Das BAG hat mit Urteil vom 26.4.2022 – 9 AZR 139/21 – wie folgt entschieden:
1. Voraussetzung eines Arbeitsverhältnisses ist grundsätzlich die arbeitsvertragliche Begründung der Arbeitspflicht. Die lediglich tatsächliche Erbringung von Arbeitsleistungen und Eingliederung in den Betrieb lassen für sich betrachtet nicht auf den konkludenten Abschluss eines Arbeitsvertrags schließen (Rn. 20).
2. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG aF fingiert ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, wenn der Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer gemäß § 9 Nr. 1 AÜG aF unwirksam ist. Das gesetzlich fingierte Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher kompensiert den durch § 9 Nr. 1 AÜG aF eingetretenen Verlust des Arbeitsverhältnisses zum Verleiher (Rn. 38).
3. Der Eintritt der Fiktion des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG aF setzt zwingend voraus, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleiher nach § 9 Nr. 1 AÜG aF unwirksam ist. Dies gilt auch in Fällen mit Auslandsbezug, in denen ein Leiharbeitnehmer von einem Verleiher im Ausland an einen im Inland ansässigen Entleiher überlassen wird (Rn. 34).
4. Die Verletzung der Erlaubnispflicht des § 1 AÜG aF führt nicht zur Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags nach § 9 Nr. 1 AÜG aF, wenn das Leiharbeitsverhältnis dem Recht eines anderen Mitgliedsstaats der Europäischen Union unterliegt. In diesem Fall ist das Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer nicht vom Anwendungsbereich des § 9 Nr. 1 AÜG aF umfasst. Dieser bestimmt sich einheitlich nach dem Statut des Arbeitsvertrags zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleiher. Ein Nebeneinander eines im Inland fingierten Arbeitsverhältnisses und eines im Ausland fortbestehenden Leiharbeitsverhältnisses sieht § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG aF nicht vor (Rn. 34).
5. Bei einer Arbeitnehmerüberlassung aus dem Ausland findet § 9 Nr. 1 AÜG aF auf das im Ausland begründete Vertragsverhältnis nicht unabhängig von dem nach Art. 8 Rom I-VO zu bestimmenden Arbeitsvertragsstatut aufgrund vorrangig zu beachtender allgemeiner oder spezieller Kollisionsnormen Anwendung (Rn. 41).
6. Die vorrangige Anwendung des § 9 Nr. 1 AÜG aF folgt weder aus Art. 23 Rom I-VO iVm. Art. 3 Abs. 1 Buchst. d Richtlinie 96/71/EG aF bzw. der diesen in nationales Recht umsetzenden Bestimmung des § 2 Nr. 4 AentG aF noch aus Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO. Die Unwirksamkeitsanordnung des § 9 Nr. 1 AÜG aF zählt nicht zu den „Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften“ iSv. Art. 3 Abs. 1 Buchst. d Richtlinie 96/71/EG aF und § 2 Nr. 4 AentG aF. Es handelt sich dabei auch nicht um eine Eingriffsnorm iSv. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO (Rn. 42 ff.).
7. Der Begriff der Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG aF ist nicht auf die Überlassung solcher Personen beschränkt, die die Voraussetzungen des Arbeitnehmerbegriffs iSd. nationalen Rechts erfüllen. Die Vorschrift ist unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass sie nicht nur auf Arbeitnehmer Anwendung findet, die mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben, sondern auch auf Personen, die mit einem solchen Unternehmen ein „Beschäftigungsverhältnis“ eingegangen sind, aufgrund dessen sie während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisungen Leistungen erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhalten und aufgrund der zu erbringenden Arbeitsleistung geschützt sind (Rn. 65 ff.).
(Orientierungssätze)