EuGH, Urteil vom 7.9.2023 – C-461/22
1. Art. 86 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 2 sowie Art. 144 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass für die Zwecke der Gewährung der Mehrwertsteuerbefreiung, die für Beförderungsleistungen vorgesehen ist, die mit der Einfuhr von Gegenständen in Zusammenhang stehen, dann, wenn die Beförderung einer in die Union eingeführten Ware von einem Steuerpflichtigen zwischen dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich der Ort der Verbringung dieses Gegenstands in die Europäische Union befindet, und einem in einem anderen Mitgliedstaat gelegenen Bestimmungsort durchgeführt wird, die Registrierung des Einfuhrumsatzes nicht bereits für sich genommen systematisch bedeutet, dass die Kosten dieser Beförderung in der Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer auf die eingeführte Ware enthalten sind.
2. Art. 86 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 2 sowie Art. 144 der Richtlinie 2006/112 sind dahin auszulegen, dass sie der Steuerpraxis eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die darin besteht, die Mehrwertsteuerbefreiung für Beförderungsleistungen im Zusammenhang mit der Einfuhr von Gegenständen automatisch mit der Begründung zu versagen, dass der Steuerpflichtige die von der nationalen Regelung vorgeschriebenen spezifischen Dokumente nicht vorgelegt habe, obwohl er andere Dokumente vorlegt, die keinen Anlass für Zweifel an ihrer Echtheit und Zuverlässigkeit geben und die belegen können, dass die Voraussetzungen, von denen diese Vorschriften das Recht auf Mehrwertsteuerbefreiung abhängig machen, erfüllt sind.
3. Die Art. 56 und 57 AEUV sind dahin auszulegen, dass zum einen eine Leistung, die darin besteht, Mehrwertsteuer und Verbrauchsteuern bei den Finanzverwaltungen mehrerer Mitgliedstaaten zurückzufordern, eine Dienstleistung im Sinne dieser Vorschriften darstellt und dass zum anderen die Anwendung eines Quellensteuerabzugs von den Einkünften, die für eine von einem gebietsfremden Dienstleistungserbringer erbrachte Dienstleistung erzielt werden, während eine von einem gebietsansässigen Dienstleister erbrachte gleichwertige Dienstleistung nicht Gegenstand dieses Steuerabzugs ist, eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt. Diese Beschränkung kann durch die Notwendigkeit, die effiziente Einziehung der Steuer zu gewährleisten, gerechtfertigt sein, soweit sie zur Erreichung dieses Ziels geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.
4. Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, nach der in der Regel gebietsfremde Dienstleistungserbringer wegen ihrer Einkünfte aus den für die von ihnen erbrachten Dienstleistungen bezogenen Vergütungen an der Quelle besteuert werden, ohne dass ihnen die Möglichkeit eines Abzugs von unmittelbar mit dieser Tätigkeit zusammenhängenden Betriebsausgaben gewährt wird, während gebietsansässigen Dienstleistern eine solche Möglichkeit zugestanden wird, entgegensteht, es sei denn, die in dieser Regelung enthaltene Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs entspricht einem berechtigten und mit dem AEU-Vertrag zu vereinbarenden Ziel und ist durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt.
(Tenor)
Volltext BB-Online BBL2023-2134-1