allein noch keine Beschwer begründen. Dies gilt jedenfalls, solange – wie hier – der Prozessausgang trotz Bindungswirkung offenbleibt, der Beschwerdeführer also im Ergebnis mit seinem Begehren noch Erfolg haben kann.
b) Auf eine mögliche Beschwer in anderen Verfahren kommt es nicht maßgeblich an. Eine solche lässt sich mangels Bindungswirkung der vorliegend angegriffenen Rechtsprechungsgrundsätze für andere Verfahren und angesichts der stets im Einzelfall zu prüfenden Tatbestandsvoraussetzungen bereits nicht allgemein vorhersehen. Ungeachtet dessen setzt die Beschwerdebefugnis für eine Verfassungsbeschwerde grundsätzlich eine konkrete Beschwer im jeweiligen Einzelfall voraus.
2. Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin eine mögliche Verletzung ihrer Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte durch das angegriffene Urteil nicht hinreichend dargelegt.
a) Die Begründungsanforderungen an eine Verfassungsbeschwerde sind nicht erfüllt, soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wegen der Entscheidung durch einen – nach ihrer Auffassung – gesetzeswidrig eingerichteten und besetzten Hilfssenat rügt.
aa) Die Verfassungsbeschwerde setzt sich mit den verfassungsrechtlichen Maßstäben zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht hinreichend auseinander. Sie verkennt insbesondere, dass der Kontrollmaßstab vorliegend auf eine Willkürprüfung beschränkt ist. Denn die Verfassungsbeschwerde betrifft nach ihrem Vorbringen allein die behauptete fehlerhafte Anwendung und Auslegung einfachrechtlicher Zuständigkeitsregelungen durch das Präsidium des Bundesgerichtshofs. Auf den von der Beschwerdeführerin angeführten strengeren, über eine Willkürprüfung hinausgehenden Prüfungsmaßstab kommt es nicht an. Eine in den Anwendungsbereich dieses strengeren Maßstabs fallende Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zeigt die Verfassungsbeschwerde weder auf, noch liegt eine solche auf der Hand. Die mit Blick auf den eingeschränkten Kontrollmaßstab des Bundesverfassungsgerichts erforderliche Darlegung, dass das Präsidium des Bundesgerichtshofs bei der Einrichtung und der Besetzung des VIa. Zivilsenats einfachrechtliche Regelungen objektiv willkürlich und/oder unter Verkennung der Bedeutung und Tragweite von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ausgelegt oder angewendet hat, nimmt die Verfassungsbeschwerde weitgehend gar nicht, zumindest aber nicht hinreichend vor.
bb) Auch mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht und dem konkreten Fall setzt sich die Verfassungsbeschwerde nicht hinreichend auseinander. Die Beschwerdeführerin hält eine auf § 21e Abs. 3 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz gestützte Einrichtung eines Hilfsspruchkörpers durch Präsidiumsbeschluss sowie die Besetzung des Spruchkörpervorsitzes nicht mit einem Vorsitzenden Richter oder einer Vorsitzenden Richterin generell für unzulässig. Dabei stellt sie die einschlägige gegenteilige ständige Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs zur Bildung von Hilfsspruchkörpern bei den Strafgerichten weder im Gesamtzusammenhang dar, noch setzt sie sich mit ihr vollständig und ins Einzelne gehend auseinander. Das Vorbringen beschränkt sich in wesentlichen Teilen auf die Darstellung, wie bestimmte Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes aus Sicht der Beschwerdeführerin auszulegen seien, was zur Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht genügt. Soweit sie darüber hinaus Verstöße gegen die von den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs entwickelten Anforderungen bezüglich Einrichtung und Bestehen von Hilfsspruchkörpern rügt, stellt sie die jeweilige Rechtsprechung unzureichend dar. Sie setzt sich auch nicht hinreichend damit auseinander, inwieweit diese auf den vorliegenden Fall der Einrichtung eines Hilfssenats in Zivilsachen beim Bundesgerichtshof übertragbar ist. Weiter verkennt die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang, dass es sich bei den genannten Anforderungen der Sache nach zunächst um eine fachgerichtliche Auslegung des einfachen Rechts handelt. Es hätte insoweit einer näheren Begründung bedurft, inwieweit daraus eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgt.
cc) Ferner geht die Verfassungsbeschwerde nicht hinreichend auf die Umstände des konkreten Falls ein. Die Beschwerdeführerin lässt im Rahmen ihrer Ausführungen – vor allem soweit sie die Frage aufwirft, ob für die Einrichtung eines Hilfssenats überhaupt Bedarf bestehe – die konkrete Ausgangslage, in der das Präsidium des Bundesgerichtshofs den vorliegenden Hilfssenat einrichtete, unberücksichtigt. Weder geht sie auf die ungewöhnlich große und seit langer Zeit auf hohem Niveau verbleibende Anzahl an Dieselverfahren mit sich fortlaufend neu aufwerfenden rechtlichen und tatsächlichen Fragestellungen ein, noch befasst sie sich mit den vor der Errichtung des Hilfssenats vom Präsidium des Bundesgerichtshofs wegen Überlastung des ursprünglich zuständigen VI. Zivilsenats ergriffenen Abhilfemaßnahmen, die aus (veröffentlichten) früheren Präsidiumsbeschlüssen ersichtlich sind. Die Beschwerdeführerin berücksichtigt in ihrer Argumentation zudem die besonderen Aufgaben des Bundesgerichtshofs nicht hinreichend. Der Bundesgerichtshof hat für Rechtseinheitlichkeit und Rechtsfortbildung Sorge zu tragen. Damit obliegt ihm nicht nur die Aufstellung von für die Rechtsanwender richtungsweisenden Leitsätzen und Orientierungshilfen, vielmehr hat er auch sicherzustellen, dass in den ihm anvertrauten Rechtsmaterien höchstrichterlich eine möglichst einheitliche Linie verfolgt wird. Dies würde durch die Verteilung der Zuständigkeit auf mehrere Zivilsenate erschwert.
b) Die Begründungsanforderungen sind auch nicht erfüllt, soweit die Beschwerdeführerin bezogen auf Verfahren und Inhalt des Urteils weitere Verletzungen von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten rügt.
(PM Nr. 46/2025 vom 27.5.2025)