Heute schon an morgen denken – angesichts von Klima- und Energiekrise wichtiger denn je. Was also tun bei der Verpflegung von Beschäftigten? Womit starten, wie alle mitnehmen? Anika Pauls, Fachbereichsleiterin Consulting Nachhaltigkeit von Transgourmet, über praxiserprobte Maßnahmen, die wirklich zünden.
Frage: Frau Pauls, ganzheitlich denken und handeln, damit nachkommende Generationen eine Zukunft haben: So lautet eine der griffigsten Definitionen von Nachhaltigkeit. Warum ist das für Verantwortliche in Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung genauso wichtig wie für alle anderen?
Anika Pauls: Ganz einfach: Nachhaltiges Wirtschaften ist essenziell, um weiterhin wettbewerbsfähig zu sein. Es dient also der langfristigen Unternehmenssicherung. Aus ökologischer Sicht ist es längst eine Notwendigkeit geworden. Aber auch, um seine Kosten im Griff zu behalten, sich für Mitarbeiter attraktiv zu machen, Gäste zu binden oder neue zu gewinnen. Vor allem die Generation Z richtet ihre Kauf- und Genussentscheidungen immer stärker an Umwelt- und Klimaschutzaspekten aus. Wer immer nur das Allernötigste anschiebt, hinkt Entwicklungen stets hinterher und verliert womöglich irgendwann den Anschluss. Und die Herausforderung ist, Nachhaltigkeit für sich griffig zu machen. Denn das Ziel „enkeltauglich“ ist richtig, aber alles andere als griffig und sofort umsetzbar für die Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung.
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Frage: Nachhaltigkeit braucht also buchstäblich eine nachhaltige Strategie …
Anika Pauls: Genau. Ein diffuses „Wir müssen da mal was machen“ ist genauso wenig zielführend wie kopfloser Aktionismus.
Frage: Wie machen es Verantwortliche besser?
Anika Pauls: Indem sie sich darüber klarwerden, was genau ihr Ziel ist beziehungsweise der Impact bezwecken soll – und wie sie es erreichen wollen. Und neben dem Ziel geht es dann auch um den Überblick. Erfahrungsgemäß startet die Initialzündung entweder in der Küche, quasi der Basis, die sich Gedanken macht und Maßnahmen in der Praxis umsetzt. Diese gilt es dann zu eruieren, zu bewerten und in der Strategie zu verorten. Oder manchmal wird auch umgekehrt ein Schuh daraus: Der große Apparat, das Unternehmen, in dem ein Betriebsrestaurant angesiedelt ist, hat bereits einen Fahrplan in Sachen Nachhaltigkeit entwickelt. In dem Fall wäre als Erstes zu klären, ob und welche Leitplanken er für die Küche vorgibt und welche Handlungsfelder (Nassmüll, CO2 usw.) für die Küche bestehen.
Frage: Und dann?
Anika Pauls: Sind Ziel, Handlungsfelder und Indikatoren klar, gilt es, den Status quo zu ermitteln. Wo stehen wir heute, mit welchem Know-how und welchen Ressourcen laufen wir eigentlich los? Auch das sollte klar sein: Seine Küche oder den Betrieb nachhaltiger zu gestalten, ist eine komplexe Herausforderung. Trauen Sie sich, alles auf den Prüfstand zu stellen und Dinge sozusagen zu „verent-selbstständigen“! Nicht nur die technische Ausstattung, Stichwort Energieeffizienz, sondern sämtliche Prozesse, von Angebotsgestaltung und Einkauf bis zur Mitarbeiterkommunikation und Gästeansprache.
„Trauen Sie sich, alles auf den Prüfstand zu stellen und Dinge sozusagen zu „verent-selbstständigen“!“
Anika Pauls, Transgourmet
Frage: Das klingt nach viel Arbeit. Von heute auf morgen wird das kaum machbar sein, oder?
Anika Pauls: Das muss es auch gar nicht – Hauptsache, man legt los. Es ist völlig in Ordnung, Schritt für Schritt vorzugehen.
Frage: Um auszuprobieren, ob und wie etwas funktioniert, werden ja gerne Aktionen genutzt. Eignen sich diese Testballons, um tatsächlich die nachhaltige Transformation einzuleiten?
Anika Pauls: Aktionen können meiner Meinung nach nur der Einstieg sein. Bleiben sie ein einmaliges Gastspiel, zum Beispiel durch das Koppeln an Ereignisse wie den Earth Overshoot Day, hat das nichts mit echter Nachhaltigkeit zu tun. Und glaubwürdig wirkt es auch nicht. Das ist, als würde man eine grüne Rakete in den Himmel schießen, die kurz darauf verpufft. Damit Maßnahmen einen nachhaltigen Effekt haben, müssen sie in eine ganzheitliche Strategie eingebettet sein.
Frage: Was sollte auf jeden Fall Teil dieser Strategie sein?
Anika Pauls: Bereits wenige Veränderungen auf dem Teller können viel bewirken. So sind pflanzliche Lebensmittel deutlich klimafreundlicher als tierische Produkte. Das gilt nicht nur für Fleisch und Fisch, sondern auch für Milchprodukte. Aber auch Bio-Lebensmittel stammen aus ressourcenschonender Landwirtschaft und leisten einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion. Genauso essenziell ist in meinen Augen ein gutes Food-Waste-Management. Denn was bringt die vorbildlichste und klimafreundlichste Speisekarte, wenn am Ende dann doch jede Menge Lebensmittel im Müll landen?
Frage: In der Theorie leuchtet das ein – was aber, wenn der unfreiwillige Verzicht auf Schnitzel, Buletten & Co den Gästen so gar nicht schmecken will?
Anika Pauls: Natürlich gehört zum Ermitteln seines Status quo auch, sich ganz genau seine Zielgruppe anzuschauen. Wie anspruchsvoll oder sensibel ist sie, mit welchem Mindset habe ich es als Gastgebender zu tun? Sein Angebot nachhaltiger zu gestalten, bedeutet ja nicht zwangsläufig, tierische Produkte radikal zu streichen. Je skeptischer die Gäste, desto behutsamer sollte man vorgehen. In dem Fall fährt man sicherlich besser damit, den Anteil an pflanzenbasierten Gerichten langsam zu steigern, statt die Nachhaltigkeitskeule zu schwingen und von jetzt auf gleich alles umzustellen.
„Nur ein geringer Anteil CO2-Emissionen geht auf das Konto der Transporte. Den meisten Anteil hat die landwirtschaftliche Erzeugung insbesondere bei tierischen Produkten“
Anika Pauls, Transgourmet
Frage: Oder man führt eine reine Plant-based-Linie ein und spart sich so, den gesamten Rezeptbaukasten auf den Kopf zu stellen?
Anika Pauls: Dann gibt es zwar ein explizites Angebot – doch nicht zwangsläufig eine Nachfrage. Viel nachhaltiger und konsequenter ist es meiner Meinung nach, das Thema in der Breite zu spielen: mehr Pflanzliches und Bio für alle.
Frage: Muss es tatsächlich Bio-Qualität sein oder reicht es auch, Ware aus der Region zu bevorzugen?
Anika Pauls: Ein klassischer Trade-off von bio oder regional. Die Argumentation regionaler Produkte zugunsten der Klimafreundlichkeit ist nicht falsch. Aber wer CO2-Emissionen einsparen möchte, schöpft mit regionalen Produkten nur geringes Potenzial aus. Regionalität hat eine Daseinsberechtigung zum Beispiel, um regionale Produzenten zu unterstützen. Beim Blick auf CO2-Bilanzen von Lebensmitteln wird jedoch deutlich, dass nur ein geringer Anteil CO2-Emissionen auf das Konto der Transporte geht. Den meisten Anteil macht die landwirtschaftliche Erzeugung insbesondere bei tierischen Produkten aus.
Bio ist anders gelagert und greift durch die Richtlinien mehr Facetten der Nachhaltigkeit auf: Tierwohl, Bodenschutz durch den Verzicht auf mineralische Düngemittel, Reglementierungen im Pestizideinsatz. Tendenziell ist Bio also die bessere Wahl – für Mensch, Tier und die Natur. Im Optimalfall kommt die Bio-Ware aus der Region.
Frage: Allerdings treibt ein hoher Bio-Anteil den Wareneinsatz in die Höhe. Wie können Gastro-Profis es sich leisten, klimafreundlicher zu kochen, ohne ihren Gästen deutlich höhere Preise vorsetzen zu müssen?
Anika Pauls: Diese Rechnung kann aufgehen, wenn der steigende Wareneinsatz durch die Bio-Produkte durch Effizienz im Wareneinsatz und mehr vegetarischem Angebot aufgefangen werden. Zweitens ist es eine Aufgabe, die viel Fingerspitzengefühl erfordert, ebenso Mut und Kreativität. Denn auch wenn bewährte Rezepte angepasst werden, mit weniger oder ganz ohne Fleisch auskommen, soll es dem Gast ja schmecken. Keinesfalls zu unterschätzen, und da schließt sich der Kreis wieder, ist eben das systematische Vermeiden von Lebensmittelabfällen. Wer weniger wegwirft, muss natürlich auch weniger einkaufen. Das lässt mehr Spielraum für einen höheren Bio-Anteil.
„Beratung, Schulungen oder Workshops sind wichtig, um die Mitarbeitenden abzuholen. Denn, wer etwas nicht versteht, kann es auch nicht gut verkaufen“
Anika Pauls, Transgourmet
Frage: Unabhängig davon, ob Preisanpassungen nötig werden: Wie macht man seinen Gästen die klimafreundlichen Maßnahmen und die neue Karte verständlich?
Anika Pauls: Ehrlich, authentisch und mit guten Argumenten – damit jede und jeder nachvollziehen kann, wieso man diesen Weg einschlägt. Achten Sie darauf, diese ansprechend zu präsentieren. Der erste Eindruck hallt nach! Außerdem sollte man sich gut überlegen, welche Gerichte man gegeneinander antreten lässt. In der Betriebsgastronomie die neuen gleich gegen All-time-Lieblinge wie Currywurst und Spaghetti Bolo ins Rennen zu schicken, wäre sicherlich kontraproduktiv. Bedenken Sie auch: Mindestens genauso wichtig wie das Storytelling, das sich nach außen richtet, ist die interne Kommunikation.
Frage: Was impliziert das alles?
Anika Pauls: Auch das Team muss begreifen: Warum machen wir das eigentlich? Ist kein oder kaum Vorwissen da, kann es sinnvoll sein, sich Hilfe von außen zu holen, zum Beispiel durch Beratung, Schulungen oder Workshops. Erst kürzlich habe ich während einer Beratungssituation erlebt, wie immens wichtig es ist, die Mitarbeitenden abzuholen und mitzunehmen. Denn wer etwas nicht versteht, kann es auch nicht gut verkaufen – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Die beste Ausgangslage: Wenn es gelingt, möglichst viele Teammitglieder in die nachhaltige Transformation einzubeziehen.
Frage: Mitwirken statt einfach nur mitmachen …
Anika Pauls: Absolut. Damit bekommt Nachhaltigkeit nicht nur Hand und Fuß, sondern ganz viele Gesichter. In der Küche wie hinter dem Tresen.
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Dieser Text erschien zuerst auf gvpraxis.food-service.de.