BAG, Urteil vom 18.1.2023 – 5 AZR 93/22; ECLI:DE:BAG:2023:180123.U.5AZR93.22.0
1. Ist ein Arbeitnehmer innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG länger als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt, muss er, wenn der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen, auf einem anderen Grundleiden beruhenden Krankheit bestreitet, Tatsachen vortragen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen. Dies wird regelmäßig substantiierten Vortrag dazu erfordern, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Beschwerden mit welchen
Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit im gesamten maßgeblichen Zeitraum bestanden haben, und es notwendig machen, die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden (Rn. 10).
2. Der mit diesen Anforderungen an den vom Arbeitnehmer zu leistenden Vortrag verbundene Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist gerechtfertigt. Er dient dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten legitimen Zweck, eine materiell richtige Entscheidung unter Gewährung rechtlichen Gehörs für beide Parteien anzustreben. Zwar besteht am Schutz der den Gesundheitszustand betreffenden Informationen grundsätzlich ein hohes Interesse, doch ist auf Seiten des Arbeitgebers neben den Verfahrensgrundrechten die in § 3 Abs. 1 EFZG gesetzlich vorgesehene Zumutbarkeitsgrenze zu berücksichtigen, die seine wirtschaftliche Belastung (Art. 12
Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG) grundsätzlich auf eine sechswöchige Entgeltfortzahlungspflicht beschränkt (Rn. 16 ff.).
3. Im Entgeltfortzahlungsprozess ist die Verarbeitung von Daten zu den Erkrankungen und gesundheitlichen Beschwerden eines Arbeitnehmers, die in der Vergangenheit zu seiner Arbeitsunfähigkeit geführt haben, nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. f DS-GVO zulässig (Rn. 22 f.).
(Orientierungssätze)
Die Abstufung der Darlegungslast beim Streit über das Vorliegen einer neuen Erkrankung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 EFZG, wonach der Arbeitnehmer Tatsachen vorzutragen hat, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung bestanden, begegnet weder unions- noch verfassungsrechtlichen Bedenken. Dem steht nicht entgegen, dass der hiernach erforderliche Vortrag im Regelfall mit der Offenlegung der einzelnen zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankungen im maßgeblichen Zeitraum verbunden ist.
(Leitsatz)