Die Staatsanwaltschaft München I hat mit Anklageschrift vom 31.10.23 Anklage wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung zum Landgericht München I – 6. Wirtschaftsstrafkammer – gegen die Angeschuldigten K. und U. erhoben. Den Angeschuldigten wird gemeinschaftliche Steuerhinterziehung in vier Fällen betreffend die Kapitalertragsteuer in den Jahren 2009 und 2010 mittels sog. Cum/Ex-Aktiengeschäften vorgeworfen.
Die Staatsanwaltschaft geht in ihrer Anklage von folgendem, vor Gericht noch zu beweisenden Sachverhalt aus: Den Angeschuldigten wird zur Last gelegt, im Zeitraum 2009 und 2010 zu Gunsten einer Firmen-Gruppe unter Einbindung von Leerverkäufern durch Cum/Ex-Geschäfte unrechtmäßigerweise mittels zweier Depotbanken die Erstattung von Kapitalertragsteuern (KapESt) erlangt zu haben, ohne dass diese zuvor abgeführt wurden. Hierdurch wurden Kapitalertragsteuern in Höhe von rund 343 Millionen Euro verkürzt und es entstand für den Fiskus ein entsprechender Schaden. Um diese Steuererstattung zu erlangen, handelte die Firmengruppe über 900 Millionen Stück Aktien großer deutscher Aktienunternehmen wie der Allianz, BMW, VW usw. mit einem Gesamtumsatzvolumen von mehreren Milliarden Euro. Das hierfür benötigte Kapital stellten zu einem geringen Teil Investoren zur Verfügung, zu einem maßgeblichen Teil Banken in Form von Fremdkapital.
Die Angeschuldigten K. und U. sind Geschäftsführer bzw. Vorstände von Gesellschaften der Firmen-Gruppe mit Sitz in München. Ihnen kam bei den Taten insbesondere die Rolle zu, die für die Erstattung der Kapitalertragsteuern erforderlichen Steuerrechtssubjekte in Form von Investmentaktiengesellschaften mit verschiedenen Teilgesellschaftsvermögen (sog. Zweckvermögen im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 5 Körperschaftsteuergesetz) zu gründen und zu unterhalten. Durch diese wurden die erforderlichen Cum/Ex-Aktiengeschäfte getätigt und die KapESt zu Unrecht mittels zweier verschiedener Depotbanken an die Teilgesellschaftsvermögen ausbezahlt. Die Depotbanken reichten die entsprechenden Anträge bzw. Anmeldungen bei den Finanzbehörden ein und leiteten die an sie erstattete KapESt an die Teilgesellschaftsvermögen weiter. Die Angeschuldigten erhielten für ihren Tatbeitrag einen Anteil an der Tatbeute in Höhe von jeweils ca. 16 Millionen Euro.
Eine auf Steuerstrafrecht spezialisierte Abteilung der Staatsanwaltschaft München I hat zusammen mit der Steuerfahndung München seit 2013 sehr umfangreiche und aufwändige Ermittlungen (rund 229 Bände Ermittlungsakten) durchgeführt. Diese gestalteten sich deshalb schwierig und langwierig, weil der Tatnachweis zunächst anhand der Nachverfolgung der den Cum/Ex-Aktiengeschäften zugrunde liegenden Lieferketten erfolgen musste. Im Rahmen dieser zeitlich und personell aufwendigen Ermittlungen wurden ca. 60 Cum/Ex-gehandelte Aktiengattungen ermittelt, für die ca. 90 verschiedene Transaktionswege genutzt wurden. Erst im Laufe des Ermittlungsverfahrens erklärten sich einzelne Beschuldigte zu Aussagen bereit. Gegen einen Teil der Beschuldigten dauern die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I noch an. Wegen des entstandenen Steuerschadens wurden vermögenssichernde Maßnahmen ergriffen. um die verkürzten Steuern zurückzuerhalten. Nach dem derzeitigen Verfahrensstand wurden KapESt in Höhe von ca. 220 Millionen an den Fiskus zurückerstattet.
Über die Eröffnung des Hauptverfahrens und damit über eine mögliche Terminierung der Hauptverhandlung wird die zuständige 6. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichtes München I entscheiden.
Allgemeine Hinweise zum Steuergeheimnis, zum Zeitraum zwischen dem Datum der Anklageerhebung und der Veröffentlichung der Pressemitteilung und zu Cum/Ex-Leerverkaufsgeschäften:
§ 30 Abs. 1 der Abgabenordnung legt fest, dass Amtsträger das Steuergeheimnis zu wahren haben. Nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 ist eine Offenbarung ausnahmsweise zulässig, wenn ein zwingendes öffentliches Interesse besteht.
Nach den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (Nr. 23 Abs. 2 RiStBV) darf eine Anklageerhebung der Presse erst dann bekannt gegeben werden, wenn die Anklageschrift einem Angeschuldigten bzw. dessen Verteidigung nachweislich zugegangen ist.
Bei Cum/Ex-Leerverkaufsgeschäften werden Aktien von einem sog. Leerverkäufer vor dem Dividendenstichtag mit Dividendenanspruch veräußert und nach diesem Stichtag ohne Dividendenanspruch geliefert. Als Ersatz für die Dividende leistet der Leerverkäufer an den Käufer eine Kompensationszahlung. Wird hierbei auf Seiten des Aktien-verkäufers eine ausländischen Depotbank eingebunden, konnten von 2007 bis 2011 deutsche Finanz-behörden zur Erstattung angeblich einbehaltener KapESt veranlasst werden, obwohl diese zuvor nicht entrichtet wurde.