Warum Firmen sich mit Wasserknappheit beschäftigen sollten

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Grundwasserbestände sinken, Flüsse trocknen aus: Der Wasserstress weltweit steigt, auch in Deutschland. Auf der Agenda von Ländern und Unternehmen rückt das Thema nach oben.

Den größten Steuerzahler der Finanzmetropole Frankfurt am Main hat man viele Jahre lang nicht in den Bankentürmen in der Innenstadt gefunden, sondern flussabwärts im Industriepark Höchst. Dort ist der Arzneimittelhersteller Sanofi tätig – neben anderen Firmen wie dem Baumaterialhersteller Würth, dem Gaselieferanten Air Liquide, dem Industriekonzern Siemens oder der Life-Science-Firma Clariant. Der Industriepark ist ein wirtschaftliches Kraftzentrum der Region.

Für sein Funktionieren spielt der Main eine erhebliche Rolle. Er fließt mitten durch das Gelände. Das Flusswasser wird für die Herstellung von Produkten und für das Kühlen von Prozessen verwendet. „Im Industriepark Höchst werden große Mengen an Wasser benötigt“, so der Betreiber. Dieses komme zu 95 Prozent aus dem Fluss. Jährlich werden dem Main circa 66 Millionen Kubikmeter Wasser entnommen. Der Trinkwasserverbrauch der Stadt Frankfurt liegt bei 46 Millionen Kubikmeter.

„Wir bekommen hier tatsächlich Probleme mit der Wasserversorgung“

Trocknet der Main aus, steht der Industriepark still. Es entstehen keine Produkte mehr, Investitionen werden wertlos. Ein extremes Szenario, das so niemand erwartet. Doch es verdeutlicht die Abhängigkeit von Unternehmen vom Produktionsmittel Wasser, dessen Verfügbarkeit in den vergangenen Jahrzehnten als selbstverständlich galt.

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Inzwischen ist das nicht mehr so. Zu Rinnsalen zusammengeschrumpfte Flüsse, verdorrte Felder und erste Kommunen, die Brunnen schließen, haben die Wahrnehmung deutlich verändert.

Im Februar 2023 veröffentlichte die Universität Graz eine Untersuchung auf Basis von Satellitendaten, wonach die europäischen Grundwasservorräte schrumpfen. „Vor ein paar Jahren hätte ich mir nie vorstellen können, dass Wasser hier in Europa, insbesondere in Deutschland oder Österreich, ein Problem werden würde“, so Studienautor Professor Torsten Mayer-Gürr. „Wir bekommen hier tatsächlich Probleme mit der Wasserversorgung.“

Konflikt zwischen Stadt, Land und Industrie?

Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass Wasser künftig eine größere Bedeutung für ihren Erfolg haben wird. Im Industriepark Höchst ist man sich dessen bewusst. „Um das gewonnene Wasser bestmöglich zu nutzen, wird es mittels ausgeklügelter Prozesse ‚recycelt‘, so der Parkbetreiber, „sodass aufbereitetes Flusswasser bis zu 50 Mal wiederverwendet wird.“ Nach der Nutzung werde das Wasser zum überwiegenden Teil gereinigt und in den Main zurückgeführt.

Städtisches Trinkwasser nutzt der Industriepark so gut wie gar nicht. Er betreibt noch eigene Brunnen. „Damit wird die teilweise unter Druck stehende Trinkwasserversorgung des Rhein-Main-Gebietes nicht zusätzlich belastet.“ Damit versucht man Wasserkonflikte mit der Stadt Frankfurt zu vermeiden.

Die Wirtschaftsmetropole kann nur etwa ein Viertel ihres Trinkwasserbedarfs im Stadtgebiet gewinnen. Das restliche Wasser stammt aus Zulieferungen aus dem Umland, dem Hessischen Ried, dem Kinzigtal und dem weitab gelegenen Vogelsberg. Mit letzterem gibt es bereits Konflikte um Wasser. Die Bauern in der Region beklagen sich, dass wegen Wassermangels nicht genügend Gras wachse und die Kühe nicht mehr satt würden. Im Sommer 2022 veranstalteten Menschen aus dem Vogelsberg einen Protestlauf, bei dem sie Wasser aus Frankfurt zurück in ihre Heimat trugen.

Untersuchung: Hoher Wasserstress auch in europäischen Ländern

Wer bekommt das Wasser? Diese Frage stellt sich nicht nur in Frankfurt, sondern in vielen Regionen Deutschlands, Europas und der Welt. Wasserstress ist beileibe kein Problem, das Länder im Nahen Osten oder Nordafrika exklusiv haben. Eine Untersuchung des World Resources Institut von 2019 attestiert in Europa auch Italien und Teilen Südspaniens extrem hohen Wasserstress – und was vielleicht eher überrascht: einem kleinen Teil Nordfrankreichs und einem großen Teil Belgiens.

Hohen Wasserstress sehen die Fachleute zum Beispiel in fast ganz Nordfrankreich, in der Region um die britische Hauptstadt London und in einem großen Teil von Deutschland, darunter Teile von Brandenburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Hessen, Bayern und Baden-Württemberg.

Wichtige Wirtschaftsregionen liegen häufig an Flüssen. Alleine am Rhein finden sich zahlreiche wichtige Industriezentren von Basel über Mannheim bis Köln und Rotterdam. Er ist eine der meistbefahrenen Wasserstraßen der Welt. Die Schifffahrt verbilligt den Transport von Gütern und den Handel. Ausreichend Wasser ermöglicht die Produktion von Waren, ist die Grundlage für die Versorgung großer Stadtbevölkerungen und für die Kühlung von Kraftwerken.

„Wasserknappheit wird zu Produktivitätsverlusten führen“

„Wasserstress ist eine ernsthafte Bedrohung für menschliches Leben, die Existenzsicherung und geschäftliche Stabilität“, so das World Resources Institute. „Die Lage wird sich weiter verschlechtern, wenn die Länder nicht handeln: Das Bevölkerungswachstum, die sozioökonomische Entwicklung und die Verstädterung erhöhen den Wasserbedarf, während der Klimawandel die Niederschläge und den Bedarf variabler machen kann.“

Kraftwerke, die zeitweise abgestellt werden müssen, weil es nicht genügend Kühlwasser gibt; Schiffe, die nicht mehr fahren können; Ernten, die verdorren; Fabriken, die die Produktion stoppen müssen: Fehlendes Wasser wirkt sich auf den Wert von Investitionen und die Ertragskraft von Unternehmen aus. „Zunehmende Wasserknappheit wird zu Produktivitäts- und Beschäftigungsverlusten führen“, so Marcus Weyerer, Investmentstratege bei der Investmentgesellschaft Franklin Templeton. Die sichere Versorgung mit Wasser ist damit ein Standort- und Wettbewerbsfaktor.

Wassersicherheit ist nicht nur vom Wetter abhängig

Bei der Sicherstellung der Wasserversorgung sind die Staaten aber nicht gänzlich Klima und Wetter ausgeliefert. Die Liste möglicher Gegenmaßnahmen ist lang. Zu den offensichtlichsten gehört, den Wasserverbrauch zu reduzieren. In Deutschland ist die Energiewirtschaft der mit Abstand größte Wasserverbraucher. Durch die Umstellung auf Erneuerbare Energien wird erheblich weniger Wasser für Bergbau und Kühlung von Kraftwerken benötigt. Auch für den zweiten großen Wassernutzer, die Landwirtschaft, gibt es Methoden, um den Verbrauch zu senken.

Zusätzlich zu Einsparungen geht es darum, Wasser möglichst lange vor Ort zu halten. Das bedeutet einerseits, Wasser im Kreislauf zu führen, wiederaufzubereiten und wiederzuverwenden. Andererseits heißt es auch, Infrastrukturen so zu bauen, dass zum Beispiel Regenwasser nicht direkt abgeleitet wird, sondern zum Beispiel in Zisternen aufgefangen wird oder im Boden versickern kann.

Nationale Wasserstrategie vorgestellt

Die Bundesregierung hat in ihrer kürzlich vorgestellten Nationalen Wasserstrategie solche und andere Punkte festgehalten. Damit will sie die „natürlichen Wasserreserven Deutschlands sichern, Vorsorge gegen Wasserknappheit leisten, Nutzungskonflikten vorbeugen, den Sanierungsstau in der Wasserinfrastruktur angehen sowie den Zustand der Gewässer und die Wasserqualität verbessern“. Aufgelistet sind insgesamt 78 Vorschläge, mit denen auch auf kommunaler und regionaler Ebene die Wasserversorgung gesichert werden soll.

Zu den Kernelementen gehören: die Stärkung der Prognosefähigkeit, um das Wasser rechtzeitig dorthin zu bringen, wo es benötigt wird; Leitlinien für den Umgang mit Wasserknappheit, um die Versorgung zu priorisieren; der Aufbau einer überregionalen Wasserinfrastruktur, zum Beispiel Fernwasserleitungskorridore; wassersensible Städte, die so entwickelt werden, dass sie zum Erhalt oder zur Regenerierung der lokalen Wasservorräte beitragen.

Bayer bezieht Wasser in Geschäftsentscheidungen ein

Auch bei den Unternehmen rückt das Thema Wassersicherheit auf der Agenda nach oben. Der Gesundheits- und Agrarkonzern Bayern hat im März eine neue Wasserstrategie bekanntgegeben. Sie soll in einem ganzheitlichen Ansatz die Wassernutzung und – Qualität verbessern und umfasst auch die Produktentwicklung und die Lieferanten des Konzerns. „Mit diesem Schritt macht das Unternehmen Wasser zu einem integralen Bestandteil seiner Geschäfts- und Investitions­entscheidungen sowie der Lieferantenauswahl“, teilten die Leverkusener mit.

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