© IMAGO / Addictive Stock

OLG München: Coronavirus, SARS-CoV-2, Gesellschafterversammlung, Schadensersatz …

... Berufung, Gesellschaft/er, Frist, Verfahren, Zeitpunkt, Berechnung, Versammlung, Versammlungsort, Ausschluss, Genehmigung, Anfechtung, Aufgabe zur Post, zwei Wochen

OLG München, Endurteil vom 22.3.2023 – 7 U 1995/21

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von auf einer Gesellschafterversammlung der Beklagten am 27.04.2020 gefassten Beschlüssen (in der Berufung mit Ausnahme des Beschlusses unter Top 9 über die Ausschließung des Klägers aus der Gesellschaft).

Der Kläger und Frau C. P. waren im Zeitpunkt der Gesellschafterversammlung (und sind immer noch) Gesellschafter der Beklagten zu 1/2. Der Kläger war jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Gesellschafterversammlung Geschäftsführer der Beklagten; seit 23.07.2019 ist Frau A. R. weitere Geschäftsführerin der Beklagten. Beide Geschäftsführer haben im Außenverhältnis Einzelvertretungsbefugnis.

Die Satzung der Beklagten (in ihrer Fassung ab 2016) statuiert M. als Sitz der Beklagten (§ 2 der Satzung, Anlage A3) und enthält zu Gesellschafterversammlungen in §§ 10f. folgende Regelungen:

„§ 10 Gesellschafterversammlungen

1. …

2. Die Einberufung erfolgt durch eingeschriebenen Brief an jeden Gesellschafter unter Angabe von Ort, Tag, Zeit und Tagesordnung mit einer Frist von vier Wochen bei ordentlichen Gesellschafterversammlungen und von mindestens zwei Wochen bei außerordentlichen Gesellschafterversammlungen. Der Lauf der Frist beginnt mit dem der Aufgabe zur Post folgenden Tag. Der Tag der Versammlung wird bei der Berechnung der Frist nicht mitgezählt.

3. Eine Gesellschafterversammlung ist nur beschlußfähig, wenn mindestens 50% des Stammkapitals vertreten sind. Sind weniger als 50% des Stammkapitals vertreten, ist unter Beachtung von Abs. 2 unverzüglich eine neue Gesellschafterversammlung mit Tagesordnung einzuberufen. Diese ist ohne Rücksicht auf das vertretene Stammkapital beschlussfähig, falls hierauf in der Einberufung hingewiesen wird.

4. Sind sämtliche Gesellschafter anwesend oder vertreten und mit der Beschlußfassung einverstanden, so können Beschlüsse auch dann gefaßt werden, wenn die für die Einberufung und Ankündigung geltenden gesetzlichen oder gesellschaftsvertraglichen Vorschriften nicht eingehalten worden sind.

§ 11 Gesellschafterbeschlüsse

1. Die Beschlüsse der Gesellschafter werden in Versammlungen gefasst. Außerhalb von Versammlungen können sie, soweit nicht zwingendes Recht eine andere Form vorschreibt, durch schriftliche, fernmündliche, telegrafische oder mündliche, auch fernmündliche Abstimmung gefaßt werden, wenn sich jeder Gesellschafter an der Abstimmung beteiligt.

2. …

3. Gesellschafterbeschlüsse werden mit 80% der abgegebenen Stimmen gefasst, soweit nicht ein Gesetz oder Gesellschaftersvertrag eine größere Mehrheit vorgesehen [sic]. Je DM 100,00 eines Geschäftsanteils gewähren eine Stimme.“

Die Geschäftsführerin R. lud mit Schreiben von Gründonnerstag, den 09.04.2020 (Anlage A7) zu einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung am 27.04.2020 in den Räumen von KMO in Frankfurt ein. In den für die Gesellschafterversammlung vorgesehenen Räumlichkeiten befindet sich die Rechtsanwaltskanzlei des Vaters (H. K.) der Mitgesellschafterin des Klägers. In der Einladung waren die Tagesordnungspunkte 1-7, darunter die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer aus wichtigem Grund, angegeben. Die Einladung erreichte den Kläger am 14.04.2020. Mit auf den 09.04.2020 datiertem Schreiben, das in Wirklichkeit vom 21.04.2020 stammt und dem Kläger per E-Mail (Anlage 10a) an diesem Tag übersandt wurde, wurde die Tagesordnung um die Tagesordnungspunkte 8-14, darunter die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den Kläger (TOP 8) und seine Ausschließung aus der Gesellschaft wegen pflichtwidriger und gesellschaftsschädigender Handlungen (TOP 9), ergänzt. Der Kläger rügte mit Schreiben vom 16.04.2020, 22.04.2020 und 24.04.2020 den Versammlungsort F. (Anlagen A 8, A 10, A 11), in den Schreiben vom 16.04.2020 und vom 24.04.2020 (dort durch Bezugnahme auf bereits erhobene Rügen) auch die Nichteinhaltung der Frist. Die Gesellschafterversammlung fand sodann, wie angekündigt, in F. statt. An dieser Gesellschafterversammlung nahm – neben Herrn K. als Vertreter der Gesellschafterin P. und Frau R. als Geschäftsführerin – als Vertreter des Klägers Herr Rechtsanwalt M. S. teil, der die Rüge des unzulässigen Versammlungsorts und auch der Frist (Protokoll, Anlage A 15, S. 1 und Anlage zum Protokoll) aufrecht erhielt. Die zur Versammlungsleiterin bestimmte Mitgeschäftsführerin Riese stellte fest, dass mit den Stimmen der Gesellschafterin C. P. die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 1, 2, 5, 7, 8, 9, 10, 12, 13 und 14 gefasst wurden; der anwaltliche Vertreter des Klägers hatte für diesen gegen die Beschlussgegenstände gestimmt (vergleiche Protokoll der Gesellschafterversammlung Anlage A 15).

Der Kläger ist der Auffassung, sämtliche am 27.04.2020 gefassten Beschlüsse seien unwirksam, da sie an einem unzulässigen Versammlungsort gefasst worden seien. Zudem sei die Ladungsfrist nicht eingehalten. Zu weiteren Rügen wird auf die Ausführungen im streitigen Klägervortrag im landgerichtlichen Urteil Bezug genommen.

Der Kläger beantragte erstinstanzlich:

Es wird festgestellt, dass die in der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 27.04.2020 gefassten Beschlüsse zu

TOP 1

Die sofortige Abberufung des Klägers aus wichtigem Grund als Geschäftsführer wegen gravierender Pflichtverletzungen und Interessenkollision.

TOP 2

Die sofortige Übersendung von sämtlichen Originalakten der Gesellschaft zu Händen der Geschäftsführerin seit deren Beginn nach F. … .

TOP 5

Die Beauftragung der Geschäftsführungsprüfung an Herrn Wirtschaftsprüfer A.L., V. AG, wegen u.a. fehlerhafter Jahresabschlüsse, Rechtsgrundlagen sowie Überprüfung der Angemessenheit der gezahlten Geschäftsführergehälter und über Leistungen an Personal und Räumlichkeiten an G. GmbH oder andere mit dem Geschäftsführer S. G. verbundene Gesellschaften wird bestätigt.

TOP 7

Der Geschäftsführer Stephan G. hat verfügte oder beabsichtigte Zahlungen, z.B. künftige Geschäftsführergehälter, Lohnsteuer, Zahlungen an Herrn Steuerberater Sch und Lohnsteuern einschließlich des Kontos bei der H. & A. mit der Endnummer -120 unter der Bezeichnung „GAC/SG Bauvorhaben“ zu unterlassen.

TOP 8

Es sollen Schadensersatzansprüche gegen den Geschäftsführer S. G. wegen pflichtwidriger und gesellschaftsschädigender Handlungen, erheblicher unberechtigter Privatentnahmen, Verweigerung von Aufklärungsmaßnahmen im Hinblick auf zum Vorwurf gemachte Pflichtverletzungen, Gewährung von unberechtigten wirtschaftlichen Vorteilen an Dritte etc. geltend gemacht werden, ebenso soll eine Prüfung zur Einleitung gerichtlicher Verfahren diesbezüglich erfolgen.

TOP 9

Der Gesellschafter S. G. wird aus der Gesellschaft ausgeschlossen wegen pflichtwidriger und gesellschaftsschädigender Handlungen, erheblicher unberechtigter Privatentnahmen, Verweigerung von Aufklärungsmaßnahmen im Hinblick auf zum Vorwurf gemachter Pflichtverletzungen, Gewährung von unberechtigten wirtschaftlichen Vorteilen an Dritte etc.. Es soll eine Prüfung zur Einleitung gerichtlicher Verfahren diesbezüglich erfolgen.

TOP 10

Gegen Herrn Steuerberater und Wirtschaftsprüfer A. Sch. sollen seitens der Gesellschaft Schadensersatzansprüche wegen pflichtwidriger und gesellschaftsschädigender Handlung geltend gemacht werden und ebenso soll eine Prüfung zur Einleitung gerichtlicher Verfahren erfolgen.

TOP 12

Nutzungsverhältnisse zwischen der Gesellschaft hinsichtlich der Geschäftsräume in den Räumen des Geschäftsführers S. G., … 8 in M. sollen außerordentlich gekündigt werden.

TOP 13

Sämtliche verwahrten Geschäftsunterlagen der Gesellschaft sollen ab Geschäftsbeginn an die V. AG, H., herausgegeben werden, dies auf der Grundlage des in der Gesellschafterversammlung vom 23.07.2019 gefassten Beschlusses unter TOP 10.

TOP 14

Bestehende Nutzungsverhältnisse zwischen der Gesellschaft und dem Geschäftsführer S. G. oder diesem verbundener Dritter, insbesondere in Verbindung mit der Nutzung von Büroräumen in den Räumen des Geschäftsführers S. G., … 8 in M. sollen außerordentlich gekündigt werden.

nichtig sind.

Die Beklagte beantragte

Klageabweisung.

Sie ist der Auffassung, der Wirksamkeit der streitgegenständlichen Beschlüsse stehe der Versammlungsort Frankfurt nicht entgegen. Denn es handele sich bei dem beanstandeten Versammlungslokal de facto zumindest um eine Betriebsstätte der Gesellschaft, weil die mit gleichen Rechten und Pflichten ausgestattete Geschäftsführerin R. unter der Adresse der in der Ladung angegebenen Geschäftsanschrift ihre Geschäftsführertätigkeit für die Gesellschaft ausübe. Auch handele es sich um eine Folgeversammlung zu der vorangegangenen außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 23.07.2019, die in den gleichen Räumlichkeiten stattgefunden habe. Dort seien die maßgeblichen kritischen Beschlussgegenstände in Erwartung einer einvernehmlichen Regelung zurückgestellt und vertagt worden. An dieser vorangegangenen Gesellschafterversammlung habe der Kläger teilgenommen. Im Übrigen sei die Einberufung einer Gesellschafterversammlung an einen anderen Versammlungsort als den Sitz der Gesellschaft zulässig, wenn es sich um eine Gesellschaft mit einem überschaubaren Gesellschafterkreis handele und bei einem abweichenden Versammlungsort von vornherein feststehe, dass er die Teilnahme nicht erschwere. So liege es hier. Der Kläger verweigere sich treuwidrig der Durchführung der Gesellschafterversammlung in F. Im Geschäftslokal der Beklagten in M. hätten sich keine geeigneten Räume befunden, um in der damals gegebenen Coronasituation eine Gesellschafterversammlung durchzuführen. Geeignete Räume in einem F. Hotel zu finden sei coronabedingt nicht möglich gewesen. Auch in München hätten im April 2020 keine Tagungsräume angemietet werden können. Die Rüge der Nichteinhaltung der Ladungsfrist gehe fehl.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 26.03.2021, das durch Beschluss vom 30.08.2021 berichtigt wurde und auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe ergänzend Bezug genommen wird (§ 540 Abs. 1 ZPO), festgestellt, dass der Beschluss, den Gesellschafter G. aus der Gesellschaft auszuschließen, nichtig sei, weil es an einer satzungsrechtlichen Grundlage für einen Ausschluss fehle. Insoweit nimmt die Beklagte das erstinstanzliche Urteil hin. Die übrigen in der Versammlung gefassten Beschlüsse hat das Landgericht wegen eines unzulässigen Versammlungsortes für nichtig erklärt. Grundsätzlich sollten Gesellschafterversammlung am Sitz der Gesellschaft stattfinden. Dies sei nicht geschehen. Ausnahmen griffen vorliegend nicht. Eine Teilnahme in den Kanzleiräumen des Vaters der Mitgesellschafterin P. sei dem Kläger nicht zuzumuten. Am Sitz der Gesellschaft habe ein Raum von 16m² zur Verfügung gestanden, der bei entsprechenden Lüftungsmaßnahmen und dem Tragen von Masken durchaus für eine Gesellschafterversammlung, an der lediglich 3 Personen teilnahmen, hätte genutzt werden können. Auch hätte ein Tagungsraum in einem Hotel in M. angemietet werden können. Gesellschafterversammlungen seien während des Lockdowns im April 2020 nicht per se verboten gewesen. Auch hätte die Beschlussfassung im Umlaufverfahren in die Wege geleitet werden können. Damit sei das Teilnahmerecht des Klägers in anfechtbare Weise verletzt.

Gegen diese Sichtweise wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, in der sie ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft.

Die Beklagte beantragt,

das am 26.03.2021 verkündete Endurteil der 10. Kammer für Handelssachen des Landgerichts München I, Az. 10 HK O 5766/20, abzuändern und die Klage, soweit über diese zu Ziffer 2 der Entscheidungsformel befunden worden ist, abzuweisen.

Der Kläger beantragt

die Zurückweisung der Berufung.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Der Senat hat über die Berufung am 22.03.2023 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift und die gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

Aus den Gründen

II. Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. Das Landgericht hat die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung vom 27.04.2020, soweit noch in der Berufung streitgegenständlich, zu Recht wegen des fehlerhaften Versammlungsortes für nichtig erklärt. Im Übrigen wurde, jedenfalls soweit die ergänzten Tagesordnungspunkte inmitten stehen, auch die Ladungsfrist nicht eingehalten.

1. Der Versammlungsort war fehlerhaft gewählt; dies führt zur Anfechtbarkeit der in der Gesellschafterversammlung am 27.04.2022 gefassten Beschlüsse.

1.1. Die Satzung regelt den Ort der Gesellschafterversammlung nicht. In diesem Fall soll – in Analogie zu § 121 Abs. 5 Satz 1 AktG – die Gesellschafterversammlung am Sitz der Gesellschaft stattfinden. Dies ist nicht erfolgt (dazu unter 1.2). Eine Ausnahme, die eine Gesellschaftsversammlung in Frankfurt rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich (dazu unter 1.3f.).

1.2. Die Satzung bestimmt (ausschließlich) München als Sitz der Gesellschaft. Dieser statutarisch bestimmte Sitz ist für das Recht der GmbH maßgeblich (§ 4a GmbHG; vgl. C. Jaeger in BeckOK GmbHG, § 4a Rn. 3 [Stand: 01.11.2022]; Schindler in BeckOK GmbHG, § 48 Rn. 11 [Stand: 01.09.2022]; Liebscher in MüKo GmbHG, 4. Aufl., § 48 Rn. 70f.]); der Verweis der Beklagten auf Rechtsprechung zu anderen Gesellschaftsformen ist insoweit unbehelflich). Auf die Frage, ob die Gesellschaft eine weitere Betriebsstätte am Tätigkeitsort der Mitgeschäftsführerin Riese in Frankfurt hatte, kommt es nicht an, denn eine unterstellte weitere Betriebsstätte begründet keinen weiteren Sitz der Gesellschaft.

1.3. Die Regelung des § 121 Abs. 5 Satz 1 AktG (analog) bezweckt, die Gesellschafter vor einer willkürlichen Wahl des Versammlungsortes und einer daraus folgenden Beeinträchtigung ihres Teilnahmerechtes zu schützen. Dieser Gesetzeszweck ist bestimmend für die Frage, wann und in welchem Maße das Einberufungsorgan – hier die Mit-Geschäftsführerin R. – von der Sollvorschrift des § 121 Abs. 5 Satz 1 AktG abweichen darf (vgl. BGH, Beschluss vom 24.03.2016 – IX ZB 32/15, juris-Rn. 24).

1.3.1. Zumindest in einer Gesellschaft mit einem überschaubaren Gesellschafterkreis darf ein Ort gewählt werden, von dem von vornherein versteht, dass er die Teilnahme nicht erschwert, weil ihn die Gesellschafter leichter als den Sitz der Gesellschaft erreichen können (BGH, aaO mwN). So liegt der Fall jedoch nicht. Gesellschafter der Beklagten sind die Gesellschafterin P. mit Wohnsitz in B. und der Kläger mit Wohnsitz in M. Jedenfalls für den Kläger ist der Versammlungsort M. wesentlich einfacher zu erreichen als der Versammlungsort F.

1.3.2. Des Weiteren darf nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung von der Sollbestimmung abgewichen werden, wenn am Sitz der Gesellschaft kein geeignetes Versammlungslokal vorhanden ist oder die Verkehrsverbindung dorthin gestört ist (BGH, aaO, mwN). Zwischen den Parteien besteht (im gerichtlichen Verfahren, vorgerichtlich hatte sich die Beklagte auf diesen Umstand nicht berufen) Streit, ob in München mit den Räumlichkeiten der Gesellschaft oder in etwaig anzumietenden Räumlichkeiten eines Hotels eine auch unter Coronabedingungen geeignete Lokalität zur Verfügung stand und ob deren Nutzung für eine Gesellschafterversammlung nach den geltenden bayerischen Schutzvorschriften zur Bekämpfung der COVID-19 Pandemie zulässig war.

Hierauf kommt es jedoch, wie mit den Parteien in der mündlichen Verhandlung eingehend erörtert, nicht an. Der Gesetzgeber hatte sowohl zum Zeitpunkt der Einberufung der Gesellschafterversammlung als auch im Zeitpunkt der Durchführung der Gesellschafterversammlung im Hinblick auf die Pandemielage eine Regelung getroffen, wie Gesellschafterbeschlüsse bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung trotz der getroffenen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung gefasst werden können. Ausweislich § 2 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie vom 27.03.2020, in Kraft getreten am Folgetag, können abweichend von § 48 Abs. 2 GmbHG Beschlüsse der Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden. Damit hat der Gesetzgeber eine Abhilfemaßnahme geschaffen, mit der eine Beschlussunfähigkeit einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung verhindert wird. Dem Bedürfnis nach einem Austausch an Argumenten kann (nach teilweise vertretener Ansicht: muss, vgl. dazu Liebscher in MüKo GmbHG, 4. Aufl., § 48 Rn. 253ff.) dadurch Rechnung getragen werden, dass der schriftlichen Stimmabgabe einer Videokonferenz vorgeschaltet wird oder zumindest eine solche angeboten wird. Die Satzung der Beklagten sieht – freilich im Einverständnis der Beteiligten – eine fernmündliche Beschlussfassung vor. Es hätte also nahegelegen, auf den skizzierten Mechanismus zurückzugreifen, also eine Videokonferenz abzuhalten oder zumindest anzubieten und konstitutiv – ggf. gegen den Willen des Klägers – eine schriftliche Stimmabgabe vorzusehen. Ein Bedürfnis für eine Versammlung in Präsenz an einem satzungsfremden Ort bestand demnach nicht. Eine Präsenzveranstaltung an einem fernen Ort entgegen der Satzung stellt zugleich eine unzumutbare Belastung für den Kläger dar, der überdies, wie aus dem am selben Tag verhandelten Parallelverfahren 7 U 723/22 bekannt, als damals schon über 60-Jähriger einer besonders vulnerablen Personengruppe angehört.

1.3.3. Im Übrigen teilt der Senat die Auffassung des Landgerichts, dass auch die Räumlichkeiten der Gesellschaft – immerhin 16m² groß – bei Maskentragung und Lüftung als Versammlungsort nicht ausgeschlossen gewesen wären, selbst wenn – so der Beklagtenvortrag – sieben (und nicht nur drei) Personen erwartet wurden. Berufliche Tätigkeit war auch in Bayern erlaubt, wie die Befreiung von den Ausgangsbeschränkungen und die Öffnungsmöglichkeit für nicht touristisch veranlasste Übernachtungsmöglichkeiten zeigt (§ 2 Abs. 3 S. 2, § 4 Abs. 3 Nr. 1 der 1. BayIfSMV bzw. § 2 Abs. 3 S. 2 und § 5 Abs. 3 Nr. 1 der 2. BayIfSMV). Das landesweite Versammlungs- und Veranstaltungsverbot ist nach Auffassung des Senats angesichts des äußerst beschränkten, individuell bestimmten Personenkreises der Gesellschafterversammlung, der somit nicht echter Versammlungs-, sondern bloßer Besprechungscharakter zukam, schon nicht einschlägig, stand jedenfalls unter dem Vorbehalt einer Genehmigung durch die Kreisverwaltungsbehörden (§ 1 Abs. 1 S. 1 und 3 der 1. und 2. BayIfSMV).

1.4. Die Versammlung durfte auch nicht deshalb in Frankfurt stattfinden, weil sich der Kläger anlässlich der Versammlung im Sommer 2019 auf den Versammlungsort F. eingelassen hatte. Daraus folgt nicht, dass er sich auch zukünftig auf diesen Versammlungsort einlassen muss. Dies gilt umso mehr, als die damalige Versammlung zwar schon von Spannungen geprägt war (auch dort stand die Abberufung als Geschäftsführer auf der Tagesordnung); der Versammlungsverlauf – insb. die Zurückstellung streitträchtiger Beschlussgegenstände – bestätigt jedoch, dass dort noch eine einvernehmliche Lösung angestrebt wurde. Außerdem waren die Rahmenbedingungen nicht vergleichbar, da 2019 keine reiseerschwerende Pandemielage bestand.

1.5. Nichts herleiten kann die Beklagte aus dem Argument, es handele sich um eine Folgeversammlung zur Gesellschafterversammlung vom Sommer 2019. Eine privilegierte Folgeversammlung wäre nur dann gegeben (vgl. § 10 Nr. 3 der Satzung), wenn die frühere Versammlung am Teilnahmequorum gescheitert wäre; sie hätte auch als solche bezeichnet werden müssen. Außerdem bildet der Umstand, dass es sich um eine Folgeversammlung handelt – wie tatsächlich nicht –, keine Rechtfertigung für eine Abweichung vom „geschuldeten“ Versammlungsort.

1.6. Vor diesem Hintergrund ist nicht mehr entscheidungserheblich, ob auch der konkrete Ort, der Sitz der Kanzlei des Vaters der Gesellschafterin P., unzumutbar ist.

Dies erscheint jedoch naheliegend, da von einem endgültigen Zerwürfnis und damit Feindschaft zum Zeitpunkt der Versammlung im April 2020, in der ein Ausschluss des Klägers und seine Inanspruchnahme auf Schadensersatz beschlossen werden sollte, ausgegangen werden muss. Die Beklagte hat die Problematik im Übrigen selbst erkannt und die Anmietung einer neutralen Lokalität in Aussicht gestellt (vgl. ihr Schreiben vom 17.04.2020, S. 2 aE, Anlage A9). Dazu ist es jedoch nicht gekommen. An der Betrachtung ändert nichts, dass die (zur Kontrolle des Klägers eingesetzte, wie sich aus den Beschlüssen im Juli 2019 ergibt) Mitgeschäftsführerin R. – eine Angestellte der Kanzlei des Vaters der Mitgesellschafterin – ihre Geschäftsführertätigkeit von diesen Räumlichkeiten aus ausübt (BGH, Beschluss vom 24.03.2016 – IX 32/15, juris-Rn. 25). Dadurch wird der Ort für den Kläger nicht zumutbar.

1.7. Der Fehler führt vorliegend nicht zur Nichtigkeit entsprechend § 241 Nr. 1 AktG, da der Mangel die Teilnahme nicht in einer Weise erschwert hat, der einer Verhinderung der Teilnahme gleichstehen würde (BGH, aaO, juris-Rn. 21); der Kläger war auf der Versammlung vertreten. Der Beschluss ist jedoch wegen Gesetzes- bzw. Satzungsverstoßes anfechtbar (vgl. BGH, aaO, juris-Rn. 30; BGH, Urteil vom 28.01.1985 – II ZR 79/85, juris-Rn. 9; Schindler in BeckOK GmbHG, § 48 Rn. 16 [Stand: 01.11.2022]). Der Versammlungsort wurde sowohl vor der Versammlung als auch in der Versammlung und in der Klageschrift ausdrücklich gerügt.

Der Anfechtung steht nicht entgegen, dass der fehlerhafte Versammlungsort keine Auswirkung auf das Beschlussergebnis hatte, da auch bei einer Versammlung in München die Gesellschafterin P. so abgestimmt hätte, wie sie es in Frankfurt, dort vertreten durch ihren Vater, tat. Für die Anfechtbarkeit genügt die Relevanz des Fehlers für das Mitwirkungs- oder Partizipationsrecht entsprechend § 243 Abs. 4 AktG (näher begründet in: OLG Düsseldorf, Urteil vom 31.07.2003 – 6 U 27/03, juris-Rn. 19ff.). Für das Teilhaberecht eines Gesellschafters ist der Versammlungsort von grundsätzlicher Bedeutung. Dies manifestiert sich im vorliegenden Fall konkret in dem Umstand, dass der Kläger sowohl an der Gesellschafterversammlung im Juli 2019 als auch – wie aus dem am selben Tag verhandelten Parallelverfahren 7 U 453/22. senatsbekannt ist – an den Gesellschafterversammlungen in München am 26.05.2020 und am 16.06.2020 persönlich teilgenommen hat, während er sich in Frankfurt anwaltlich vertreten ließ. Die Vertretung ist einer persönlichen Teilnahme nicht gleichwertig, wenn eine persönliche Teilnahme gewünscht ist. Überdies stand dem anwaltlichen Vertreter des Klägers wegen eines Anschlusstermins nur ein begrenztes Zeitfenster zur Verfügung, weswegen die Versammlung mit immerhin 14 Tagesordnungspunkten in 35 Minuten abgewickelt wurde (vgl. Anlage A15, woraus sich ein Beginn der Versammlung um 12:00 Uhr und ihr Ende um 12:35 Uhr ergeben).

2. Jedenfalls hinsichtlich der Tagesordnungspunkte 8-14 ist auch die Ladungsfrist nicht eingehalten. Ihre Nichteinhaltung wurde bereits vor der Versammlung im Schreiben vom 16.04.2020 (Anlage A8) und – mittelbar durch Bezugnahme auf erhobene Rügen – im Schreiben vom 24.02.2020 (Anlage A11) gerügt, ferner in der Versammlung (vgl. Protokoll, S. 1, Anlage A15, iVm Anlage 1 zum Protokoll) und auch in der Klageschrift (dort S. 4) geltend gemacht.

Ausweislich der Satzung sind ordentliche Gesellschafterversammlungen durch eingeschriebenen Brief unter Angabe der Tagesordnung mit einer Frist von vier Wochen, gerechnet vom dem Tag nach der Aufgabe zur Post, außerordentliche mit einer Frist von zwei Wochen zu berufen. Aus der Regelung ist zu schließen, dass außerordentliche Versammlungen nur wegen dringlicher Tagesordnungspunkte berufen werden können. In beiden Fällen ist in der Ladung die Tagesordnung anzugeben. Daraus folgt für den Senat, dass Tagesordnungspunkte nicht außerhalb dieses Fristenregimes nachgemeldet werden können. Die Satzung ist insoweit eine zulässige spezielle Regelung gegenüber § 51 Abs. 4 GmbHG. Aus Vorstehendem folgt zwanglos, dass die Ladungsfrist (und auch die Ladungsform durch E-Mail statt durch eingeschriebenen Brief) hinsichtlich der erst am 21.04.2020 nachgemeldeten Tagesordnungspunkten 8-14 nicht eingehalten ist, ohne dass der Kläger mit der Beschlussfassung ohne Beachtung der Förmlichkeiten einverstanden gewesen wäre (§ 10 Nr. 4 der Satzung).

Offen lässt der Senat, ob die Ladungsfrist hinsichtlich der Tagesordnungspunkte 1-7 eingehalten war, insbesondere ob die Tagesordnungspunkte 2 und 5 dringlich waren und ob hinsichtlich der Abberufung als Geschäftsführer aus wichtigem Grund – grundsätzlich ein dringlicher Tagesordnungspunkt – der Beklagten wegen Zuwartens seit der letzten Gesellschafterversammlung am 23.07.2020 ausnahmsweise eine Berufung auf die verkürzte Ladungsfrist versagt ist.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Zulassung der Revision war mangels Zulassungsgründen (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht veranlasst.