BAG, Urteil vom 31.1.2023 – 9 AZR 107/20
1. Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub, den ein Arbeitnehmer wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit oder voller Erwerbsminderung nicht im Urlaubsjahr nehmen konnte, kann unter besonderen Umständen mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres untergehen (Rn. 13).
2. Danach verfällt der Urlaubsanspruch 15 Monate nach Beendigung des Urlaubsjahres unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig war (Rn. 14).
3. Demgegenüber kann ein Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub aus einem Bezugszeitraum, in dessen Verlauf der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, bevor er aufgrund einer seitdem fortbestehenden Krankheit arbeitsunfähig geworden ist, bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG grundsätzlich nur dann nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten erlöschen, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten rechtzeitig nachgekommen ist (Rn. 15).
4. Die Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers dienen jedoch keinen Selbstzweck. Tritt die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers so früh im Urlaubsjahr ein, dass es dem Arbeitgeber tatsächlich nicht möglich war, den Arbeitnehmer zur Inanspruchnahme des Urlaubs zu veranlassen, erlischt der Urlaubsanspruch bei fortdauernder Erkrankung unabhängig von der Mitwirkung des Arbeitgebers mit Ablauf eines Übertragungszeitraums 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres (Rn. 17).
5. Das Risiko, wegen einer im Urlaubsjahr eintretenden Krankheit Urlaubsansprüche nicht erfüllen zu können, ist dem Arbeitgeber somit erst zugewiesen, wenn er seine Obliegenheiten tatsächlich erfüllen konnte. Bis dahin trägt der Arbeitnehmer das Verfallrisiko. Mit Entstehung des Urlaubsanspruchs muss der Arbeitgeber seiner Verantwortung bei der Inanspruchnahme des Urlaubs unverzüglich iSv. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB – dh. idR innerhalb von sechs Werktagen – nachkommen, um nicht das Risiko zu tragen, dass Urlaub wegen einer im Verlauf des Urlaubsjahres eintretenden krankheitsbedingten Erkrankung des Arbeitnehmers nicht am Ende von 15 Monaten erlischt (Rn. 16 ff.).
6. Außerdem kann der Urlaubsanspruch auch bei Nichtbeachtung der Mitwirkungsobliegenheiten nach Ablauf der 15 Monatsfrist verfallen, soweit der Zeitraum zwischen Entstehung des Urlaubsanspruchs und Eintritt der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht ausreicht, um den Urlaub vollständig zu nehmen (Rn. 20).
(Orientierungssätze)
Die bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung von § 7 BUrlG bei Langzeiterkrankungen geltende 15-monatige Verfallfrist kann ausnahmsweise unabhängig von der Erfüllung der Aufforderungsund Hinweisobliegenheiten beginnen, wenn die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers so früh im Urlaubsjahr eintritt, dass es dem Arbeitgeber tatsächlich nicht möglich war, zuvor seinen Obliegenheiten nachzukommen.
(Amtlicher Leitsatz)