Die Aufklärungsarbeit des Wirecard-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags (BT) fördert immer neue Lücken bei der Überwachung von Unternehmen zutage. So hatte die Regierung die Prüfung von Bilanzen an einen Verein übertragen, der keine Durchgriffsmöglichkeiten zur Aufdeckung von Betrug hatte – ein wichtiges Thema der Sitzung des dritten Untersuchungsausschusses (Wirecard) am 11.2.2021 unter der Leitung von Kay Gottschalk (AfD). Auch die Rolle der Börsenaufsicht bei der Verhängung eines Leerverkaufsverbots Anfang 2019 spielte eine Rolle. Der hessische Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Tarek Al-Wazir (Bündnis 90/Die Grünen), berichtete vor dem Ausschuss von ersten Auswirkungen auf den Finanzstandort Frankfurt: „Wir merken in unseren Gesprächen, dass das Thema Wirecard eine Rolle spielt.“ Es stelle sich allgemein die Frage: Wie konnte das passieren? Deutschland müsse an der Integrität der Finanzmärkte arbeiten, sagte Al-Wazir. Als hessischer Wirtschaftsminister ist er Chef der Börsenaufsicht. Wirecard war 2018 in den Dax aufgestiegen. Grundlage waren hohe Umsätze und Gewinne, die im Rückblick auf Betrug beruhten. Auch wenn die Börsenaufsicht nicht für die korrekten Bilanzen aller Aktiengesellschaften zuständig ist, gibt es doch eine Querverbindung zu den Versäumnissen in der Überwachung, mit der sich der Ausschuss beschäftigte. Die Handelsüberwachungsstelle der Frankfurter Wertpapierbörse (HÜSt) hatte im Februar einen Bericht angefertigt, der Medienberichte über Betrug bei Wirecard in Frage stellte und die Möglichkeit aufwarf, es könne ein Versuch der Marktmanipulation dahinterstecken. „Wir waren hinterher schockiert, wie falsch wir hier gelegen haben“, sagte Andreas Mitschke, der heutige Leiter der HÜSt. Im Umfeld des HÜSt-Berichts hatte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) Wetten auf fallende Kurse, sog. Leeverkäufe, der Wirecard-Aktie verboten. Viele Zeugen vor dem Ausschuss haben sich in den vergangenen Wochen auf die Signalwirkung dieses Verwaltungsakts für ihr Handeln berufen. Er hatte suggeriert, dass die Beamten der Finanzaufsicht den Unschuldsbeteuerungen des Wirecard-Vorstands glaubten. Der Abgeordnete Jens Zimmermann (SPD) sieht hier einen Grund dafür, dass sich das Unternehmen als Opfer darstellen konnte statt früher als Täter wahrgenommen zu werden. Al-Wazir sieht auch bei der Organisation der Börse Verbesserungsbedarf. Wirecard hatte mit einem Trick das Verfahren eines Börsengangs umgangen. Das Unternehmen hatte sich eine bereits notierte Firma gesucht und diese übernommen. „Es hat sich diese Hülle gesucht, ist da reingeschlüpft, und hat so die eigentlich vorgesehenen Prüfungen umgangen.“ Es müssten Regeln verändert werden, damit klar sei, dass so etwas nicht wieder passiere, so Al Wazir. Der Gesetzgeber hat der Regierung zwar 2004 den Auftrag gegeben, Institutionen zu schaffen, die einen groß angelegten Bilanzbetrug bei wichtigen Unternehmen erkennen und verhindern können. Das erfolgte als Reaktion auf eine EU-Richtlinie, die den Mitgliedsstaaten eine wirksame Aufsicht über große Unternehmen vorschreibt. Am Ende kam ein Vertrag der zuständigen Ministerien mit der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) heraus. Von der Organisationsform her handelt es sich dabei um einen privaten Verein, der mit 14 Wirtschaftsprüfern und einem Jahresetat von sechs Millionen Euro die gesamte deutsche Unternehmenswelt beaufsichtigen sollte. Der Verein musste nun zugeben, dabei nur die interne Logik der eingereichten Dokumente prüfen zu können und nicht deren Wahrheitsgehalt. „Wir können beispielsweise nur prüfen, ob ein Kundenvertrag vorliegt“, sagt der Präsident der DPR, Edgar Ernst, bei seiner Befragung. „Wir können nicht prüfen, ob der Vertrag gefälscht ist oder ob der Kunde überhaupt existiert.“ Die Wirecard AG hatte jahrelang ihre Gewinne aufgebläht, indem sie Einnahmen aus Scheingeschäften als Umsätze ausgegeben hat. Auf diese Weise hat sie nach und nach ein Vermögen von mehreren Milliarden Euro vorgetäuscht, die sie nicht besaß. Doch auch als in den Jahren 2018 und 2019 mehrere Medien bereits Anhaltspunkte für den Betrug vorlegten, liefen die Ermittlungen durch Bafin und DPR nur sehr langsam an. Dabei war die DPR eigentlich als Reaktion auf große Bilanzskandale ins Leben gerufen worden. Ein Fall wie Enron wie in den USA oder Parmalat in Italien sollte in Deutschland nicht passieren können. Der dritte Untersuchungsausschuss versucht nun zu klären, wo der Gesetzgeber nachbessern muss und welche Fehler die Bundesregierung gemacht hat. Die Bafin hatte auf die Vorwürfe gegen Wirecard reagiert, indem sie der DPR den Auftrag für eine Sonderprüfung gab. Diese fügte das Unternehmen zu ihrer Liste von Problemfällen hinzu und setzte drei Mitarbeiter darauf an. Davon war nur einer für den Fall verantwortlich, die anderen beiden arbeiteten ihm nur zu. Sie alle mussten zugleich noch andere Fälle bearbeiten. Der Sachbearbeiter schickte einen Fragenkatalog an Wirecard, um dem Betrugsvorwurf nachzuspüren. Wirecard spann in seinen Antworten das Lügengeflecht noch weiter und zog das Verfahren so in die Länge letztlich bis zu seiner Insolvenz. Die DPR deckte aus diesem Grund bei der Prüfung keine Straftat auf. „Wir haben weder die Mittel noch die Befugnis, so etwas zu machen“, sagte Ernst. Die DPR habe eben nur die Einhaltung aller Regeln bei ihrer Abfassung überwacht. Wenn alles innerlich zusammenpasse, dann gelte die Bilanz als geprüft. Wirecard habe seine erfundene Bilanz nun hochprofessionell aufgebaut und für jede Position einen Beleg parat. So sei nicht aufgefallen, dass ein scheinbar gut gefülltes Konto in Singapur gar nicht existierte: Die Auszüge, die Wirecard eingereicht hatte, seien gefälscht gewesen. Doch die DPR hatte eben keine kriminalistischen Aufgaben, betonte Ernst immer wieder. Der Verein habe auftragsgemäß in Kooperation mit den überwachten Unternehmen gehandelt. Die Abgeordneten im Ausschuss zeigten sich irritiert davon, dass diese Regulierungslücke 15 Jahre lang niemandem aufgefallen ist. Matthias Hauer (CDU) wunderte sich darüber, dass die Bafin den Auftrag zur Prüfung an die DPR weitergereicht hat, obwohl sie wusste, dass diese gar keine Möglichkeit hat, Betrug aufzuklären. „Das war doch von vorneherein zum Scheitern verurteilt“, sagte Hauer. Hätte die Bafin nicht auf Idee kommen müssen, dass die DPR der falsche Ansprechpartner ist?
(hib Nr. 188 vom 12.2.2021)