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BStBK spricht sich dagegen aus, Steuerberater als „Vermittler aggressiver Steuerplanung“ zusätzlich zu regulieren

Stellungnahme 030/2022 – Berlin, 10.10.2022

Stellungnahme der Bundessteuerberaterkammer zur Initiative der Europäischen Kommission „Vorgehen gegen Vermittler („Enabler“), die Steuerhinterziehung und aggressive Steuerplanung begünstigen“ sowie zu einem geplanten Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Bekämpfung der Rolle von Vermittlern, die Steuerhinterziehung und aggressive Steuerplanung in der Europäischen Union erleichtern (Securing the Activity Framework of Enablers – SAFE)
 

Die Bundessteuerberaterkammer vertritt als gesetzliche Spitzenorganisation die Gesamtheit der bundesweit über 100.000 Steuerberater, Steuerbevollmächtigten und steuerberatende Berufsausübungsgesellschaften auf nationaler und internationaler Ebene. Sie koordiniert die Meinungsbildung der Steuerberaterkammern und wirkt auf dieser Basis an der Beratung über Steuergesetze sowie an der Gestaltung des Berufsrechts mit. Richtschnur für die steuerrechtlichen Stellungnahmen der Bundessteuerberaterkammer sind Systemgerechtigkeit und Praktikabilität der Gesetzgebung. Die Bundessteuerberaterkammer fördert außerdem die Ausbildung des Nachwuchses und die berufliche Fortbildung der Steuerberater.
 

Die Bundessteuerberaterkammer ist im Transparenzregister unter 190444812041-08 registriert. 
 

A.    Allgemeine Einschätzung der Initiative
 

Am 7. Juli 2022 forderte die Europäische Kommission die Öffentlichkeit und Interessenträger zur Abgabe von Stellungnahmen zur Initiative „Vorgehen gegen Vermittler („Enabler“), die Steuerhinterziehung und aggressive Steuerplanung begünstigen“ auf und veröffentlichte gleichzeitig eine Konsultation zur Vorbereitung eines für 2023 geplanten Richtlinienvorschlags „zur Bekämpfung der Rolle von Vermittlern, die Steuerhinterziehung und aggressive Steuerplanung in der Europäischen Union erleichtern“.
 

Politisch stützt sich die Kommission auf die Enthüllungen des Internationalen Konsortiums investigativer Journalisten (ICIJ), insbesondere die Panama- und die Pandora-Papers. Diese Enthüllungen, so die Kommission, hätten gezeigt, dass Vermittler („Enabler“) „komplexe Steuerstrukturen“ ausarbeiteten, die zu Steuerhinterziehung und „aggressiver Steuerplanung“ führten. Deswegen sehe sie Bedarf für eine weitere Richtlinie.
 

Die Bundessteuerberaterkammer hält den von der Kommission gewählten Ansatz für problematisch und spricht sich aus den folgenden Gründen gegen die vorliegende Initiative aus.

  • Der Begriff „Enabler“ bzw. „Vermittler“ ist negativ konnotiert. Steuerberater als Organe der Steuerrechtspflege als Vermittler aggressiver Steuerplanung zu bezeichnen, ist rufschädigend. 
  • Die Grenze zwischen legaler und illegaler Handlung wird verwischt, indem die Begriffe „Steuerhinterziehung“ und „aggressive Steuerplanung“ in einem Atemzug genannt werden. Eine Grauzone legaler, aber unerwünschter Steuergestaltung zu schaffen, lässt das Steuerrecht auf moralische Wertungen zurückgreifen und ist rechtsstaatlich nicht haltbar.
  • Die aktuelle Initiative steht im Kontext der bisherigen Maßnahmen auf Unionsebene, mit denen unerwünschte Steuergestaltungen ausgeschlossen werden sollten. Bevor eine weitere Richtlinie geschaffen wird, müssen die bestehenden Maßnahmen – an erster Stelle ist DAC6 zu nennen – evaluiert und zielgerecht ausgestaltet werden.
     

Im deutschen Recht ist ein strenges und durchsetzbares Berufsrecht verankert, das eine essentielle Rolle für die Einhaltung von Tax Compliance spielt. In diesem ist u. a. die Pflichtmitgliedschaft in einer Berufsorganisation mit Sanktionsbefugnissen enthalten. Die Bundessteuerberaterkammer sieht keinen Regelungsbedarf für das vorliegende Kommissionsvorhaben und rät der Kommission und den Mitgliedstaaten dringend dazu, reglementierte Steuerberufe vom Geltungsbereich der Richtlinie auszunehmen.
 

Die vorliegenden Dokumente enthalten viele unklare Rechtsbegriffe („Vermittler“, „Beteiligter“, „aggressive Steuergestaltung“). In einem Richtlinienvorschlag müssten diese eindeutig definiert werden.
 

A.    Zum Begriff „Enabler“ bzw. „Vermittler“ aus Sicht des Berufsstands der Steuerberater
 

Mit der vorliegenden Initiative will die Kommission sog. „Enablern“ verbieten, eine bestimmte Art von Steuergestaltungsmodellen zu entwickeln und in den Verkehr zu bringen. Wer „Enabler“ sein sollen, wird bislang noch nicht definiert oder näher eingegrenzt. 
 

Auch die deutsche Übersetzung „Vermittler“ erscheint nicht treffend. Sofern dabei an Perso-nen gedacht wird, die komplexe Strukturen ausarbeiten, die als „Produkt“ einem breiten Emp-fängerkreis gegen eine Vermittlungsprovision angeboten werden, der diese nur noch umzusetzen braucht, ist dieser Personenkreis jedenfalls kaum im steuerberatenden Beruf zu finden.
 

1.    Die Stellung des Berufsstands der Steuerberater in der Gesellschaft
 

Im deutschen Recht ist ein strenges und durchsetzbares Berufsrecht verankert, das eine es-sentielle Rolle für die Einhaltung von Tax Compliance und die Bekämpfung von Steuervermeidung spielt. Steuerberaterinnen und Steuerberater in Deutschland üben einen unabhängigen und freien Beruf aus – und kein Gewerbe. Das Berufsbild ist in erster Linie geprägt von der unabhängigen Erbringung einer umfassenden Hilfeleistung in Steuersachen.

Gleichzeitig hat der deutsche Gesetzgeber jeder Steuerberaterin und jedem Steuerberater den Status „Organ der Steuerrechtspflege“ verliehen. Dieser Status ist gesetzlich in § 32 Abs. 2 Satz 1 StBerG verankert.
 

Mit diesem Status als Organ der Steuerrechtspflege hat ein Steuerberater Funktionen zur Wahrung des Rechts inne. Das bedeutet, dass er nicht nur den Belangen des Mandanten, sondern auch dem Gemeinwohl verpflichtet ist. 
 

Als Berater und Vertreter der Steuerpflichtigen haben Steuerberaterinnen und Steuerberater die Aufgabe, ihre Mandanten bei der Erfüllung ihrer steuerrechtlichen Pflichten zu unterstützen und die rechtsunkundige Partei vor Fehlentscheidungen zu ihren Lasten und der Gefahr eines Rechtsverlustes zu schützen. Dies beinhaltet auch entsprechende Aufklärungspflichten gegenüber dem Mandanten.
 

Eine Steuerberaterin oder ein Steuerberater muss immer innerhalb der Grenzen des Strafrechts, des Steuerrechts und des Berufsrechts handeln. Diese bieten den notwendigen, aber hinreichenden Rechtsrahmen, der es ihnen verbietet, an illegalen Gestaltungen mitzuwirken oder sich hieran zu beteiligen – andernfalls würden er oder sie sich einer Beihilfehandlung schuldig machen.
 

Durch ihre Beratungs- und Informationsfunktion als Organe der Steuerrechtspflege helfen die Steuerberater der Wirtschaft, ihren fairen Anteil an Steuern zu zahlen und entlasten damit gleichzeitig den Fiskus.
 

Vor diesem Hintergrund verwehrt sich die Bundessteuerberaterkammer als gesetzliche Spit-zenorganisation des Berufsstands in Deutschland dagegen, dass ein ganzer Berufsstand von der Kommission pauschal als „Vermittler“ aggressiver Steuerplanung dargestellt wird. Steuerberaterinnen und Steuerberater sind, jedenfalls in Deutschland, unabhängige Organe der Steuerrechtspflege und keine Vermittler. Diese reduzierende Pauschalierung muss in den weiteren Beratungen hinterfragt und korrigiert werden.
 

2.    Mehr Qualitätskontrolle auch in anderen Mitgliedstaaten
 

Schließlich war es die Kommission selbst, die mit ihrer europaweiten Deregulierungspolitik eine Situation herbeigeführt hat, in der es in manchen EU-Staaten weder Zulassungsbeschränkungen noch eine Qualitätskontrolle gibt und Steuerberatung unreguliert ausgeübt werden kann. 
 

Heute zeigt sich, dass ein strenges Berufsrecht eine hervorragende Grundverankerung für eine ordnungsgemäße Steuerrechtspflege ist. Für die Erreichung des Ziels der Kommission, Steuerhinterziehung wirksam einzudämmen, wäre es also wesentlich wirksamer, auch in anderen Mitgliedstaaten für eine strengere Qualitätskontrolle in der Steuerberatung zu sorgen, anstatt den Steuerpflichtigen und dem steuerberatenden Berufsstand immer mehr Bürokratie aufzubürden.
 

3.    Bereichsausnahme für reglementierte Steuerberufe
 

Insgesamt ist also – jedenfalls für das deutsche Recht – kein Regelungsbedarf für das vorlie-gende Kommissionsvorhaben ersichtlich. Sollte die Kommission dennoch an ihrer Einschätzung festhalten, rät die Bundessteuerberaterkammer der Kommission und den Mitgliedstaaten dringend dazu, reglementierte Steuerberufe vom Geltungsbereich der Richtlinie auszunehmen, sofern für den jeweiligen steuerberatenden Beruf

  • ein hohes Maß an Zugangsqualifikationen,
  • eine kontinuierliche obligatorische Fortbildung,
  • die Pflichtmitgliedschaft in einer Berufsorganisation mit Sanktionsbefugnissen und
  • Garantien für eine unabhängige Berufsausübung vorgesehen sind.


Im Zusammenwirken mit den bereits vorhandenen steuerrechtlichen Anti-Missbrauchsnormen stellt dies einen starken, regelungsintensiven und mit Sanktionen durchsetzbaren Rechtsrahmen dar, der zu einer hohen Qualität an Steuerberatungsdienstleistungen führt und damit einen effektiven Beitrag zur Bekämpfung von Steuervermeidung leistet.
 

4.    Bewertung der drei skizzierten Optionen

Die Bundessteuerberaterkammer hält aus deutscher Sicht keine der drei von der Kommission skizzierten Optionen für sinnvoll. In einem liberalisierten Markt mögen sie die Transparenz ver-bessern. In Deutschland sind Steuerberater und Steuerberaterinnen bei den Steuerberater-kammern registriert und unterliegen hohen Qualitätsanforderungen. In diesem Umfeld würden alle Optionen lediglich zu einem erhöhten Bürokratieaufwand führen. 
 

Die zusätzliche Option, neue Meldepflichten zu schaffen, nach denen Steuerpflichtige in der EU in ihren jährlichen Steuererklärungen jede Beteiligung an einem nicht börsennotierten Un-ternehmen mit Sitz außerhalb der EU, die 25 % der Anteile, der Stimmrechte, der Beteiligungen, der Inhaberaktien oder der Kontrolle in anderer Form überschreitet, angeben müssten, ist aus deutscher Sicht unter Verweis auf § 138 Abs. 2 AO nicht notwendig, da hier eine weiterreichende Regelung enthalten ist.
 

B.    Zum Begriff „aggressive Steuerplanung“ in Abgrenzung zur Steuerhinterziehung
 

Die Initiative der Kommission trägt den Titel „Vorgehen gegen Vermittler („Enabler“), die Steuerhinterziehung und aggressive Steuerplanung begünstigen“. Diese Formulierung – die von der Kommission gleichlautend im gesamten weiteren Text verwendet wird – nennt „Steuerhinterziehung“ und „aggressive Steuerplanung“ in einem Atemzug. Die Bundessteuerberaterkammer appelliert an den EU-Gesetzgeber, diese beiden Begriffe strikt voneinander zu trennen. Die Grenze zwischen legaler und illegaler Handlung darf nicht mit einer bewusst eingerichteten Grauzone versehen werden. Vielmehr sollte die Zielsetzung darin bestehen, mittels eines einfachen und rechtssicheren Steuersystems die Anreize zur Steuergestaltung zu minimieren und unerwünschte Gestaltungen gesetzlich auszuschließen.
 

1.    Steuerhinterziehung
 

Steuerhinterziehung ist eine Straftat und wird strafrechtlich geahndet. Das gilt auch für Taten, die außerhalb von Deutschland begangen werden. Bereits der Versuch der Steuerhinterzie-hung ist strafbar. Was strafbar ist, muss an klar definierten Tatbeständen anknüpfen und sich eindeutig aus dem Gesetzestext ergeben. Zudem ist mit Umsetzung des All-Crime-Ansatzes jede Steuerhinterziehung eine Vortat zur Geldwäsche.
 

2.    Steuergestaltung
 

Steuergestaltung ist grundsätzlich legal und legitim, soweit im Rahmen der gesetzlich zulässigen Möglichkeiten steuerliche Gesichtspunkte in die Gestaltung unternehmerischen Handelns eingebracht werden. Vielfach müssen Entscheidungen getroffen werden, die mit steuerplanerischen Überlegungen einhergehen. Beispielsweise stehen die Unternehmer angesichts der fehlenden Rechtsformneutralität der Besteuerung vor der Wahl der Rechtsform der Unternehmen. Durch im Steuergesetz vorgesehene Wahlrechte und Optionen betreiben die Steuerpflichtigen zwangsläufig Steuergestaltung. Dies ist vom Gesetzgeber beabsichtigt.
 

Steuern sind Kosten. Generalanwalt Maduro hat in den Schlussanträgen der Rs. Halifax bereits 2005 zutreffend formuliert:
 

„Es gibt keine gesetzliche Verpflichtung, ein Geschäft so zu betreiben, dass das Steueraufkommen des Staates möglichst hoch ausfällt. Das Grundprinzip besteht in der Freiheit, sich bei der Führung der Geschäfte für den Weg mit der niedrigsten Besteuerung entscheiden zu können, um die Kosten möglichst gering zu halten. Andererseits besteht diese Wahlfreiheit nur innerhalb des Geltungsbereichs der […] vorgesehenen gesetzlichen Möglichkeiten.“ 
 

Auch das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt entschieden, dass es jedem Steuerpflichtigen freisteht, seine Angelegenheiten so einzurichten, dass er möglichst wenig Steuern zahlen muss. 
 

Neben der rechtlichen Zulässigkeit sind weitere Aspekte für die Steuerpflichtigen relevant. Die Geschäftsführung eines Unternehmens ist gegenüber den Eigentümern rechenschaftspflichtig. Zwar können öffentlich als überzogen angesehene Steuersparmodelle zu Reputationsverlusten bei den Unternehmen führen. Werden Kosten nicht eingespart, kann dies aber gerade in wirt-schaftlich schwierigen Situationen ein Unternehmen gefährden. In solchen Situationen stellt sich die Frage, ob Vorstände und Geschäftsführer sich nicht haftbar machen oder sogar einem strafrechtlichen Vorwurf aussetzen würden, wenn sie vermeidbare Steuern dem Staat zukommen lassen. 


3.    Unerwünschte Steuergestaltung
 

Gesellschaftlich und politisch nicht erwünschte Steuergestaltungen müssen gesetzlich ausgeschlossen werden. Durch § 3 Abs. 1 AO ist im deutschen Recht verankert, dass die Steuer-schuld an die Verwirklichung eines Tatbestands anknüpft. Der Gesetzgeber hat die Aufgabe, diese Tatbestände klar zu definieren und festzulegen. Das Unternehmen hat dann die Steuern zu entrichten, die sich aufgrund der verwirklichten Tatbestände ergeben. Umfassende Anti-Missbrauchsvorschriften existieren im europäischen Rahmen durch Art. 6 ATAD, im deutschen Steuerrecht mit § 42 AO. Diese werden durch diverse Einzelnormen flankiert (s. u.).
 

Steuerzahlungen unter moralischen Gesichtspunkten zu bewerten, greift zu kurz. Es gibt keine objektive Wertung, was „gerecht“ ist. Was als „gerecht“ gilt, kann im Zeitablauf und zwischen Personen oder Staaten variieren und ist als moralische Wertung nicht justiziabel. Die Wertung, welche Gestaltung unerwünscht ist, kann somit nicht beim Steuerberater bzw. dem von der Regelung betroffenen Intermediär liegen, sondern muss durch den Gesetzgeber festgelegt und durch die Judikative entschieden werden. 
 

Mit der vorliegenden Initiative soll durch die Definition der „aggressiven Steuerplanung“ eine Grauzone zwischen illegaler Steuerhinterziehung und legaler Steuergestaltung geschaffen werden, die Vermittler nicht bedienen dürfen. Dies ist grundlegend abzulehnen.
 

Die bisherigen Ansätze, Steuergestaltungen zu definieren, waren nicht zielführend. Auf die Kennzeichen der DAC6 sollte jedenfalls nicht zurückgegriffen werden (s. u. unter „Evaluation der bisherigen Maßnahmen“).
 

Künstliche Strukturen zur Steuervermeidung sind deshalb für Unternehmen und vermögende Privatpersonen attraktiv, weil das Steuerrecht komplex und von Ausnahmen und Gegenaus-nahmen sowie von unbestimmten Rechtsbegriffen geprägt ist. Stetig neue Melde- und Rechenschaftspflichten einzuführen, die den Aufwand sowohl für die Steuerpflichtigen als auch für die Finanzverwaltung drastisch erhöhen, und zunehmend unkoordinierte Missbrauchsbekämpfungsnormen zu schaffen, halten wir nicht für den richtigen Weg. Erfolgversprechender wäre es, die Motivation für die Inanspruchnahme komplexer Steuersparmodelle zu beseitigen oder zu verringern. Dazu muss das bestehende Steuerrecht systematisiert und überarbeitet werden, um für die Steuerpflichtigen besser verständlich und darüber auch einfacher durchsetzbar zu werden.
 

4.    Einordnung der Initiative in den Kontext des geltenden bzw. im Gesetzgebungsver-fahren befindlichen Sekundärrechts
 

Die aktuelle Initiative steht im Kontext der bereits auf Unionsebene bestehenden bzw. aktuell im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Rechtsakte, mit denen unerwünschte Steuergestaltung und -vermeidung bekämpft werden soll. Insbesondere diese Regelungen sind hervorzuheben:

  • Die Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts (ATAD I und II) aus 2016 und 2017 enthält Einzelregelungen zu verschiedenen als problematisch angesehenen Bereichen (Zinsschranke, Wegzugsbesteuerung, Hinzurechnungsbesteuerung, hybride Gestaltungen, Inkongruenzen bei Steueransässigkeit). Darüber hinaus enthält die ATAD in Art. 6 eine allgemeine Missbrauchsklausel (General-Anti-Abuse-Rule, GAAR), die sich gegen alle Gestaltungen richtet, bei denen „der wesentliche Zweck oder einer der wesentlichen Zwecke darin besteht, einen steuerlichen Vorteil zu erlangen, der dem Ziel oder Zweck des geltenden Steuerrechts zuwiderläuft“ und, die „unter Berücksichtigung aller relevanten Fakten und Umstände […] unangemessen[…]“ sind.
  • Die Richtlinie zum verpflichtenden automatischen Informationsaustausch im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen (DAC6) schreibt eine Offenlegungspflicht für „meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen” und die Verwendung von „hallmarks“ vor, um festzustellen, ob eine fragliche Steuergestaltung meldepflichtig ist, ohne eine eigene Definition für „aggressive Steuergestaltung“ bereitzu-stellen.
  • Der im Dezember 2021 vorgelegte – und sich derzeit noch im Gesetzgebungsverfahren befindliche – Richtlinienvorschlag zur Verhinderung der missbräuchlichen Nutzung von Briefkastenfirmen zu Steuerzwecken (UNSHELL) nimmt ausschließlich zu Steuerzwecken gegründete Unternehmen in den Blick, die keine echte wirtschaftliche Substanz aufweisen. 


5.    Evaluation der bisherigen Maßnahmen
 

Mit der vorliegenden Initiative geht die Kommission über die bisherigen Maßnahmen hinaus. Zur Begründung hierfür – und zur Rechtfertigung noch einer weiteren Maßnahme – trägt sie vor, die ATAD und die DAC 6-Richtlinie richteten sich in ihren Rechtsfolgen grundsätzlich an die Steuerpflichtigen, nicht aber an die an entsprechenden Steuergestaltungen beteiligten „Vermittler“. 
 

Daher müsse jetzt die Rolle dieser Vermittler bei der Ermöglichung von Steuergestaltungen angegangen werden. Sie müssten gegebenenfalls an der Einrichtung komplexer Strukturen gehindert werden. Insgesamt zeigen die Ausführungen der Kommission, dass sie die geplante Richtlinie als zusätzliche Reaktion auf die Enthüllungen der Panama- und Pandora-Papers betrachtet.
 

Diese Begründung für zusätzlichen Regelungsbedarf im Rahmen einer weiteren Maßnahme ist zu hinterfragen. Hinsichtlich der Wirksamkeit der bisherigen Richtlinien ergab eine vom FISC-Ausschuss in Auftrag gegebene Studie vom März 2022 , dass weder die ATAD noch die DAC 6 die von der Kommission erwünschten Effekte erzielt haben. 

Die Studie erklärt zur DAC 6, dass

  • aufgrund der vagen Hallmarks nicht klar sei, was genau gemeldet werden müsse,
  • in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedliche Informationen gemeldet und ausgetauscht würden, weil die Mitgliedstaaten teils eigene Definitionen hinzugefügt hätten,
  • die Steuerbehörden mit dem Überfluss an gemeldeten Informationen überfordert seien und
  • aufgrund der vagen Hallmarks auch rechtmäßige Transaktionen von der Offenlegungspflicht betroffen sein können, was in der Studie ausdrücklich kritisiert wird.


Da hierdurch das Funktionieren des Binnenmarktes nicht verbessert würde, stellt die Studie auch die Rechtmäßigkeit der angeführten Rechtsgrundlage in Frage (Art. 115 AEUV).
In Deutschland haben die Meldepflichten bisher nach Aussagen der Finanzverwaltung keine Erkenntnisse über neue Steuersparmodelle ergeben. 
 

Zur ATAD erklärt die Studie, dass

  • es Unsicherheiten bei der Auslegung und der praktischen Anwendung der komplexen Vorschriften der ATAD gebe (anhand von vier ausgewählten Regeln), S. 19 f.,
  • eine höhere Fragmentierung des Binnenmarkts zu erwarten sei, da die Richtlinie zu viele Optionen zur Bekämpfung von Steuervermeidung einräume; auch der Umsetzungsbericht der Kommission von 2020 habe die erheblichen Unterschiede bei der Umsetzung der verschiedenen Optionen aufgezeigt (S. 24),
  • es trotz des erklärten Ziels der ATAD, „die Schaffung weiterer Markthindernisse“ durch Doppelbesteuerung zu vermeiden, zu einer doppelten Einbeziehung wirtschaftlicher Einkünfte in die Steuerbemessungsgrundlage kommen könne (z. B. wenn die Zinsschranke so angewendet werde, dass eine nicht abzugsfähige Zinszahlung in die Steuerbemessungsgrundlage des Unternehmens einbezogen wird (S. 26).


Eine differenziertere Sichtweise seitens der Kommission zur Wirksamkeit von DAC 6 und ATAD wäre also zu begrüßen. Insbesondere die Erfahrungen mit DAC 6 haben die Schwierigkeiten aufgezeigt, „unerwünschte“ Gestaltungen klar zu definieren, was einen hohen Befolgungsaufwand für alle Beteiligten ohne großen Erkenntnisgewinn für die Fisci nach sich zieht. Bevor eine weitere Richtlinie initiiert wird, sollte die Evaluation und Verbesserung der bestehenden Maßnahmen in den Blick genommen werden. 
 

C.    Rechtsgrundlage
 

Als mögliche Rechtsgrundlagen werden in der Aufforderung zur Stellungnahme Art. 50 Abs. 2 Buchst. g AEUV und Art. 115 AEUV genannt. Art. 50 Abs. 2 Buchst. g AEUV erscheint als mögliche Rechtsgrundlage ungeeignet, da dieser für Richtlinien zur „Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit für eine bestimmte Tätigkeit“ gilt. Der EuGH definiert Niederlassungsfreiheit als Freiheit der „tatsächlichen Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat“ „in stabiler und kontinuierlicher Weise“. Das übergeordnete Ziel der vorliegenden Initiative ist jedoch, wie die Kommission selbst erklärt, Steuerhinterziehung und „aggressive Steuerplanung“ zu bekämpfen und somit eindeutig steuerpolitischer Natur. Dass die von der Kommission unter B. genannten Regelungsinhalte („Optionen“) daneben auch die Niederlassungsfreiheit betreffen können, ist zwar nicht gänzlich von der Hand zu weisen, erscheint gegenüber dem primären Ziel aber nebensächlich.
 

Gemäß Art. 115 AEUV erlässt der Rat „Richtlinien für die Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die sich unmittelbar auf die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken“. Die jüngeren steuerrechtlichen Initiativen der EU-Kommission – GloBE, DEBRA, ATAD 3 – werden wie auch schon die ATAD 1 und 2 auf diese allgemein Binnenmarktkompetenz gestützt. Eine intensivere Auseinandersetzung mit der Rechtsgrundlage durch die Kommission wäre wünschenswert, insbesondere hinsichtlich der Notwendigkeit der genannten Rechtsakte für das Funktionieren des Binnenmarktes, die zumindest partiell angezweifelt werden kann. Es entsteht der Eindruck, dass der politische Wille – wenn erforderlich – unabhängig von den rechtlichen Schranken durchgesetzt wird. Insofern fordern wir die EU-Kommission auf, eine intensive Begründung und Auseinandersetzung mit den Rechtsgrundlagen ihrer Initiativen an die Öffentlichkeit zu tragen.
 

D.    Abschließende Wertung
 

Die Bundessteuerberaterkammer lehnt die vorliegende Initiative der EU-Kommission ab. Wenn der Graubereich unerwünschter Steuergestaltung geschlossen werden soll, kann dies nicht geschehen, indem eine weitere Grauzone legaler, aber illegitimer Steuergestaltung geschaffen wird, sondern ausschließlich durch die Änderung des Steuerrechts und, soweit in anderen Staaten nicht vorhanden, ggf. die Einführung eines Berufsrechts für Steuerberater.
 

Die Aufforderung zu einer Stellungnahme zur Folgenabschätzung enthält als Begründung, weswegen gezielte Vorschriften für „Vermittler“ notwendig werden, insbesondere zwei Beispiele: „komplexe Steuerstrukturen – in der Regel mit Briefkastenfirmen“ und „auf der Sanktionsliste aufgeführte russische Einzelpersonen, [die] ‚mithilfe westlicher Vermittler‘ in Steuerparadiesen Vermögen verstecken“. Um die unerwünschte Steuergestaltung mit Briefkastenfirmen auszuschließen, liegt bereits ein Richtlinienvorschlag vor. Inwiefern das zweite Beispiel geeignet ist, die geplanten Maßnahmen zu rechtfertigen erscheint jedenfalls zweifelhaft. Sofern Vollzugsdefizite bestehen, müssen diese beseitigt und nicht umgewälzt werden.