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BAG: Außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist – einrichtungsbezogene Impfpflicht – versuchte Täuschung über die ärztliche Feststellung einer vorläufigen Impfunfähigkeit gegen das Coronavirus Sars-CoV-2

BAG, Urteil vom 14.12.2023 – 2 AZR 66/23

ECLI:DE:BAG:2023:141223.U.2AZR66.23.0

1. Geht ein Gericht davon aus, dass ein Arbeitnehmer tariflichen Sonderkündigungsschutz genießt, muss es tatsächliche Feststellungen zum Geltungsgrund (AVE, Tarifgebundenheit oder arbeitsvertragliche Inbezugnahme), ggf. zum Inhalt des Tarifvertrags und dessen einzelfallbezogene Anwendung treffen (Rn. 2, 27).

2. Die außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist ist von der außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist strikt zu unterscheiden. Eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist kommt in Betracht, wenn der Kündigungssachverhalt bei einem Arbeitnehmer ohne Sonderkündigungsschutz nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigen würde. Der Arbeitgeber hat dann gegenüber einem vor einer ordentlichen Kündigung geschützten Arbeitnehmer zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs zwingend eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist einzuhalten. Demgegenüber handelt es sich um eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist, wenn der Arbeitgeber meint, zur fristlosen Kündigung berechtigt zu sein, dem Arbeitnehmer aber aus ausschließlich „sozialen“ Erwägungen eine „Kündigungsfrist“ einräumen möchte. Die Annahme einer sozialen Auslauffrist scheidet regelmäßig aus, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis vorrangig fristlos kündigt (Rn. 12).

3. In der unter Geltung von § 20a IfSG aF wahrheitswidrig erfolgten Behauptung durch einen in einem Krankenhaus beschäftigten Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber, aufgrund einer ärztlichen Untersuchung sei festgestellt worden, dass er vorläufig nicht gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 geimpft werden könne, lag – zumal unter Berücksichtigung des besonders vulnerable Personen schützenden Gegenstands der Nachweispflicht – eine erhebliche Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB, die „an sich“ als wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist. Das gilt ungeachtet der Frage, ob der Arbeitnehmer laienhaft davon ausging, er sei tatsächlich (vorläufig) impfunfähig. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer sich wegen der Vorlage eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach §§ 277 ff. StGB strafbar gemacht hat. Maßgebend ist vielmehr der mit der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch (Rn. 17).

(Orientierungssätze)