„Wir marschieren unbekümmert in eine globale Wasserkrise hinein“

Dürre in Deutschland im August 2022: Der Rhein bei Bingen führt kaum noch Wasser.

Dürre in Deutschland im August 2022: Der Rhein bei Bingen führt kaum noch Wasser.

Winterdürre in Frankreich, niedrige Pegelstände auf deutschen Flüssen, Überschwemmungen in Pakistan: Das Thema Wasser ist in jüngster Vergangenheit immer virulenter geworden. Was bedeutet all das für Unternehmen? Expertin Anna Poberezhna gibt Antworten.


GREEN.WORKS:
 Frau Poberezhna, das Weltwirtschaftsforum veröffentlicht jährlich einen globalen Risikobericht. In der aktuellen Ausgabe heißt es, dass es innerhalb der nächsten zehn Jahre zu Wasserkriegen kommen könnte. Wie realistisch ist das?

Anna Poberezhna: Wassersicherheit ist der Schlüssel zu geopolitischer und wirtschaftlicher Sicherheit. Der Wasser- und der Kohlenstoffkreislauf sind die wichtigsten ausgleichenden Kräfte des Erdsystems und die Garantie für das Überleben der Menschheit. Das Weltwirtschaftsforum ist daher nicht die einzige Organisation mit dieser Einschätzung. Sowohl die Wissenschaft als auch die Geschichte belegen, dass in den letzten 4000 Jahren die meisten Kriege um Ressourcen und die Kontrolle der Handelskorridore, einschließlich der Flüsse und der Schifffahrt, geführt wurden.

GREEN.WORKS: Ist Wasserunsicherheit ein Phänomen, das in erster Linie Länder betrifft, die ohnehin trocken sind? Oder wird sie zunehmend auch zu einem west- und nordeuropäischen Problem?

Anna Poberezhna: Es ist ein globales Problem. Die ausgetrocknete Poebene in Italien, die niedrigen Pegelstände des Rheins, der trockene Winter in Frankreich sind nur die jüngsten Beispiele dafür, dass sauberes Süßwasser weltweit und in Europa zu einem äußerst knappen Gut wird. Der weltweite Wasserverbrauch ist in den vergangenen 100 Jahren um 600 Prozent gestiegen. In den vergangenen 20 Jahren waren drei von vier Katastrophen weltweit wasserbedingt, wobei laut den Vereinten Nationen die langfristigen Auswirkungen von Dürren und Überschwemmungen mehr als drei Milliarden Menschen betreffen, mehr als 166.000 Menschenleben fordern und nach vorsichtigen Schätzungen 700 Milliarden Dollar kosten könnten.

GREEN.WORKS: Wie hängen die Wasserkreisläufe zusammen?

Anna Poberezhna: Zur Wiederherstellung der übernutzten Wasserökosysteme ist eine globale Zusammenarbeit erforderlich. Die jüngsten wissenschaftlichen Berichte beweisen, was wir im Prinzip schon wussten, nämlich dass alles miteinander verbunden ist: Wenn wir den Amazonas-Regenwald abholzen, verlieren wir eine natürliche Feuchtigkeitspumpe. Das wiederum bedeutet, dass die Gletscher im Norden und Süden an Eismasse verlieren. Das wiederum beeinflusst den Pegelstand von Flüssen und Seen.

Zur Person

Anna Poberezhna ist Expertin für Nachhaltigkeit und Technologie mit einer Spezialisierung auf Wasser. Die gebürtige Ukrainerin ist Chefin und Gründerin von Clearhub, einem Unternehmen mit Fokus auf die Entwicklung nachhaltiger Ressourcen und Infrastruktur. Sie publiziert zu Wasserthemen in anerkannten Fachpublikationen und ist eine gefragte Speakerin. Jüngst ist sie von London nach Dubai umgezogen.

GREEN.WORKS: Die Gletscher in den Alpen schmelzen. Mit ihrem Wasser speisen sie Flüsse wie den Rhein, die Rhone, den Po und die Donau. An diesen Flüssen befinden sich die wichtigsten Wirtschaftszentren Europas. Was wird passieren, wenn diese Flüsse im Sommer immer weniger Wasser führen?

Anna Poberezhna: An einem der heißesten Tage im August fuhr ein mit 250 Tonnen Wassermelonen beladener Lastkahn 750 km von Cherson über den Dnipro, den fünftgrößten Fluss in Europa, nach Kiew. Die Geschichte wurde sofort zum Hit, da sie nicht nur den Geschmack des Sommers und das Bewusstsein für die Gesundheit der Flüsse hervorhob, sondern auch wichtige ökologische Aspekte aufzeigte: Mit der gleichen Menge an Treibstoff kann der Flusstransport 2,5 Mal mehr Fracht transportieren als der Straßentransport und 30 Prozent mehr als der Schienentransport.

In der EU sind 16,3 Millionen Unternehmen in stark wasserabhängigen Sektoren tätig, das sind circa 46 Prozent aller Firmen mit 25 Millionen gefährdeten Arbeitsplätzen. Schließlich sind die Gewässer auch direkte Einnahmequellen: 800 Milliarden Euro pro Jahr an Einnahmen durch Freizeitbesuche an Gewässern stehen 100 Milliarden Euro an entgangenen Möglichkeiten aufgrund schlechter Wasserqualität gegenüber.

„Die geringere Verfügbarkeit von Wasser führt zu einem Kaskadeneffekt, der die Risiken in allen Teilen der Wertschöpfungsketten und bei allen Beteiligten systemisch erhöht.“

Anna Poberezhna

GREEN.WORKS: Was bedeutet das alles für Lieferketten?

Anna Poberezhna: Die geringere Verfügbarkeit von Wasser führt zu einem Kaskadeneffekt, der die Risiken in allen Teilen der Wertschöpfungsketten und bei allen Beteiligten systemisch erhöht: in den vor-, mittel- und nachgelagerten Bereichen. Dadurch werden die Versorgungsketten noch anfälliger und das einfache tägliche Leben schwieriger. In Frankreich mussten Atomkraftwerke wegen des Mangels an sauberem Kühlwasser abgeschaltet werden, wodurch die ohnehin schon fragile Energieversorgungssicherheit noch mehr gefährdet wurde.

GREEN.WORKS: Wie gut sind sich Unternehmen, die Wasser verwenden, dieser Wasserrisiken bewusst? Wie verändert sich das Bewusstsein, dass Wasser ein wichtiges Produktionsmittel ist?

Anna Poberezhna: Es gibt ausreichend Studien und Berichte zu diesem Thema, so dass das grundlegende Verständnis meiner Meinung nach nicht mehr das Problem ist. Vielmehr geht es darum, Kreisläufe zu schließen und Alternativen zu schaffen, die auf wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen und echten Veränderungen beruhen. Wie bereits erwähnt, ist uns durchaus bewusst, dass Wasserknappheit zu großen wirtschaftlichen und finanziellen Verlusten führt. Was noch fehlt, sind praktische, kohärente und systemische Ansätze und die entscheidende Mehrheit, um Lösungen zu skalieren.

GREEN.WORKS: Aber haben die Unternehmen das Thema ausreichend auf ihrer Agenda?

Anna Poberezhna: „Ausreichend“ kann für das eine Unternehmen eine ganz andere Bedeutung haben als für das andere, da die Wassersituation durch lokale Ökosysteme definiert wird. Eine Reihe von Organisationen, darunter CDP, WWF, Save Aral und führende Wasserexperten arbeiten weiter daran, das Bewusstsein und die Kapazitäten zu stärken, um die Wasseragenda auf eine Stufe mit dem Pariser Klimaabkommen zu bringen. Sind die Maßnahmen und Ergebnisse schon ausreichend? Sicherlich nicht, denn wir marschieren unbekümmert in die globale Wasserkrise hinein – der Nahe Osten wird zu einem der am schnellsten unbewohnbaren Orte, China hat bereits die meisten seiner Flüsse zerstört und drängt auf die vollständige Kontrolle über Tibet, den regionalen Wasserturm. Wie sollten die Unternehmen also anders handeln, wenn die Regierungen als Hauptverantwortliche für das Wasser das Problem nicht angehen?     

GREEN.WORKS: Sehen wir schon jetzt, dass Wasserknappheit Investitionen gefährdet?

Anna Poberezhna: Auf jeden Fall. In Chile wurde ein beträchtlicher Teil des Kapitals, das in die Erschließung des Bergbaus und die Kupferproduktion geflossen ist, zu einem schwarzen Loch in den Bilanzen einer Reihe von Unternehmen. Der Colorado River in den USA ist das weltweit berüchtigtste Beispiel für Wassermisswirtschaft, Versicherungsprämien gehen dort durch die Decke. Die Halbleiterindustrie in Taiwan ist von Wasserknappheit bedroht. Diese führt zu Produktionsengpässen, Produktionsausfällen und im schlimmsten Fall zu „stranded assets“. Wer sich hier nicht richtig positioniert, wird in Zukunft Probleme haben, Zugang zu günstigem Kapital zu finden.

GREEN.WORKS: Wie sehr beschäftigen sich Investoren bereits mit Wasserrisiken?

Anna Poberezhna: Das Bewusstsein für Wasserrisiken nimmt bei den Anlegern immer mehr zu. Alle Rating-Agenturen, einschließlich S&P, Morning Star und große institutionelle Anleger und Vermögensverwalter, sensibilisieren die Anleger und geben Risikodaten weiter. Es gibt eine Reihe von Start-Ups und Scale-Ups, die dabei helfen, Risiken über Portfolios hinweg zu managen, während Organisationen wie SDGs, CERES, CDP, TCFD und IISD die Bemühungen um Offenlegung und Berichterstattung sowie den Wissensaustausch über Wasserverantwortung über das Management hinaus vorantreiben. Jedoch, eine abgestimmte Taxonomie und Standardisierung befindet sich abgesehen von den GRI-ISO-Standards noch in einem frühen Stadium.

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GREEN.WORKS: Wie gut sind die Instrumente zur Erfassung von Wasserrisiken in Lieferketten?

Anna Poberezhna: Sich mit Wasserrisiken zu beschäftigen, ist für Unternehmen noch nicht obligatorisch. Diese Tatsache führt zu einem begrenzten Verständnis des Problems und zu einer überschaubaren Menge an verfügbaren Daten, was die Analyse solcher Risiken in Lieferketten erschwert. Es gibt aber eine wachsende Zahl von Öko-Intelligenz-Unternehmen, die sich mit diesem Thema befassen. Häufig beschränkt sich die Analyse jedoch auf den Wasserinput und -output der Unternehmen. Dieser Ansatz ignoriert den jeweiligen hydrologischen Kontext, was der Komplexität des Themas nicht gerecht wird.

GREEN.WORKS: Sie haben bereits erwähnt, dass das Thema Wasser ein gemeinsames Projekt aller Beteiligten in einem bestimmten Wassereinzugsgebiet sein muss: Kommunen, Unternehmen und andere Akteure. In welchem Rahmen kann eine solche Zusammenarbeit gelingen?

Anna Poberezhna: Die OECD hat dafür einen Good Water Governance-Ansatz entwickelt. Die Umsetzung in die Praxis ist jedoch eine andere Frage. Dies erfordert mehr Innovation und politische Initiativen, die verschiedene Parteien dazu bringen, sich auf gemeinsame Ziele und individuelle Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele zu einigen. Schließlich werden die Unternehmen solche Gemeinschaften nicht von sich aus initiieren. Ihnen fehlen die Ressourcen oder der Wille, dies zu tun. Darüber hinaus ist ein Mentalitätswandel erforderlich: Wir müssen von der kolonialistischen Vorstellung wegkommen, dass natürliche Ressourcen dazu da sind, ausgebeutet zu werden. Stattdessen brauchen wir Konzepte für Resilienz und Regeneration von Wassersystemen. In Chile verständigte man sich schließlich auf eine gemeinsam genutzte und kreislauforientierte Wasserinfrastruktur. Aber vom Entwurf bis zur Umsetzung einer solchen Strategie ist es ein weiter Weg. Jeder von uns muss Verantwortung für die Landschaft übernehmen, in der er oder sie sich befindet und arbeitet.

GREEN.WORKS: Wie sollten städtisch-industrielle Gebiete entwickelt werden, damit sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen die Wasserversorgung auch in Zukunft gesichert ist?

Anna Poberezhna: Wir können in Europa viel lernen von Kopenhagen und Amsterdam. Auch Singapur ist ein Vorbild. Das sind die führenden Städte, wenn es um Kreislaufwirtschaft und Wassersicherheit geht. Sie zeigen, dass das Bewusstsein für die eigene Situation und ein proaktiver Ansatz am wichtigsten sind. Je besser Ihre Umwelt, desto attraktiver sind sie für die Menschen. Je mehr Menschen sie anziehen, desto besser für die Wirtschaft. Es geht also auch um Wettbewerbsvorteile. Insgesamt sind die Voraussetzungen in Westeuropa im Vergleich zu anderen Regionen der Welt gut, um Wasserrisiken erfolgreich managen zu können.

GREEN.WORKS: Wie können Unternehmen zum Wassersparen ermutigt werden?

Anna Poberezhna: Das Bewusstsein für Wasserrisiken steigt mit einem besseren Risikomanagement sowie durch Regulierung und Anreizmechanismen. Ähnlich wie bei den mineralischen Ressourcen brauchen wir einen positiven Wettbewerb anstelle eines Ausbeutungswettlaufs. Die Kosten, die beim Eintreten von Wasserrisiken entstehen, müssen auf alle Beteiligten umgelegt werden. So entsteht ein wirtschaftlicher Anreiz, zur Abwendung dieser Risiken beizutragen. Wir sollten die Schaffung eines Marktes für Wassersicherheitsdienstleistungen anstreben. Ich möchte betonen: nicht für Wasser als Ware, sondern für die Wassersicherheit. Das hätte zur Folge, dass die Kosten für die Gewährleistung der Sicherheit entlang regionaler Wassersysteme auf ein quasi offenes Marktkonzept übertragen würden, das durch positiven Wettbewerb angetrieben wird.          

GREEN.WORKS: Wir sind es gewohnt, in Kategorien von Unternehmen, Gemeinden oder Ländern zu denken. Aber wenn es um Wasser geht, sprechen wir von Schicksalsgemeinschaften entlang von Flüssen oder Seen. Wie kann diese Denkweise etabliert werden?

Anna Poberezhna: Gesellschaftliches Engagement lässt sich durch den Stewardship-Ansatz erreichen. Darunter wird die Übernahme oder Übertragung von Verantwortung für die Bewirtschaftung und den Schutz gemeinsamer Ressourcen verstanden. Dieser Ansatz erfordert die direkte Beteiligung der Betroffenen, was im Falle von Wasser selbstverständlich ist. Und wir brauchen Informationen und Netzwerke. Heute wissen die Menschen – vor allem in den Großstädten – manchmal mehr über einen Krieg auf der anderen Seite der Welt als über Dürreprobleme in den Regionen, aus denen ihr Wasser kommt.

GREEN.WORKS: Die Themen Nahrung, Wasser und Energie sind sehr eng miteinander verbunden. Ohne Energie haben wir kein Wasser, ohne Wasser haben wir keine Energie und ohne Energie und Wasser haben wir keine Lebensmittel. Wie können diese Zusammenhänge genutzt werden, um den Wasserverbrauch zu senken?

Anna Poberezhna: Alles hängt von diesem Nexus ab, der entweder zu einem symbiotischen System werden kann, das sich mit der Zeit regeneriert, oder zum schlimmsten Albtraum. Weltweit wurden 51 solche Cluster untersucht und dabei ein Multiplikationseffekt nachgewiesen. Es hängt jedoch von den Entscheidungsträgern ab, ob er negativ oder positiv sein wird. Ein Mix aus naturbasierten Lösungen wie Feuchtgebieten und Mangroven zusammen mit unterschiedlichsten Industrieanlagen sorgt für Widerstandsfähigkeit und bringt einen echten wirtschaftlichen Wert. Und es bringt uns weg vom linearen Denken und macht Komplexität schön. Wir kämen zu einem dynamischen Gleichgewicht als eine Kunst der Entscheidungsfindung und des fließenden Handelns. Letztendlich sind wir nur ein kleiner Teil des gesamten Erdsystems, der es aber geschafft hat, den größten Teil davon zu zerstören. Es ist Zeit für ein harmonisches Gleichgewicht, dem echte Werte folgen werden.