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Ifo Institut: Eine Halbzeitbilanz – So bewerten Ökonominnen und Ökonomen die Wirtschaftspolitik der Ampel-Koalition

In der Mitte der Legislaturperiode schwächelt die deutsche Wirtschaft. Sie wird nicht nur von externen Faktoren wie dem russischen Angriffskrieg getroffen, sondern steht auch vor großen strukturellen Herausforderungen. Das 44. Ökonomenpanel von ifo und FAZ nimmt dies zum Anlass und widmet sich der allgemeinen Wirtschaftspolitik der Ampel-Koalition sowie spezifischen wirtschaftspolitischen Vorhaben. An der Befragung im Zeitraum vom 19. September bis 26. September 2023 nahmen 205 VWL-Professorinnen und Professoren teil. 

Durchwachsene Halbzeitbilanz der Ampel-Koalition

Die deutschen Ökonominnen und Ökonomen haben unterschiedliche Bewertungen zur Wirtschaftspolitik der Ampel-Koalition abgegeben. Im Durchschnitt geben sie ihr jedoch mit einer Note von 4,0 ein durchwachsenes Zeugnis. Nur 15% der VWL-Professorinnen und Professoren bewerten die bisherige Wirtschaftspolitik der Ampel-Koalition als „Sehr gut“ (2%) oder „Gut“ (13%). Als Gründe für die positive Bewertung geben sie an, dass die Regierung wichtige, zuvor vernachlässigte Reformen angeht und dabei die richtigen Themen priorisiert. Sie weisen auch auf die schwierigen Rahmenbedingungen hin. Im Gegensatz dazu bewerten 24% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Wirtschaftspolitik der Ampel-Koalition mit der Note „Befriedigend“ und 14% geben ihr ein „Ausreichend“. Diese Gruppe äußert sich vielfach positiv über die wirtschaftspolitische Reaktion auf die Energiepreiskrise. Die übrigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen seien jedoch inkonsistent, wenig fokussiert und in der Umsetzung verbesserungswürdig. Gleichzeitig kritisieren sie, dass nicht ausreichend Anreize für Investitionen und Wachstum gesetzt werden. Der Wirtschaftspolitik der Ampel-Koalition stellen 29% der deutschen Ökonominnen und Ökonomen mit der Note „Mangelhaft“ und sogar 14% mit „Ungenügend“ ein sehr schlechtes Zeugnis aus. Die besonders kritische Gruppe bemängelt insbesondere das Fehlen eines Gesamtkonzeptes, das zu Unsicherheit im Markt führe. Sie kritisieren auch die Tendenz zur Überregulierung, Subventionen und Markteingriffe, speziell in der Klimapolitik. Etwa 4% antworten mit „Weiß nicht“.  

Ein Vergleich mit der Bewertung der Ampel-Koalition durch die VWL-Professorinnen und Professoren am Anfang der Legislaturperiode zeigt, dass sie schon damals kritisch gesehen wurde. Während 60% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Koalitionsvertrag positiv bewerteten (vgl. mit 19% neutral und 19% negativ), waren nur 26% der Meinung, dass die Ampel-Koalition die wirtschaftspolitischen Herausforderungen der kommenden Legislaturperiode gut bewältigen würde. Ganze 50% der Teilnehmenden waren schon damals mit Blick auf die wirtschaftspolitischen Kompetenzen der Ampel-Koalition unentschlossen.

Große Mehrheit lehnt Industriestrompreis ab

Die Einführung eines staatlich subventionierten Industrie- oder Brückenstrompreises für energieintensive Unternehmen lehnt eine große Mehrheit von 83% der VWL-Professorinnen und Professoren ab. Sie argumentieren, dass ein solches Instrument das Anreizsystem für Unternehmen mit Blick auf Investitionen und Energieeinsparungen verzerrt. Einen möglichen Industriestrompreis bezeichnen sie zudem als ungerecht und für den Klimaschutz schädlich. Es besteht die Befürchtung, dass eine befristete Subvention leicht zu einer dauerhaften Subvention für Großunternehmen werden könne, was teuer wäre und den strukturellen Wandel behindern würde. Stattdessen wird die Stärkung des Energieangebotes durch den Ausbau von erneuerbaren Energien und der Nutzung von Atomkraft (siehe auch nächste Frage) als Teil der Lösung gesehen. Nur 13% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterstützen den Vorschlag für einen Industriestrompreis. Sie wollen durch einen günstigeren Industriestrompreis eine Abwanderung von Industriebetrieben verhindern und deren internationale Konkurrenzfähigkeit verbessern. Dabei betonen Befürworterinnen und Befürworter, dass die Subvention zeitlich begrenzt sein solle. Etwa 4% antworten mit „Weiß nicht“.

Ökonominnen und Ökonomen sehen Atomausstieg kritisch

Eine Mehrheit von 58% der deutschen Ökonominnen und Ökonomen lehnt den endgültigen Ausstieg aus der Atomkraft in Deutschland ab. Viele der Teilnehmenden argumentieren, dass dadurch eine klimafreundliche und kostengünstige Energiequelle abgestellt wurde. Die in der Folge gesunkene Kapazität zur Stromerzeugung in Deutschland belaste aufgrund der hohen Strompreise die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Die Ökonominnen und Ökonomen weisen zudem darauf hin, dass es sich um einen deutschen Sonderweg handele und nun Atomstrom aus Ländern mit deutlich unsichereren Reaktoren importiert werde. Die Befürworterinnen und Befürworter des endgültigen Ausstiegs aus der Atomkraft (38%) argumentieren mit den hohen Risiken der Technologie, der ungeklärten Frage zur Lagerung von Atommüll und dem mangelnden gesellschaftlichen Konsens für einen Weiterbetrieb. Sie verweisen zudem darauf, dass ein Weiterbetrieb den Ausbau der erneuerbaren Energien verzögert hätte. Etwa 4% antworten mit „Weiß nicht“.

Die Ablehnung des endgültigen Ausstiegs aus der Atomkraft zeichnete sich bereits in der Befragung des Ökonomenpanels aus dem Oktober 2022 angedeutet. Damals unterstützten 81% der teilnehmenden Ökonominnen und Ökonomen einen Weiterbetrieb der verbliebenen Atomkraftwerke über das Jahr 2022 hinaus, um das Strom- und Gasangebot in Deutschland auszuweiten.

Gebäudeenergiegesetz findet wenig Zustimmung

Die im September 2023 nach langen Diskussionen vom Bundestag beschlossene Novelle des Gebäudeenergiegesetzes, auch als „Heizungsgesetz“ bekannt, wird von 60% der Teilnehmerinnen und Teilnehmern abgelehnt. Sie begründen ihre Ablehnung damit, dass das Gesetz zu detailliert und kleinteilig reguliert und teilweise planwirtschaftliche Instrumente enthält. Zudem führt das Gesetz ihrer Meinung nach zu unnötig hohen Kosten für private Haushalte und verunsichert die Bevölkerung. Viele Kritikerinnen und Kritiker sehen im CO2-Preis eine bessere Lenkungsmöglichkeit. Auf der anderen Seite unterstützen 32% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Novelle des Gesetzes. Sie halten es f für notwendig, um die Klimaziele im Gebäudesektor zu erreichen. Sowohl Unterstützer als auch Kritiker bemängeln vereinzelt, dass im Gesetzgebungsprozess die ursprünglichen Vorgaben abgeschwächt wurden. Etwa 8% antworten mit „Weiß nicht“.

Erhöhung des Bürgergelds stößt auf Ablehnung

Die vom Bundeskabinett beschlossene Anhebung des Bürgergelds um 12% im Jahr 2024 lehnt eine Mehrheit von 55% der Ökonominnen und Ökonomen ab. Sie befürchten, dass dies zu einem deutlichen Rückgang der Arbeitsanreize, insbesondere im Niedriglohnsektor, führen wird, und dass der Unterschied im verfügbaren Einkommen zwischen Geringverdienenden und Beziehern von Bürgergeld weiter schrumpft. Demgegenüber unterstützen 33% der Ökonominnen und Ökonomen die Anhebung des Bürgergeldes, da sie es als Inflationsausgleich für die gestiegenen Lebenshaltungskosten betrachten und glauben, dass dies zur Reduzierung sozialer Ungleichheit beiträgt. Etwa 12% antworten mit „Weiß nicht“.

Zustimmung für Erhöhung des Mindestlohns

Deutlich positiver wird die von der Mindestlohnkommission empfohlene Erhöhung des Mindestlohns von derzeit 12 Euro auf 12,41 Euro im Jahr 2024 bewertet. Diese Anhebung befürworten 64% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Diese Anhebung wird positiv bewertet, da sie als moderate Steigerung angesehen wird, die jedoch notwendig ist, um den Inflationsausgleich zu gewährleisten. Zudem wird hervorgehoben, dass das reguläre Verfahren wieder aufgenommen wurde und die Mindestlohnkommission gestärkt wurde. Demgegenüber lehnen 29% der Ökonominnen und Ökonomen die Anhebung des Mindestlohns auf 12,41 Euro im Jahr 2024 ab. Bei den Begründungen gibt es zwei Lager. Die einen unterstützen die Anhebung nicht, weil sie aus ihrer Sicht zu niedrig ist. Das andere Lager lehnt den Mindestlohn grundsätzlich oder zumindest die vorherige Erhöhung auf 12 Euro ab. Etwa 7% antworten mit „Weiß nicht“.

Profession mit Blick auf Senkung der Einkommensgrenze beim Elterngeld gespalten

Nach den Plänen der Bundesregierung sollen Alleinerziehende und Paare mit einem zu versteuernden Einkommen (im Jahr vor der Geburt) von mehr als 150.000 Euro ab dem Jahr 2024 kein Elterngeld mehr erhalten. Diese Regelung spaltet die Profession der Volkswirte:46% unterstützen das Vorhaben und 42% lehnen es ab. Die Befürworterinnen und Befürworter der Absenkung argumentieren, dass Sozialleistungen auf einkommensschwache Familien fokussiert sein sollten und dass Bezieher von zu versteuerndem Einkommen über 150.000 Euro auch ohne Elterngeld zurechtkommen sollten. Kritikerinnen und Kritiker der geplanten Absenkung argumentieren, dass das Elterngeld nicht als Sozialleistung, sondern als familienpolitisches Instrument angesehen werden müsse und daher eine Gleichbehandlung von allen Familien angemessen wäre. Sie kritisieren, dass durch diese Maßnahme kaum Geld eingespart wird, aber einkommensstarke Frauen diskriminiert werden. Als Folge erwarten sie, dass gut ausgebildete Frauen noch weniger Kinder bekommen könnten. Etwa 12% antworten mit „Weiß nicht“.

(Ökonomenpanel von ifo und FAZ – 5.10.2023)

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Gespaltene Meinungen zur Legalisierung von Cannabis

Den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Legalisierung von Cannabis unterstützen 34% der Ökonominnen und Ökonomen, während ihn 40% ablehnen. Ganze 26% antworten mit „Weiß nicht“. Die Ablehnung wird primär mit negativen gesundheitlichen Folgen, insbesondere für Kinder und Jugendliche, begründet. Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer kritisieren jedoch auch die mit dem Gesetz verbundene Regulierung und würden eine noch stärkere Liberalisierung bevorzugen. Die Befürworterinnen und Befürworter der geplanten Legalisierung von Cannabis verweisen auf die Entkriminalisierung des bereits weit verbreiteten Konsums und einer möglichen Eindämmung der Schattenwirtschaft. Dies würde zur Entlastung von Polizei und Justiz beitragen.

Große Mehrheit unterstützen Anhebung der Leitzinsen durch EZB

Im September beschloss die Europäische Zentralbank (EZB) trotz der konjunkturellen Schwächephase in Deutschland eine weitere Erhöhung der europäischen Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte auf 4,5 Prozent. Diese Maßnahme erhält die Unterstützung von drei Vierteln der deutschen Ökonominnen und Ökonomen Unterstützung. Als Hauptgrund werden die immer noch deutlich über dem Ziel liegenden Inflationsraten genannt. Zudem sollten die Inflationserwartungen gesenkt und die Glaubwürdigkeit der EZB gestärkt werden. Die Ökonominnen und Ökonomen betonen auch, dass die Hauptaufgabe der EZB darin besteht, Preisstabilität zu gewährleisten, während konjunkturelle Erwägungen nachrangig sind. Im Gegensatz dazu lehnen 15% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Anhebung der Leitzinsen durch die EZB ab. Sie hätten eine Pause der Anhebungen im Sinne einer konjunkturellen Erholung bevorzugt und verweisen auf bereits sinkende Inflationsraten. Etwa 10% antworten mit „Weiß nicht“.

Auch in diesem Aspekt weisen die deutschen Ökonominnen und Ökonomen eine hohe Konstanz zu ihren vorherigen Positionen auf. Trotz der Turbulenzen im Banken- und Finanzsystem im Frühjahr 2023 gaben zwei Drittel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Ökonomenpanel an, dass die EZB an der damaligen Zinspolitik festhalten und die Zinsen weiter erhöhen sollte. Zuvor war der Leitzins für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte auf 3,5 Prozent erhöht worden.

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