Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) zu den Stichtagen 31.05.2022 und 09.10.2023 sogenannte Mehrheitsgewerkschaft i.S.v. § 4a TVG in dem Wahlbetrieb 9.3. Rhein-Ruhr der DB Regio AG war, mit der Folge, dass für deren Mitglieder dort ausschließlich die von ihr mit dem Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister e.V. (AGV MOVE) geschlossenen Tarifverträge Anwendung fänden. Bis zum 31.03.2021 wurden in den Betrieben der DB Regio AG parallel sowohl die Tarifverträge der GDL als auch die Tarifverträge angewendet, die der AGV MOVE mit der konkurrierenden Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) abgeschlossen hatte. Seit dem 18.03.2021 begann die DB Regio AG, in ihren Betrieben schrittweise das Tarifeinheitsgesetz einzuführen und in den Betrieben nur noch die Tarifverträge der von ihr jeweils ermittelten Mehrheitsgewerkschaft anzuwenden. Während die EVG sich auf Bitten der DB Regio AG an einem Notarverfahren (vgl. § 58 Abs. 3 ArbGG) zur Feststellung der Mehrheitsgewerkschaft beteiligte, lehnte die GDL dies ab. Eine später versuchte tarifliche Einigung auf ein Notarverfahren scheiterte, weil keine Einigkeit über die einzubeziehenden Personengruppen erzielt werden konnte. Die DB Regio AG geht davon aus, dass im Wahlbetrieb 9.3. die EVG Mehrheitsgewerkschaft ist und wendet dort deren Tarifverträge an. Dem widerspricht die GDL.
In der heutigen Anhörung wurde u.a. die höchstrichterlich ungeklärte Frage erörtert, wie der „Mehrheitsbeweis“ zu führen ist. Um die Gewerkschaftsmitgliedschaft der einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geheim halten zu können, hat der Gesetzgeber ein spezielles Beweismittel vorgesehen: eine notarielle Bescheinigung. Diese ist nach Auffassung der Kammer jeweils von der Gewerkschaft auf ihre Kosten beizubringen. Da nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auch die Offenlegung der genauen Mitgliederzahlen der Gewerkschaften zu vermeiden ist, beabsichtigt das Gericht, den Abgleich zwischen Arbeitnehmer- und Mitgliederlisten sowie die Feststellung der Mehrheitsgewerkschaft in einem so genannten In-Camera-Verfahren vorzunehmen. Dabei werden die Inhalte der Listen – und damit sowohl Namen als auch konkrete Zahlen – nur dem Gericht, aber nicht den weiteren Beteiligten oder anderen Personen zugänglich gemacht.
Das Verfahren wird fortgesetzt.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf – 12 TaBV 45/23
Arbeitsgericht Essen, Beschluss vom 09.02.2023 – 1 BV 27/22
„§ 4a Tarifvertragsgesetz (TVG)
Tarifkollision
(1) Zur Sicherung der Schutzfunktion, Verteilungsfunktion, Befriedungsfunktion sowie Ordnungsfunktion von Rechtsnormen des Tarifvertrags werden Tarifkollisionen im Betrieb vermieden.
(2) Der Arbeitgeber kann nach § 3 an mehrere Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften gebunden sein. Soweit sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden (kollidierende Tarifverträge), sind im Betrieb nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat (Mehrheitstarifvertrag); wurden beim Zustandekommen des Mehrheitstarifvertrags die Interessen von Arbeitnehmergruppen, die auch von dem nach dem ersten Halbsatz nicht anzuwendenden Tarifvertrag erfasst werden, nicht ernsthaft und wirksam berücksichtigt, sind auch die Rechtsnormen dieses Tarifvertrags anwendbar. Kollidieren die Tarifverträge erst zu einem späteren Zeitpunkt, ist dieser für die Mehrheitsfeststellung maßgeblich. Als Betriebe gelten auch ein Betrieb nach § 1 Absatz 1 Satz 2 des Betriebsverfassungsgesetzes und ein durch Tarifvertrag nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 des Betriebsverfassungsgesetzes errichteter Betrieb, es sei denn, dies steht den Zielen des Absatzes 1 offensichtlich entgegen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Betriebe von Tarifvertragsparteien unterschiedlichen Wirtschaftszweigen oder deren Wertschöpfungsketten zugeordnet worden sind.
„§ 58 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)
Beweisaufnahme
…
(3) Insbesondere über die Zahl der in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder oder das Vertretensein einer Gewerkschaft in einem Betrieb kann Beweis auch durch die Vorlegung öffentlicher Urkunden angetreten werden.“
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