Das BAG hat mit Beschluss vom 17.5.2022 – 1 ABR 37/20 (A) – wie folgt entschieden:
(Orientierungssätze)
1. Wird eine „arbeitnehmerlose“ SE ohne vorherige Durchführung eines Verhandlungsverfahrens zur Beteiligung der Arbeitnehmer in das Register eines Mitgliedstaats eingetragen, kann dieses Verfahren nachzuholen sein, wenn die SE nach ihrer Gründung herrschendes Unternehmen von Arbeitnehmer beschäftigenden Tochtergesellschaften in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union geworden ist. Ob eine solche Nachholungspflicht besteht, hängt davon ab, ob das Unionsrecht dies gebietet. Der Senat hat den Gerichtshof der Europäischen Union insoweit um Vorabentscheidung ersucht (Rn. 14 ff., 34 ff.).
2. Das SEBG sieht zwar keine Pflicht zur Nachholung eines bislang unterbliebenen Verhandlungsverfahrens vor. Wäre die nachträgliche Durchführung eines solchen Verfahrens für einen Fall wie den Ausgangsfall jedoch unionsrechtlich geboten, könnten die Regelungen der §§ 4 bis 17 sowie §§ 19 und 20 SEBG analog angewandt werden (Rn. 20 ff.).
3. Sollte das Unionsrecht die Nachholung des Verhandlungsverfahrens zur Arbeitnehmerbeteiligung gebieten, stellt sich die weitere – vom Gerichtshof zu beantwortende – Frage, ob die nachträgliche Durchführung jederzeit möglich und geboten ist, oder ob sie einer zeitlichen Begrenzung unterliegt (Rn. 39).
4. Nach § 3 Abs. 1 SEBG gelten die Vorschriften dieses Gesetzes sowohl für eine SE, die mit Sitz in Deutschland gegründet wird, als auch für eine SE, die ihren Sitz zunächst in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union hatte und diesen später nach Deutschland verlegt (Rn. 16 ff.). Der Senat hat den Gerichtshof der Europäischen Union um Beantwortung der Frage ersucht, ob Art. 6 der Richtlinie 2001/86/EG der Anwendung des im Sitzstaat geltenden Rechts für den Fall entgegensteht, dass die „arbeitnehmerlose SE“ in einem anderen Mitgliedstaat ohne vorherige Durchführung eines solchen Verfahrens in das Register eingetragen und noch vor der Verlegung ihres Sitzes nach Deutschland herrschendes Unternehmen von Arbeitnehmer beschäftigenden Tochtergesellschaften in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union wurde (Rn. 40).
5. Für den Fall, dass das Verhandlungsverfahren nach Auffassung des Gerichtshofs nach dem Recht des Staats nachzuholen sein sollte, in dem die SE ihren Sitz hatte, als sie herrschendes Unternehmen von Arbeitnehmer beschäftigenden Tochtergesellschaften wurde, hat der Senat den Gerichtshof gefragt, ob dies auch dann gilt, wenn dieser Staat nach der Sitzverlegung der SE aus der Europäischen Union ausgetreten ist und sein Recht keine Vorschriften über die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens zur Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE mehr enthält (Rn. 41).