Die EU-Kommission hat neue Vorschriften zu Patenten in der EU vorgeschlagen. Sie sollen Unternehmen, insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) dabei helfen, das Beste aus ihren Erfindungen zu machen, neue Technologien zu nutzen und die EU wettbewerbsfähiger zu machen. Die Vorschläge betreffen standardessenzielle Patente, Zwangslizenzierungen und ergänzende Schutzzertifikate. Margrethe Vestager, Exekutiv-Vizepräsidentin der Kommission, sagte: „Heute schlagen wir faire Regeln vor, die den Patentinhabern und -nutzern zugute kommen, und geben den KMU gute Instrumente zum Schutz des geistigen Eigentums an die Hand. Wir versetzen die europäische Kreativ- und Innovationsindustrie in die Lage, weltweit führend zu bleiben und den grünen und digitalen Wandel in Europa zu beschleunigen. Denn ausgewogene, transparente und einheitliche Patentvorschriften werden die Unternehmen besser schützen, damit sie sich im Binnenmarkt und darüber hinaus behaupten können.“
„Mit patentierten Technologien stehen Europas Industrien an der Spitze der Innovation, von der Automobilindustrie bis zum Internet der Dinge. Heute modernisieren wir unseren Rahmen für standardessenzielle Patente, machen ihn transparenter, KMU-freundlich und bereit für die Wirtschaft von morgen“, ergänzte EU-Binnenmarktkommissar, Thierry Breton.
Die vorgeschlagenen Verordnungen über wesentliche Standardpatente, Zwangslizenzen für Patente in Krisensituationen und die Überarbeitung der Rechtsvorschriften über ergänzende Schutzzertifikate werden einen transparenteren, wirksameren und zukunftssicheren Rahmen für die Rechte an geistigem Eigentum schaffen.
Immaterielle Vermögenswerte wie Marken, Geschmacksmuster, Patente und Daten werden in der heutigen wissensbasierten Wirtschaft immer wichtiger. Geistiges Eigentum (IP) ist ein wichtiger Motor für das Wirtschaftswachstum, da es den Unternehmen hilft, den Wert ihrer immateriellen Vermögenswerte zu steigern. Auf schutzrechtsintensive Branchen entfällt fast die Hälfte des gesamten BIP und über 90 Prozent aller EU-Ausfuhren. Im Zeitraum 2017-2019 entfielen fast 76 Prozent des Intra-EU-Handels auf patentintensive Branchen.
Die Vorschläge vom 27.4.2023 ergänzen das System des Einheitspatents, das am 1.6.2023 in Kraft treten wird. Ausgangspunkt sind die bestehenden Bestimmungen und Grundsätze des internationalen und des EU-Rechts für geistiges Eigentum.
Die Vorschläge zielen darauf ab, das Patentsystem effektiver zu gestalten, indem die Fragmentierung des Binnenmarktes weiter beseitigt, der bürokratische Aufwand verringert und die Effizienz erhöht wird. Dieser solide Patentrahmen wird die Wirtschaftsteilnehmer und die zuständigen Behörden in die Lage versetzen, Innovationen besser zu schützen und gleichzeitig einen fairen Zugang zu gewährleisten, auch in Notsituationen.
Diese Patentinitiativen betreffen die folgenden Schlüsselbereiche:
Standardessenzielle Patente
Standardessenzielle Patente (SEP) sind Patente, die Technologien schützen, die als wesentlich für die Umsetzung einer technischen Norm erklärt wurden, die von einer Organisation zur Entwicklung von Normen (SDO) angenommen wurde. Solche Standards beziehen sich zum Beispiel auf Konnektivität (z. B. 5G, Wi-Fi, Bluetooth, NFC) oder Audio-/Videokomprimierungs- und -dekomprimierungsstandards.
Um ein standardkonformes Produkt herzustellen, ist ein Implementierer verpflichtet, die entsprechenden „wesentlichen“ Patente zu nutzen. Das durch diese spezifischen Patente gewährte Monopol wird durch die Verpflichtung der SEP-Inhaber ausgeglichen, diese Patente zu fairen, angemessenen und diskriminierungsfreien Bedingungen (FRAND) zu lizenzieren, um den Implementierern den Zugang zum Markt zu ermöglichen.
Seit vielen Jahren leidet das derzeitige System unter einem Mangel an Transparenz, Vorhersehbarkeit und langwierigen Streitigkeiten und Rechtsstreitigkeiten, wie erstmals in der Mitteilung der Kommission von 2017 über standardessentielle Patente festgestellt wurde. Frühere Maßnahmen zur Bewältigung dieser Probleme, wie etwa die Selbstregulierung, haben sich nicht als wirksam erwiesen. In ihrem IP-Aktionsplan 2020 betonte die Kommission die Notwendigkeit „eines viel klareren und berechenbareren Rahmens, der Anreize für Verhandlungen in gutem Glauben bietet, anstatt auf Rechtsstreitigkeiten zurückzugreifen“.
Die Anwendbarkeit von SEPs (insbesondere für Konnektivitätsnormen) wird mit dem Aufkommen des „Internets der Dinge“ (IoT) zunehmen. Daher ist ein gut funktionierendes System, das den Zugang zu Technologien erleichtert und gleichzeitig Innovationen belohnt, für die technologische Souveränität der EU von entscheidender Bedeutung.
Mit dem vorgeschlagenen SEP-Lizenzierungsrahmen soll ein ausgewogenes System geschaffen werden, das einen weltweiten Maßstab für die Transparenz von SEP, die Verringerung von Konflikten und effiziente Verhandlungen setzt. Er hat die folgenden zwei Hauptziele:
- sicherzustellen, dass sowohl die Inhaber als auch die Umsetzer von SEP in der EU innovativ sind, Produkte in der EU herstellen und verkaufen und auf den globalen Märkten wettbewerbsfähig sind.
- sicherzustellen, dass Endnutzer, einschließlich KMU und Verbraucher, von Produkten, die auf den neuesten standardisierten Technologien basieren, zu fairen und angemessenen Preisen profitieren.
Der vorgeschlagene Rahmen für die SEP-Lizenzierung wird für zusätzliche Transparenz in Bezug auf SEP-Portfolios und Gesamtlizenzgebühren (wenn Patente mehrerer Inhaber betroffen sind) sorgen und den Parteien effizientere Möglichkeiten bieten, sich auf FRAND-Bedingungen für ihre Lizenzen zu einigen.
Mit dem Vorschlag werden Maßnahmen zu folgenden Aspekten eingeführt: ein SEP-Register, eine Datenbank und Wesentlichkeitsprüfungen, Sachverständigengutachten zu SEP-Gesamtlizenzgebühren, FRAND-Bestimmung durch Schlichtung anstelle eines kostspieligen Rechtsstreits, Maßnahmen zur Unterstützung von KMU und die Einrichtung eines „Kompetenzzentrums“ beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO).
Die vorgeschlagene Verordnung wird für alle Normen gelten, die nach ihrem Inkrafttreten veröffentlicht werden. Die Kommission wird jedoch festlegen, welche Normen, ihre Implementierungen oder Anwendungsfälle von der Festsetzung der Gesamtlizenzgebühren und dem FRAND-Schlichtungsverfahren ausgenommen werden, wenn die jeweilige SEP-Lizenzierung keine erheblichen Schwierigkeiten oder Ineffizienzen mit sich bringt, die das Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtigen. Umgekehrt werden Normen, die vor dem Inkrafttreten der Verordnung veröffentlicht wurden, nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, es sei denn, spezifische Marktverzerrungen aufgrund von Ineffizienzen bei der Lizenzierung von SEPs veranlassen die Kommission, sie in den Anwendungsbereich der Verordnung aufzunehmen.
Zwangslizenzierung
Die Zwangslizenzierung von Patenten ermöglicht es einer Regierung, die Nutzung einer patentierten Erfindung ohne die Zustimmung des Patentinhabers zu genehmigen. Freiwillige Lizenzvereinbarungen mit den Herstellern sind in der Regel das bevorzugte Instrument, um die Produktion hochzufahren. Sollten jedoch freiwillige Vereinbarungen nicht verfügbar oder nicht angemessen sein, können Zwangslizenzen als letztes Mittel in Krisenzeiten den Zugang zu wichtigen krisenrelevanten Produkten und Technologien ermöglichen. Derzeit gibt es einen Flickenteppich von 27 nationalen Zwangslizenzregelungen, obwohl viele Wertschöpfungsketten EU-weit tätig sind. Dies kann sowohl für die Rechteinhaber als auch für die Nutzer von Rechten des geistigen Eigentums eine Quelle der Rechtsunsicherheit sein.
Die neuen Vorschriften sehen ein neues EU-weites Zwangslizenzierungsinstrument vor, das die EU-Kriseninstrumente wie das Binnenmarkt-Sofortprogramm, die HERA-Verordnungen und die Chip-Verordnung ergänzen würde. Nach der COVID-19-Krise stärken diese neuen Regeln die Krisenfestigkeit der Union, indem sie den Zugang zu wichtigen patentierten Produkten und Technologien in Krisenzeiten sicherstellen, falls freiwillige Vereinbarungen nicht verfügbar oder nicht angemessen sind.
Ergänzende Schutzzertifikate
Ein ergänzendes Schutzzertifikat (SPC) ist ein Recht des geistigen Eigentums, das die Laufzeit eines Patents (um bis zu fünf Jahre) für ein Human- oder Tierarzneimittel oder ein Pflanzenschutzmittel, das von den Regulierungsbehörden zugelassen wurde, verlängert. Es soll Innovationen fördern und Wachstum und Beschäftigung in diesen Sektoren begünstigen. Der SPC-Schutz ist jedoch nur auf nationaler Ebene möglich. Daher ist das derzeitige System zersplittert, was zu komplexen und kostspieligen Verfahren sowie zu Rechtsunsicherheit führt.
Mit dieser Initiative wird ein einheitliches SPC eingeführt, das das Einheitspatent ergänzt. Mit der SPC-Reform wird auch ein zentralisiertes Prüfungsverfahren eingeführt, das vom EUIPO in enger Zusammenarbeit mit den nationalen Ämtern für geistiges Eigentum der EU durchgeführt wird. Im Rahmen dieser Regelung wird ein einziger Antrag einem einzigen Prüfungsverfahren unterzogen, das im Falle eines positiven Ergebnisses zur Erteilung nationaler Schutzrechte für jeden der im Antrag genannten Mitgliedstaaten führt. Das gleiche Verfahren kann auch zur Erteilung eines einheitlichen Schutzrechts führen.
2023 EU-KMU-Fonds
Um die Innovation weiter zu unterstützen, wird der KMU-Fonds 2023 parallel zu den Vorschlägen vom 27.4.2023 nun auch neue Dienstleistungen in Form von Gutscheinen zur Verfügung stellen, die erstmals europäische Patente und neue Pflanzensorten betreffen. Mit diesen neuen Dienstleistungen können KMU bis zu 1.500 Euro bei der Patentanmeldung und 225 Euro bei der Anmeldung neuer Pflanzensorten pro Antrag sparen.
Nächste Schritte
Die vorgeschlagenen Verordnungen müssen noch vom Europäischen Parlament und vom Rat der Europäischen Union erörtert und gebilligt werden, damit sie angenommen werden und in Kraft treten können.
(PM EU-Kommission – Vertretung in Deutschland – vom 27.4.2023)