© IMAGO / Panthermedia

BAG: Invalidität – Erwerbsminderungsrente – rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses

– Unklarheitenregelung – Inhaltskontrolle – unangemessene Benachteiligung

BAG, Urteil vom 10.10.2023 – 3 AZR 250/22; ECLI:DE:BAG:2023:101023.U.3AZR250.22.0

1. Bei der Auslegung der Begriffe der „Berufs- und Erwerbsunfähigkeit“ in einer Versorgungsordnung ist regelmäßig von einer Anknüpfung an das Sozialversicherungsrecht auszugehen. Sieht der Arbeitgeber davon ab, die Begriffe der „Berufs- und Erwerbsunfähigkeit“ selbst zu definieren und den Eintritt des Versorgungsfalls eigenständig festzulegen, will er damit in der Regel die jeweils geltenden sozialversicherungsrechtlichen Gegebenheiten übernehmen (Rn. 16).

2. Die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB kommt nicht zur Anwendung, wenn keine „erheblichen Zweifel“ an der richtigen Auslegung bestehen. Die entfernte Möglichkeit eines anderen Ergebnisses genügt nicht. Zwar kann mit dem Begriff „Ausscheiden aus den Diensten des Arbeitgebers“ auch ein bloß tatsächliches Ausscheiden gemeint sein. Allerdings muss die Versorgungsordnung für eine solche Auslegung hinreichende weitere Anhaltspunkte bieten (Rn. 19).

3. Gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB greift die Inhaltskontrolle nicht für Abreden über den unmittelbaren Leistungsgegenstand. Regelungen, die die Leistungspflicht der Parteien einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren, sind dagegen inhaltlich zu kontrollieren. Welche Pflichten das Wesen des Vertrags charakterisieren und damit Hauptleistungspflichten sind, ist durch Auslegung der betroffenen Vereinbarungen der Parteien zu ermitteln (Rn. 22).

4. Das Erfordernis einer rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Leistungsvoraussetzung neben dem Vorliegen des Bescheids der gesetzlichen Rentenversicherung über eine Erwerbsminderungsrente benachteiligt einen Arbeitnehmer nicht unangemessen iSd. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Das berechtigte Interesse des Arbeitgebers, keine Doppelleistungen erbringen zu müssen und Planungssicherheit zu haben, ist dem Interesse des Arbeitnehmers am Bezug betrieblichen Ruhegeldes bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich zumindest gleichgewichtig (Rn. 26 ff.).

(Orientierungssätze)

Der eine betriebliche Invaliditätsrente zusagende Arbeitgeber darf die Leistung in einer Versorgungsordnung, die für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen enthält, grundsätzlich davon abhängig machen, dass der Arbeitnehmer eine gesetzliche Erwerbsminderungsrente bezieht und rechtlich aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist.

(Amtlicher Leitsatz)