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OVG NRW: Beschwerde gegen Ablehnung von Prozesskostenhilfe – Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes – zurückgewiesen

OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.04.2023 – 4 E 346/23

Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für ein noch anzustrengendes erstinstanzliches Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 5.4.2023 wird zurückgewiesen.

Gründe: Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Unabhängig davon, ob die Kosten des Verfahrens auch den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten sind (§ 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO), bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung jedenfalls keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO).

Das Verwaltungsgericht hat dem beabsichtigten Antrag der Antragsteller, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig einen Praxisabwickler gemäß § 70 StBerG zu bestellen, um den Gewerbebetrieb des verstorbenen Herrn K. Q. I. abzuwickeln, keine hinreichenden Erfolgsaussichten zugemessen. Zur Begründung hat es dabei im Wesentlichen ausgeführt, die Antragsteller hätten nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung keinen Anspruch auf Bestellung eines Praxisabwicklers. Bereits der Tatbestand des § 70 Abs. 1 Satz 1 StBerG sei nicht erfüllt. Der Begriff des verstorbenen „Steuerberaters“ knüpfe nicht an die – hier gegebene – von einem Steuerberater oder einer sonstigen Person unberechtigterweise ausgeübte steuerberatende Tätigkeit an. Für eine über den Wortlaut hinausgehende Interpretation bestehe kein Raum.

Auch unter Berücksichtigung des Maßstabs für die Gewährung von Prozesskostenhilfe, nach dem es insbesondere nicht Sache des Prozesskostenhilfeverfahrens ist, die Rechtsverfolgung an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen, bleiben die gegen die Einschätzung des Verwaltungsgerichts erhobenen Einwände ohne Erfolg. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 70 Abs. 1 Satz 1 StBerG sind zweifelsfrei nicht erfüllt (dazu unter I.). Eine analoge Anwendung der Vorschrift kommt nicht in Betracht (dazu unter II.).

I. Nach § 70 Abs. 1 StBerG kann die zuständige Steuerberaterkammer einen anderen Steuerberater oder Steuerbevollmächtigten zum Abwickler der Praxis bestellen, wenn ein Steuerberater oder Steuerbevollmächtigter gestorben oder eine frühere Bestellung nicht mehr wirksam ist. Der hier in Rede stehende Verstorbene war weder jemals Steuerberater noch Steuerbevollmächtigter. Dies wird auch von den Antragstellern nicht in Abrede gestellt. Nach Aktenlage allenfalls denkbar ist, dass er Hilfeleistung in Steuersachen im Rahmen der Befugnis nach § StBerG/6.html">6 Nr. 4 StBerG geleistet hat. Ob dies der Fall war, kann jedoch auf sich beruhen.

Weder Wortlaut, Entstehungsgeschichte oder Systematik noch Sinn und Zweck des Gesetzes ermöglichen die Bestellung eines Abwicklers für Büros von Personen, die weder Steuerberater noch Steuerbevollmächtigte sind oder jemals waren. Zwar ist der reine Wortlaut der Norm nicht das einzige Kriterium, nach dem Gesetze auszulegen sind. Die Möglichkeit einer Auslegung endet aber dort, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch träte.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.6.2007 – 2 BvR 1447/05 u. a. -, BVerfGE 118, 212 = juris, Rn. 91; BVerwG, Beschluss vom 28.9.2018 – 6 B 142.18 -, juris, Rn. 16.

Eine Auslegung sogar gegen den Wortlaut einer Norm ist nicht von vornherein ausgeschlossen, wenn andere Indizien deutlich belegen, dass ihr Sinn im Text unzureichend Ausdruck gefunden hat.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.4.2016 – 1 BvR 1147/12 -, juris, Rn. 7.

Hieran gemessen ist für eine die Wortlautgrenze überschreitende Auslegung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Raum. § 70 Abs. 1 StBerG sieht die Möglichkeit der Bestellung eines Abwicklers durch die Steuerberaterkammer in systematischer Hinsicht im Dritten Teil des Steuerberatungsgesetzes über die Steuerberaterordnung vor, konkret in seinem Dritten Abschnitt, der Rechte und Pflichten der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten betrifft (vgl. §§ 57 ff. StBerG). Nur deren berufliche Belange zu wahren, ist nach den §§ 76 Abs. 1, 73 Abs. 1 StBerG Aufgabe der Steuerberaterkammer. Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht bei der Prüfung hinreichender Erfolgsaussichten zutreffend darauf abgestellt, dass die Bestellung eines Abwicklers nicht einmal für die weiteren nach § StBerG/3.html">3 StBerG zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen Befugten vorgesehen ist, die nicht Mitglieder der Steuerberaterkammer sind. Dies ist bewusst so bestimmt worden, weil deren Tätigkeit zweifelsfrei außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Kammer liegt und liegen soll. Dasselbe gilt für Personen, die Hilfeleistung in Steuersachen im Rahmen der Befugnis nach § 6 Nr. 4 StBerG erbringen oder sogar jenseits gesetzlicher Befugnisse in Steuersachen Hilfe leisten.

Nichts anderes folgt aus dem Zweck der Regelung, wonach die Hilfeleistung in Steuersachen geschäftsmäßig nur von Personen und Vereinigungen ausgeübt werden darf, die hierzu befugt sind, die dem Schutz der Rechtssuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierter Hilfeleistung in Steuersachen dient (§ 2 StBerG). Diese Bestimmung gilt anders als die Regelung über die Bestellung eines Abwicklers einer Praxis eines Steuerberaters oder Steuerbevollmächtigten ausdrücklich „ohne Unterschied für hauptberufliche, nebenberufliche, entgeltliche oder unentgeltliche Tätigkeiten“ und steht auch systematisch in dem Ersten Teil des Steuerberatungsgesetzes, der allgemeine Vorschriften über die Hilfeleistung in Steuersachen enthält und einen weiteren Anwendungsbereich als der Zweite Teil über die Steuerberaterordnung hat. In diesem Sinne hat der Gesetzgeber in § 70 Abs. 3 Satz 3 StBerG klargestellt, dass dem Abwickler die Befugnisse zustehen, die der frühere Steuerberater oder Steuerbevollmächtigte hatte, dessen Kanzlei er abwickelt.

Vgl. zur inhaltlich gleichlautenden Vorgängervorschrift § 70 Abs. 2 Satz 4 StBerG a. F.: BT. Drs. 12/6753, S. 20.

Eine Abwicklung von steuerlichen Angelegenheiten, die durch andere Personen als Steuerberater oder Steuerbevollmächtigte betreut wurden, hatte der Gesetzgeber danach offenkundig und systematisch stimmig nicht im Blick.

Dem Schutzgedanken des Gesetzes, gesetzesunkundige Steuerpflichtige vor schweren Nachteilen durch eine Falschberatung seitens unfähiger oder ungeeigneter Berater zu schützen,

vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.1.1982 ‒ 1 BvR 807/80 ‒, BVerfGE 59, 302 = juris, Rn. 52,

hat der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass er die steuerberatende Tätigkeit weitgehend abschließend bestimmten Berufsgruppen mit geschützter Berufsbezeichnung zugeordnet hat, ohne sich dabei auf Steuerberater oder Steuerbevollmächtigte zu beschränken.

II. Eine Analogie zu § 70 Abs. 1 Satz 1 StBerG kommt vor diesem Hintergrund ersichtlich nicht in Betracht. Das Beschwerdevorbringen zeigt keine planwidrige Regelungslücke auf, die eine Analogie ermöglichen oder gar erfordern könnte.

Ob eine Regelungslücke vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob die vom Regelungsprogramm des Gesetzgebers erfassten Fälle in den gesetzlichen Vorschriften tatsächlich berücksichtigt worden sind. So liegt es, wenn der Wortlaut der Vorschrift nicht alle Fälle erfasst, die nach dem Sinn und Zweck der Regelung erfasst sein sollten.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 12.9.2013 – 5 C 35.12 -, BVerwGE 148, 13 = juris, Rn. 27, m. w. N.

Das ist hier gerade nicht der Fall. In den vom Gesetzgeber durch die Möglichkeit der Bestellung eines Abwicklers durch die zuständige Steuerberaterkammer eröffneten Schutz sollten im Rahmen ihrer Zuständigkeit nur jene einbezogen werden, die mit von der Steuerberaterkammer bestellten und aus dem Berufsregister ersichtlichen Steuerberatern und Steuerbevollmächtigten in Kontakt stehen. Nur für diese kommt in steuerlichen Angelegenheiten überhaupt die Abwicklung ihrer Steuerangelegenheiten über den Tod des Steuerberaters oder Steuerbevollmächtigen hinaus in Betracht. Für die Mandanten des im Streitfall Verstorbenen gilt dies gerade nicht. Ihre Interessen sind ausreichend dadurch geschützt, dass der Nachlassverwalter oder die Erben ihnen ihre jeweiligen Akten – ungeachtet ihres Zustands nach dem Brand in der Wohnung des Verstorbenen – herausgeben, damit sie jeweils in eigener Verantwortung für die weitere Abwicklung durch hierzu berechtigte Personen Sorge tragen können. Der Nachlassverwalter macht selbst geltend, es gehe ausschließlich um die Herausgabe der noch vorhandenen Akten zahlreicher Mandanten sowie um die Abwicklung noch laufender Mandate. Für einige Mandanten haben sich nach seinem eigenen Vorbringen bereits Steuerberater gemeldet und um Herausgabe gebeten. Das private Interesse der unbekannten Erben eines überschuldeten Nachlasses, von Kosten der Reinigung der durch Brand beschädigten Steuerunterlagen verschont zu werden, ist ebenso offenkundig nicht Sache der Berufsvertretung der Steuerberater wie sich nicht ansatzweise erschließt, weshalb noch vorhandene Steuerunterlagen vernichtet werden müssten, nur weil die Kosten ihrer Reinigung aus dem Nachlass nicht mehr gedeckt werden könnten. Die Risiken, die sich hier im Rahmen privatrechtlicher Auftragsverhältnisse realisiert haben, sind weder aus Mitteln der Berufskammer der Steuerberater noch der Allgemeinheit zu decken. Gründe, weshalb sich der Nachlassverwalter gegenüber den Erben haftbar machen würde, wenn er gegen den Nachlass gerichteten berechtigten Forderungen auf Herausgabe von Mandantenakten entsprechen würde, sind im Übrigen nicht ansatzweise ersichtlich. Als Rechtsanwalt ist ihm die Prüfung der Berechtigung von derartigen Herausgabeverlangen unbeschadet des § 3 Satz 1 Nr. 1 StBerG ohne Weiteres möglich und zumutbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2, 166 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.