BAG, Urteil vom 22.3.2023 – 10 AZR 499/20 –
1. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Aussetzung von Individualklageverfahren sieht § 9 TVG nicht vor. Die Aussetzung eines Individualrechtsstreits über tarifliche Ansprüche aufgrund eines zwischen den Tarifvertragsparteien geführten Verfahrens über eine sog. Verbandsklage iSv. § 9 TVG kann deshalb nur nach § 148 ZPO erfolgen. Eine Vorgreiflichkeit des Verbandsklageverfahrens kommt in Betracht, wenn die dessen Gegenstand bildende Rechtsfrage in einem Individualklageverfahren entscheidungserheblich ist (Rn. 13, 17).
2. Die Vorgreiflichkeit eines anderen Rechtsstreits stellt lediglich eine Voraussetzung des § 148 ZPO dar, die erfüllt sein muss, damit das gebotene Ermessen des Gerichts nach dieser Norm eröffnet ist. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren erfordert die Aussetzungsentscheidung eine Abwägung zwischen der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen und dem Beschleunigungsgebot des § 9 Abs. 1 ArbGG unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien anhand der Umstände des Einzelfalls. Dabei sind insbesondere die bisherige Verfahrensdauer, der jetzige Verfahrensstand und die im Fall einer Aussetzung zu erwartende Verlängerung der Verfahrensdauer zu berück[1]sichtigen (Rn. 18 ff.).
3. Erhalten Nachtschichtarbeitnehmer und Arbeitnehmer, die außerhalb von Schicht[1]systemen Nachtarbeit leisten, für die von ihnen geleistete Nachtarbeit unterschiedlich hohe Zuschläge, verstößt eine solche Ungleichbehandlung dann gegen den Gleich[1]heitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, wenn für diese Differenzierung – wie vorliegend – kein aus dem Tarifvertrag erkennbarer sachlicher Grund gegeben ist (Rn. 46 ff.).
4. Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz führt für vergangene Zeiträume zum An[1]spruch auf sog. Anpassung „nach oben“, da nur so die Ungleichbehandlung beseitigt werden kann. Die benachteiligende Bestimmung des Tarifvertrags bleibt unangewen[1]det, im Übrigen bleibt der Tarifvertrag wirksam (Rn. 74 ff.).
(Orientierungssätze)