Aufklärung im Eiltempo

Mit dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beim Amtsgericht München endet am 25.6.2020 die Erfolgsgeschichte der Wirecard AG. Wenige Tage zuvor war bekannt geworden, dass für ein angeblich von einem philippinischen Treuhänder verwaltetes Guthaben des Zahlungsdienstleisters in Höhe von 1,9 Mrd. Euro keine Nachweise existieren.

Mit digitalen Bezahldiensten war Wirecard als Start-up aus dem Münchener Umland bis in den DAX 30 aufgestiegen. Heute ist bekannt: Auf dem Weg in die höchste deutsche Börsenliga wurden Anleger, Mitarbeiter und Kontrollinstanzen skrupellos hinters Licht geführt, mit einem Geschäft, das zu großen Teilen nie existierte. Der Insolvenzverwalter geht davon aus, dass das Unternehmen ohne dieses fingierte so genannte Drittpartnergeschäft seit 2016/2017 defizitär war.

Seit dem Zusammenbruch läuft die Verwertung des Konzerns, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Drahtzieher und im Deutschen Bundestag hat der dritte parlamentarische Untersuchungsausschuss der Legislaturperiode mit Hochdruck die politische Aufarbeitung des Milliardenskandals vorangetrieben.

Schon die Zahl der personellen Konsequenzen, die auf die Arbeit des Ausschusses zurückzuführen sind, verdeutlicht: rund acht Monate intensiver Aufklärung haben sich ausgezahlt. Das schärfste Schwert des Parlaments hat seine Wirkung entfaltet, auch dank einer fraktionsübergreifend konstruktiven Zusammenarbeit. In hunderten Stunden Zeugenvernehmungen wurden eklatante Versäumnisse bei der Finanz- und Geldwäscheaufsicht sowie bei Bilanzkontrolle und Abschlussprüfung festgestellt.

Im Zentrum des multiplen Aufsichtsversagen steht die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). In vielen Bereichen blieb die BaFin untätig und stellte sich mit dem fatalen Leerverkaufsverbot und der Anzeige gegen zwei Journalisten der „Financial Times“ im Frühjahr 2019 sogar auf die Seite des Unternehmens Wirecard – aller Hinweise auf schwerwiegende Unregelmäßigkeiten zum Trotz. Dem Markt wurde durch diese Entscheidung, die die BaFin gegen die Bedenken der Bundesbank durchsetzte, suggeriert, dass bei Wirecard alles in Ordnung sei. Investoren und Anleger wähnten sich in der Folge in trügerischer Sicherheit.

Dies geschah mit Wissen des Bundesfinanzministeriums, dessen Rechts- und Fachaufsicht die BaFin unterliegt. Viel zu lange hat das Finanzministerium die Augen vor den bekannten Missständen bei Wirecard verschlossen – bei der Bilanzkontrolle, der Geldwäscheaufsicht, der Finanzaufsicht, bei Mitarbeitergeschäften und beim Leerverkaufsverbot. Die Frage, ob er als Finanzminister persönliche Verantwortung dafür trage, dass der Skandal so spät aufgedeckt wurde, verneinte Olaf Scholz bei seiner Vernehmung. Dass der Minister Fehler nur dort sucht, wo er nicht beteiligt ist, ist ein Schlag in das Gesicht tausender Wirecard-Geschädigter.

Trotz angekündigter Transparenzoffensive machte das Finanzministerium im Untersuchungsausschuss vor allem mit fehlendem Aufklärungswillen von sich reden. Beweismaterialen wurden mit fadenscheinigen Ausreden verspätet vorgelegt, sodass auch Zeugen erneut geladen werden mussten.

Der erschreckende Tiefschlaf des Finanzministeriums offenbarte sich auch bei der Bilanzkontrolle. Obwohl bekannt war, dass der privatrechtlich organisierten Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) die forensischen Werkzeuge und die personelle Ausstattung fehlen, um Bilanzbetrug aufzudecken, verließ sich die BaFin bei der Kontrolle auf die Prüfstelle.

Auch die schwerwiegenden Versäumnisse des langjährigen Wirecard-Abschlussprüfers EY konnte der Ausschuss akribisch aufarbeiten. Unterstützt wurde er dabei auf Vorschlag der Union von einem Team aus Wirtschaftsprüfern, die etwa den Umgang des Abschlussprüfers mit dem betrügerischen Drittpartnergeschäft scharf kritisierten.

Mit der Aufklärungsarbeit im Untersuchungsausschuss wurde auch der Grundstein für die erforderlichen gesetzgeberischen Konsequenzen gelegt. Nach intensiven Beratungen hat der Deutsche Bundestag im Mai das Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) verabschiedet. Der gemeinsame Entwurf von Finanz- und Justizministerium ging stellenweise nicht weit genug und mitunter sogar in die falsche Richtung. Das zweistufige Enforcement hat im Fall Wirecard versagt, dennoch wollte Finanzminister Scholz daran festhalten. Auf Drängen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird das Kompetenzwirrwarr zwischen BaFin und privater Prüfstelle abgeschafft, zu Gunsten einer starken Bilanzkontrolle mit klaren Kompetenzen aus einer Hand.

Ebenso konnte der Gesetzgeber weitere wesentliche Verbesserungen gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf der Ministerien erreichen, u.a. im Bereich der Wirtschaftsprüfung. Unternehmen von öffentlichem Interesse müssen künftig spätestens nach 10 Jahren den Abschlussprüfer wechseln, zusätzlich wird die interne Rotationsfrist der verantwortlichen Prüfer auf fünf Jahre verkürzt.

Ein ausgewogener Kompromiss konnte nach langwierigen Beratungen auch bei der zivilrechtlichen Haftung des Abschlussprüfers gefunden werden. Mit der Anhebung der Haftungshöchstgrenzen werden zusätzliche Anreize für eine gewissenhafte Prüfung geschaffen. Durch eine Staffelung wird der Konzentration auf dem Abschlussprüfermarkt entgegengewirkt und Prüfungsleistungen in den meisten Fällen versicherbar gehalten. Damit haben Geschädigte in Zukunft bessere Chancen, Schäden aus Pflichtverletzungen ersetzt zu bekommen.

Über 100 Befragungen im Untersuchungsausschuss haben eklatante Versäumnisse bei Behörden und den Wirecard-Abschlussprüfern zu Tage gefördert. Es wurde aber auch deutlich: Gesetzesänderungen alleine sind noch kein Garant für eine effektive Aufsicht. Hierfür ist ein Kulturwandel dringend erforderlich – mehr Hinsehen und weniger Wegsehen. Diesen Wandel, der mit dem FISG angestoßen wurde, zu forcieren und die BaFin zu einer schlagkräftigen und selbstbewussten Aufsicht aufzubauen, wird eine zentrale Aufgabe des designierten BaFin-Chefs Mark Branson sein.“

Matthias Hauer ist Mitglied des Deutschen Bundestages, Abgeordneter für Essen, Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im 3. Untersuchungsausschuss (Wirecard).