„Die Krise ist für uns ein Weckruf, Energie zu sparen“

Will deutlich mehr Strom selbst produzieren: RWZ-Chef Christoph Kempkes.

Will deutlich mehr Strom selbst produzieren: RWZ-Chef Christoph Kempkes.

Die Raiffeisen Waren-Zentrale Rhein-Main AG gehört zu den größten Agrarhandelshäusern in Deutschland. Ihre Kunden sind Landwirte, Gartenbauer oder Winzer, die Düngemittel, Saatgut, Pflanzenschutz oder weitere Produkte für ihren Bedarf beziehen. Nach der Getreideernte lagert die RWZ die Ware in großen Silos und verkauft sie an Mühlen oder Nahrungsmittelhersteller. Im Interview spricht Chef Christoph Kempkes über die Folgen der Energiepreiskrise und die Dekarbonisierung der Agrarbranche.


Frage:
 Herr Kempkes, wie hat sich die Beschaffung der RWZ seit Start der Energiekrise verändert?

Kempkes: Als Rohwarenhändler sind wir es gewohnt, Positionen abzusichern und ein aktives Risikomanagement zu betreiben – das gilt auch für den Bereich Energie. Nichtsahnend, dass diese Krise auf uns zukommt, hatten wir unseren Strom- und Gasbezug schon im Vorfeld langfristig festgemacht. Somit mussten wir nur hoffen, dass unser Versorger tatsächlich auch liefern kann. In der Logistik dagegen haben uns die steigenden Diesel- und Benzinkosten stark getroffen. Da Landwirte und auch Agrarhändler große Mengen mit Traktoren und LKW durch die Gegend fahren müssen, war dies ein Schlag.

Frage: Wie weit im Voraus sichert die RWZ ihre Energiebeschaffung ab?

Kempkes: Wir haben Mitte 2022 bereits bis 2026 zugemacht. Ich weiß nicht, ob dieses Sicherheitsdenken so für die gesamte Branche repräsentativ ist. Aber die Perspektive großer Agrarhändler auf das Handhaben von Risiken sollte dieselbe sein. Wir handeln große Positionen, darunter Düngemittel, bei denen Erdgas rund 80 Prozent der Produktionskosten ausmacht. Oder auch Weizen, bei dem der Ukrainekrieg Preisrekorde verursachte. Will heißen: Preisabsicherung ist Teil unserer DNA. Bei den vorherrschenden engen Margen können wir uns Fehler im Risikomanagement nicht erlauben.

„Mit Blick auf die kommenden Winter bin ich alles andere als entspannt. Ich sehe uns als Land noch nicht über dem Berg“

 Christoph Kempkes

Frage: Haben Sie nur einen Energielieferanten für alle RWZ-Standorte in Deutschland und über welche Mengen sprechen wir?

Kempkes: Wir sind in Deutschland in Rheinland-Pfalz, dem Saarland sowie Nordrhein-Westfalen und Hessen mit Infrastruktur vertreten. Das Gros unseres Energiebezuges liegt trotzdem bei nur einem Unternehmen. Die Menge ist beträchtlich, ich möchte diese aber nicht näher beziffern.

Frage: 2022 war eine drohende Gasmangellage ein Schreckgespenst und könnte es im kommenden Winter nochmals werden. Wie haben Sie sich vorbereitet auf eine Rationierung? 

Kempkes: Wir haben in der Ernährungsbranche viele Gespräche mit der Politik zu einer möglichen Priorisierung geführt. Alle weisen naturgemäß auf die Relevanz ihrer Versorgungsfunktion hin: Der Bäcker sagte, ich brauche die Energie zum Brötchen backen. Der Getreidemüller argumentierte, dass es ohne Mehl kein Brot gäbe und der Gemüse- oder Gartenbauer verwies auf die erforderlichen Temperaturen im Treibhaus. Rationieren wäre für unsere Branche tatsächlich schwierig geworden. Am Ende des Tages wäre es dann wohl zu einer politischen Entscheidung gekommen, gegen welche sich die nicht Begünstigten dann vehement gewehrt hätten. Dazu ist es nicht gekommen. Aber mit Blick auf die kommenden Winter bin ich alles andere als entspannt. Ich sehe uns als Land noch nicht über dem Berg.

ZUM KLIMA-DASHBOARD

Wir haben versucht, für die Jahre 2026, 2027 und 2028 bei Versorgern zu pitchen, aber ohne Erfolg. Sie bekommen für Strom und Gas praktisch kein Angebot, auch wenn Sie bei über 20 Versorgern nachfragen. Die wenigen, die sich trauen, schlagen so hohe Sicherheitsaufschläge auf, dass dies wirtschaftlich für uns vorerst keinen Sinn ergibt. Die Krise ist für uns daher ein Weckruf, Energie zu sparen und beherzter zu beginnen, selbst zu produzieren. So versuchen wir die absoluten Kosten insgesamt auf einem verträglichen Niveau zu halten.

Frage: Wäre es denn möglich, deutlich teurere Strom- und Gaspreise in der Lieferkette weiterzureichen?

Kempkes: Die Konsequenz wäre ja, dass wir als Agrarhändler dem Landwirt mehr berechnen oder ihm umgekehrt für seine Rohware weniger zahlen. Der Landwirt ist ohnehin schon gebeutelt im Dickicht von stetig mehr werdenden Regularien, so dass hier kaum Spielraum ist. Will sagen: Die Kosten in der Wertschöpfungsstufe nach unten weiterzureichen, wird schwierig. Nach oben in Richtung einer Getreidemühle wird das auch nicht viel einfacher, weil der Müller dann argumentiert, dass er seinerseits an die industriellen Bäckereien höhere Preise in einem bereits inflationären Umfeld ebenfalls nicht durchreichen kann – denn die akzeptiert wiederum sein Kunde, der Lebensmittelhandel, nicht.

„Agrarstandorte bieten in der Tat große Dachflächen. Diese energetisch zu nutzen, hat durch die hohen Strompreise eine ganz neue Dynamik bekommen.“

 Christoph Kempkes

Frage: Sie haben die Energiekrise als Weckruf zum Sparen bezeichnet. Wie groß ist das Energieeinsparpotenzial im Agrarbereich?

Kempkes: Durchaus hoch, wie das Beispiel einer Siloanlage mit alten Motoren zeigt. Wenn ich in neue investiere, sind sie drei- bis viermal so energieeffizient. Auch bei der Kühlung und Lüftung sowie beim Getreidetransport gibt es Effizienzen durch moderne Technik und bessere Planung.

Frage: Bei der Eigenproduktion meinten Sie die Installation von Fotovoltaikanlagen beispielsweise auf den Dächern von Silos oder Raiffeisen-Märkten?

Kempkes: Agrarstandorte bieten in der Tat große Dachflächen. Diese energetisch zu nutzen, hat durch die hohen Strompreise eine ganz neue Dynamik bekommen. Wenn wir früher gesagt haben, dann bauen wir halt noch eine neue Halle, dann sagen wir heute, lasst uns lieber auf den bestehenden eine Solaranlage installieren. Unsere konkrete Zielsetzung ist, dass wir innerhalb von drei Jahren ein Drittel unseres Bedarfs selbst produzieren. Von unseren rund 160 RWZ-Standorten sind von der Statik und dem Stromlastprofil etwa 40 dafür geeignet. Das wäre jeden Monat ein Standort, den wir mit 100 bis 300 kWpeak ausstatten möchten. Von der Planung her ist dies sehr ambitioniert, denn der Teufel steckt im Detail, also bei der Umsetzung – und da liegt nicht alles in unserer Hand: Kommt die Genehmigung? Was sagt die Versicherung? Gibt es Handwerker? Sind die externen Dienstleister zügig bereit, die entsprechenden Kabel zu verlegen? Letztlich klafft hier zwischen dem politischen Wunschdenken und dem operativen Tun noch eine große Lücke – und das besorgt mich.

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Frage: Sind Stromspeicher auch eine Option?

Kempkes: Das haben wir uns angeschaut, gerade kürzlich zum Beispiel am Fall einer großen Saatgutanlage. Hier zeigt sich – weil unsere Produktion in aller Regel tagsüber läuft -, dass wir den in diesem Zeitraum selbst produzierten Strom fast komplett selbst nutzen werden. Da lohnt die Investition in Speicherkapazitäten heute noch nicht. Für die Zukunft möchte ich es aber auch nicht ausschließen.

„Die Zeiten von Leerfahrten sind vorbei. Flexibles Planen ist gefragt, indem ich beispielsweise Weizen zu einer Mühle nach Rotterdam bringe und auf dem Rückweg Düngemittel vom Hafen aufnehme.“

 Christoph Kempkes

Frage: Wie sieht es beim Fuhrpark aus, was lässt sich einsparen, was grüner gestalten?

Kempkes: Das Stichwort lautet hier paritätische Frachten, das heißt voll hin- und möglichst voll wieder zurückfahren. Die Zeiten von Leerfahrten sind vorbei. Flexibles Planen ist gefragt, indem ich beispielsweise Weizen zu einer Mühle nach Rotterdam bringe und auf dem Rückweg Düngemittel vom Hafen aufnehme. Auch der interne Warenverkehr zwischen unseren Standorten kann verbessert werden. Wir planen hier mit bis zu 20 Prozent Einsparungen. Innerhalb unseres Fuhrparks werden wir Wasserstoff testen und das eine oder andere Fahrzeug anschaffen. Das ist zwar ökonomisch noch nicht sinnvoll, aber wir üben mal. Aber da stehen wir in Deutschland noch ganz am Anfang. Es reicht nicht, in Berlin Wasserstoff als die Lösung anzupreisen, wenn noch nicht einmal die Schläuche zwischen Produzent, Transporteur und Verwender genormt sind.

Frage: Welche Rolle spielen Biogas und Biomethan bei der Dekarbonisierung? 

Kempkes: Beides sind dezentrale, relativ wetterunabhängige und auf nachwachsende Rohstoffe (NaWaRo) basierende Bausteine für eine stabile Grundlastversorgung – und als solche sinnvoll. Für viele Landwirte ist der Anbau von NaWaRo-Mais, der nicht für den menschlichen Verzehr geeignet ist, für Biogasanlagen traditionell ein gutes Zubrot. Im Kommen ist bei der Biomethanproduktion die Verwertung von Gülle, Mist etc. Für diese gibt es heute Geld. Vor Kurzem musste für deren Entsorgung noch bezahlt werden.

„Zusammen mit der BASF erproben wir beispielsweise, wie die CO2-Emissionen in der Landwirtschaft ohne Ertrags- oder Qualitätsverluste um bis zu 30 Prozent pro Tonne Ernteertrag gesenkt werden können.“

 Christoph Kempkes

Frage: Wo steht die Agrarbranche insgesamt bei Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung? 

Kempkes: Landwirte arbeiten seit rund 4.000 Jahren nachhaltig. Im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts wurde seitens der Politik das Mengenwachstum landwirtschaftlicher Produkte sehr stark durch Subventionen incentiviert – also wurden im Ergebnis hohe Erträge mit Hilfe einer sehr intensiven Landwirtschaft produziert. Das hat sich jetzt geändert; zwar soll die Menge auskömmlich bleiben, damit Lebensmittel bezahlbar sind. Das Wirtschaften allerdings soll umweltfreundlicher werden – übrigens durchaus zu Recht, denn diesbezüglich gibt es viele Möglichkeiten. Dies führt nun zu einer Transformation der Landwirtschaft in Richtung extensiveren, regenerativen Praktiken. Diese neue Anforderung beginnen die Landwirte immer stärker umzusetzen – das wird aber dauern, denn Wirkungsmechanismen in der Natur dauern länger als Legislaturperioden.

Frage: Wie sieht Ihre Rolle als Agrarunternehmen dabei aus?

Kempkes: Wir begleiten die Landwirte mit Fachberatung, neuen Sortimenten bei Saatgut, Dünger sowie Pflanzenschutz und entsprechend moderner Agrartechnik samt digitalen Anwendungen. Zusammen mit der BASF erproben wir beispielsweise, wie die CO2-Emissionen in der Landwirtschaft ohne Ertrags- oder Qualitätsverluste um bis zu 30 Prozent pro Tonne Ernteertrag gesenkt werden können. Die Hebel liegen hier bei der Optimierung der sehr gasintensiven Düngung, einer minimalinvasiven und somit humusschonenden Agrartechnik sowie einer teilflächenspezifischen Ausbringung von Betriebsmitteln. Für Letzteres werden Bodenproben mit Satellitenbildern vom Ackerschlag kombiniert und in einer sogenannten Applikationskarte erfasst. Diese wird dann auf den Traktor gespielt, welcher wiederum der angehängten Spritze mitteilt: „Da vorne zwar ein bisschen mehr, da hinten aber dafür ein bisschen weniger oder gar nichts ausbringen.“ Den Möglichkeiten nach ist die Landwirtschaft bereits technologiegetriebener, als man gemeinhin meint.

Das Interview führte Michaela Tix vom Energate Messenger.