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FG Düsseldorf: Einkommensteuer – Wirksamkeit der Klageerhebung per Fax

FG Düsseldorf, Urteil vom 17.8.2023 – 14 K 125/23 E

Sachverhalt

Streitig ist die Wirksamkeit der Klageerhebung per Fax.

Die Kläger werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger betreibt ein Lebensmittelgeschäft. Die Eheleute erzielen außerdem Vermietungseinkünfte.

Sie werden seit Anfang 2021 durch ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten, einen Steuerberater, vertreten. Das beklagte Finanzamt (FA) schätzte mangels Abgabe der Einkommensteuererklärung 2019 die Besteuerungsgrundlagen. Der Schätzbescheid vom 01.10.2021 erging ohne Vorbehalt der Nachprüfung.

Gegen ihn legten die Kläger Einspruch ein und reichten die Einkommensteuererklärung nach. Diese wurde von der Kanzlei B. erstellt. Sie erklärten (u.a.) Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 5.406 EUR.

Im Einspruchsverfahren kündigte das FA an, dass es beabsichtige, Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 485.000 EUR anzusetzen, und wies auf die Möglichkeit einer Verböserung hin. Es änderte den Einkommensteuerbescheid 2019 am 04.08.2022 und setzte die Einkommensteuer auf 321.889 EUR herauf. Dabei berücksichtigte es Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 480.906 EUR. Außerdem erkannte es Spenden mangels Bescheinigung nicht an.

Mit Einspruchsentscheidung vom 16.12.2022 setzte das FA die Einkommensteuer auf 144.015 EUR herab und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Es ging nunmehr von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 81.001 EUR aus. Die Rechtsbehelfsbelehrung enthält Hinweise auf §§ 52a und 52d der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Einspruchsentscheidung wurde dem Prozessbevollmächtigten am 20.12.2022 mit Postzustellungsurkunde zugestellt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung (Bl. 11 f. d.A.) Bezug genommen.

Der Prozessbevollmächtigte ist Mitglied der Steuerberaterkammer Düsseldorf. Diese hatte mit E-Mail vom 15.09.2022 ihre Mitglieder, deren E-Mail-Adresse ihr vorlag, darüber informiert, dass es nicht möglich sein werde, die Steuerberaterplattform und das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt) allen Berufsträgern und Berufsausübungsgesellschaften zum 01.01.2023 zur Verfügung zu stellen, vielmehr würden die zur Registrierung erforderlichen Briefe mit dem Registrierungscode in fünf Tranchen und alphabetischer Reihenfolge (der Namen) voraussichtlich innerhalb der ersten drei Monate des Jahres 2023 versandt. Weiter heißt es (auszugsweise):

„… Folglich wird Anfang Januar 2023 lediglich einem Teil der Berufsangehörigen ein beSt betriebsbereit zur Verfügung gestellt werden.

Für Berufsträger, die aktiv in die finanzgerichtliche Kommunikation eingebunden sind, besteht daher die Möglichkeit, sich bereits im Vorfeld der Versendung der Registrierungsbriefe für die Priorisierung, die sog. „Fast Lane“, anzumelden. Dies ist freiwillig. Haben Sie das erfolgreich erledigt, werden Sie bereits Anfang Januar 2023 Ihren für die Registrierung erforderlichen Brief und damit die Möglichkeit, über das beSt Nachrichten zu versenden, erhalten.

Selbstverständlich unterliegen Sie erst ab der Möglichkeit der Erstregistrierung – und damit ab Zustellung des Registrierungsbriefes – der aktiven Nutzungspflicht. In Konsequenz aus der zeitlich gestreckten Registrierung wird dem Berufsstand in Gänze ein sicherer Übermittlungsweg … erst nach Ablauf des I. Quartals 2023 zur Verfügung stehen. Daraus folgt, dass im I. Quartal 2023 nur die Berufsangehörigen der aktiven Nutzungspflicht unterliegen, welchen bereits ein betriebsbereites beSt bereitgestellt wurde.“

Auf ihrer Homepage informierte die Steuerberaterkammer Düsseldorf ab dem 05.12.2022 darüber, dass die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) mitgeteilt habe, dass die Fast Lane für den gesamten Zeitraum des Registrierungsprozesses – dem ersten Quartal 2023 – offengehalten werde und dazu ein formloser Antrag per E-Mail genüge.

Mit E-Mail vom 21.12.2022 informierte der Präsident der Steuerberaterkammer Düsseldorf u.a. über eine Besprechung mit dem Präsidenten des Finanzgerichts Düsseldorf zur Frage des Beginns der aktiven Nutzungspflicht des beSt. Die Steuerberaterkammer hatte in der Besprechung die Auffassung vertreten, dass von einer „Inhaberschaft“ des beSt erst gesprochen werden und die aktive und passive Nutzungspflicht erst beginnen könne, wenn das Mitglied den Registrierungsbrief erhalten und das beSt in Betrieb genommen habe. Der Gerichtspräsident habe erklärt, dass es keine Zusagen für eine „großzügige Behandlung von formunwirksamen Klagen während einer Übergangszeit“ geben könne und dass jeder Senat in eigener Verantwortung entscheiden müsse, wie er ab dem 01.01.2023 mit nicht über das beSt eingereichten Klagen von Steuerberatern umgehe. Weiter heißt es in der E-Mail:

„Meine Empfehlung an Sie lautet daher: Nutzen Sie das beSt von Anfang an konsequent für den elektronischen Rechtsverkehr mit den Gerichten und reichen Sie ab dem 01.01.2023 möglichst keine Klagen mehr per Fax oder Post ein. … Um zu vermeiden, dass die Klage in diesen Fällen als formunwirksam behandelt wird, sollten Sie frühzeitig rechtssichere Alternativen ins Auge fassen, z.B. Hinzuziehung einer Kollegin/ eines Kollegen mit beSt oder beA oder Klageerhebung unmittelbar durch den Mandanten.“

Weiterhin verwies die Steuerberaterkammer auf ein Hinweisschreiben der Finanzgerichte, das der E-Mail beigefügt war. Darin heißt es (auszugsweise):

„Ab dem 01.01.2023 sind Steuerberater … zur aktiven und passiven Nutzung ihres beSt verpflichtet (vgl. § 52d der Finanzgerichtsordnung – FGO – i. V. m. § 86d und § 157e des Steuerberatungsgesetzes).“

Die BStBK beendete den Testbetrieb bzw. die Pilotphase des beSt am 31.12.2022 und versandte die Registrierungsbriefe an die über 100.000 Berufsträger im Laufe des ersten Quartals 2023 in Tranchen in alphabetischer Reihenfolge. Sie vertrat die Auffassung, dass im ersten Quartal 2023 nur die Berufsangehörigen der aktiven Nutzungspflicht unterlägen, denen bereits ein betriebsbereites beSt bereitgestellt wurde. In ihren FAQ informierte sie u.a. darüber, dass im Falle einer Anmeldung für das Fast-Lane-Verfahren ab dem 02.01.2023 der Registrierungsbrief am übernächsten Werktag in den Briefversand aufgenommen werde. Der Prozessbevollmächtigte erhielt seinen Registrierungsbrief am 16.03.2023.

Er erhob am Freitag, dem 20.01.2023, per Fax Klage vor dem Finanzgericht und legte eine auf den 19.01.2023 datierte Prozessvollmacht der Kläger vor. Die Kläger halten die Klage für zulässig, weil ihr Prozessbevollmächtigter bei Klageerhebung noch keinen Brief mit einer Aufforderung zur Registrierung für das beSt erhalten habe. Er sei daher aus technischen Gründen gezwungen gewesen, die Klage per Fax einzureichen.

In der Sache machen die Kläger geltend, es seien weitere Spenden sowie bei der Ermittlung der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften höhere nachträgliche Herstellungskosten zu berücksichtigen.

Die Kläger beantragen,

im Wege des Zwischenurteils festzustellen, dass die Klage in zulässiger Weise per Telefax erhoben wurde.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das FA ist der Auffassung, die Klage sei in Anwendung der Grundsätze des BFH-Beschlusses vom 28.04.2023 (XI B 101/22) unzulässig.

Richter N. hat dem Prozessbevollmächtigten als Vertreter des Berichterstatters am 23.01.2023 (Montag) telefonisch mitgeteilt, dass die Übermittlung per Fax nicht den Anforderungen des § 52d FGO entspreche, und unter Hinweis auf § 52d Satz 3 FGO angeregt darzulegen, ob seine Freischaltung für das beSt noch nicht erfolgt sei.

In einem am 24.01.2023 per Fax eingegangenen Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte erklärt, dass er noch keinen Brief mit einer Aufforderung zur Registrierung erhalten habe. Dieser Registrierungsbrief solle in der 9. oder 10. Kalenderwoche versandt werden. Er sei daher aus technischen Gründen gezwungen gewesen, die Klage per Fax einzureichen.

Der Berichterstatter hat den Kläger mit Verfügung vom 14.06.2023 auf den Beschluss des XI. Senats des Bundesfinanzhofs vom 28.04.2023 (XI B 101/22) und auf § 56 FGO hingewiesen. Der Hinweis wurde am gleichen Tage per Fax an den Prozessbevollmächtigten übersandt.

Dieser hat mit Schriftsatz vom 19.05.2023 per Fax (Eingang bei Gericht: 21.06.2023) und Brief mitgeteilt, dass der Registrierungsbrief erst in der 9. oder 10. Kalenderwoche habe versandt werden sollen. Die Klageschrift vom 20.01.2023 ist am 26.06.2023 über das beSt des Prozessbevollmächtigten bei Gericht eingegangen.

In seinem Schriftsatz vom 14.08.2023 hat der Prozessbevollmächtigte ergänzend vorgetragen und die Klageschrift vom 20.01.2023 erneut per beSt übermittelt. Bei der Mandatsübernahme habe er vereinbart, dass eine andere Steuerberaterin die Jahresabschlüsse und Steuererklärungen bis einschließlich zum Veranlagungszeitraum 2020 erstellen solle. Nach ihrem Tod habe die Kanzlei B. diese Aufgabe übernommen. Er habe alle Schreiben des FA sowie die Einspruchsentscheidung an diese Kanzlei mit der Bitte um weitere Bearbeitung weitergeleitet, aber keine Rückmeldung erhalten.

Am letzten Tag der Klagefrist habe er seinen Mandanten telefonisch kontaktiert. Dieser habe ihm mitgeteilt, dass auch er keine Rückmeldung von der Kanzlei erhalten habe. Erst auf persönliche Vorsprache des Mandanten hätten die Kollegen mitgeteilt, dass sie keine Klage einreichen könnten, da ihre Kanzlei noch nicht für das beSt registriert gewesen sei. Davon habe er am Freitag, dem 20.01.2023, um 16 Uhr erfahren.

Bis dahin sei er nicht beauftragt gewesen, für den Veranlagungszeitraum 2019 eine Klage einzureichen, und er habe auch kein anderes Mandat gehabt, das eine Korrespondenz mit einem Finanzgericht erfordert hätte. Er sei daraufhin in seine Kanzlei gefahren und habe die Klage per Fax erhoben; es sei ihm aufgrund der kurzen Zeit nicht möglich gewesen, sich im Detail mit dem Fast-Lane-Verfahren zu beschäftigen.

Richter N. habe ihn am 23.01.2023 angerufen. Er habe ihm gegenüber den Sachverhalt vorgetragen und schriftlich am gleichen Tage mitgeteilt, wann sein Registrierungsbrief voraussichtlich eintreffen werde. Er habe danach darauf vertraut, dass die Klage ordnungsgemäß erhoben worden sei, und diese in der Sache begründet. Für ihn sei kein weiterer Handlungsbedarf ersichtlich gewesen. Erst aufgrund des richterlichen Hinweises vom 14.06.2023 habe er erfahren, dass der BFH-Beschluss vom 28.04.2023 (XI B 101/22) von Bedeutung sein könne. Daraufhin habe er sich bemüht, sein beSt technisch zu aktivieren.

Am 16.03.2023 habe er den Registrierungsbrief erhalten. Am 22.03.2023 sei sein erster Versuch, das beSt einzurichten, gescheitert, weil sein Smartphone nicht als Lesegerät tauglich gewesen sei. Diverse Recherchen hätten ergeben, dass er ein bestimmtes Kartenlesegerät benötigte. Am 27.05.2023 habe er ein Kartenlesegerät erworben, das am 30.05.2023 geliefert worden sei. Am 07.06.2023 sei ein zweiter Versuch der Einrichtung des beSt gescheitert, weil er für die Freischaltung seines elektronischen Aufenthaltstitels (als ausländischer Staatsbürger) eine Transport-PIN benötigt habe. Den Brief mit der Transport-PIN habe er nach langem Suchen Anfang August in seinem Privathaushalt gefunden und den beSt-Zugang danach erfolgreich eingerichtet.

Sicherlich habe er 2022 E-Mails und Informationsschreiben der Steuerberaterkammer Düsseldorf betreffend das beSt und das Fast-Lane-Verfahren erhalten. Er habe aber keinen Grund gehabt, sich für das Fast-Lane-Verfahren rechtzeitig anzumelden.

In der mündlichen Verhandlung am 17.08.2023 hat der Kläger auf den Hinweis des Gerichts, dass die Klageschrift bereits am 26.06.2023 über sein beSt erfolgreich übermittelt worden sei, ergänzend vorgetragen: Er habe mehrere Sendungsversuche über das beSt übernommen. Ihm sei dabei nicht klargeworden, dass der Sendungsversuch am 26.06.2023 erfolgreich gewesen sei.

Weiterhin hat er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er etwa eine Woche vor Ablauf der Klagefrist den Verdacht gehabt habe, dass vonseiten der Kanzlei B. nichts passieren würde. Er habe die Frist auch in sein Fristenüberwachungsbuch eingetragen und mit seinen Mandanten bereits am 19.01.2023 gesprochen.

Im Rahmen seiner Versuche, sein beSt in Betrieb zu nehmen, habe er zunächst versucht, sein Smartphone als Kartenlesegerät zu verwenden. Dies habe zwar in der lokalen Umgebung, nicht aber auf den virtuellen Servern der DATEV funktioniert. Danach habe er die umfangreichen Dokumentationen der DATEV studieren müssen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unzulässig.

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1. Die am 20.01.2023 per Fax eingereichte Klageschrift entspricht nicht den Anforderungen des § 52d Satz 2 FGO. Der Prozessbevollmächtigte war gem. § 52d Satz 2 FGO verpflichtet, diese als elektronisches Dokument einzureichen. Gem. § 52d Satz 2 FGO sind nach der FGO vertretungsberechtigte Personen, wie Steuerberater (§ 62 Abs. 2 Satz 1 FGO), für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht, verpflichtet, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln (aktive Nutzungspflicht). Ein entgegen § 52d Satz 2 FGO per Fax eingereichtes Dokument ist formunwirksam und schließt die Wahrung der Klagefrist aus (BFH-Beschluss vom 28.04.2023 XI B 101/22, BStBl. II 2023, 763 m.w.N.).

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Die Voraussetzungen der aktiven Nutzungspflicht sind für Steuerberater seit dem 01.01.2023 erfüllt. Das beSt ist ein sicherer Übertragungsweg im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO. Denn es ist auf gesetzlicher Grundlage eingerichtet worden (§§ 86 Abs. 2 Nr. 11, 86d Abs. 1 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes – StBerG) und entspricht dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach nach §§ 31a und 31b der Bundesrechtsanwaltsordnung.

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Hinsichtlich der Frage, ab wann das beSt einem Steuerberater zur Verfügung stand, besteht in Rechtsprechung und Literatur keine Einigkeit. So vertritt insb. der XI. Senat des Bundesfinanzhofs (Beschluss vom 28.04.2023 XI B 101/22, BStBl. II 2023, 763) die im Ergebnis von dem erkennenden Senat geteilte Auffassung, die aktive Nutzungspflicht bestehe seit dem 01.01.2023 (ebenso Pohl, Stbg 2022, 426; obiter dictum in BFH-Zwischenurteil vom 25.10.2022 IX R 3/22, BStBl. II 2023, 267; 7. Senat des FG Niedersachsen Urteil vom 20.03.2023 7 K 183/22, EFG 2023, 643; 3. Senat des FG Niedersachsen Gerichtsbescheid vom 25.04.2023 3 K 22/23 bei juris; FG Nürnberg Gerichtsbescheid vom 11.07.2023 6 K 177/23 bei juris). Demgegenüber vertritt der 9. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts die denkbar großzügigste Auslegung des Tatbestandsmerkmals, indem er auf den Abschluss des gesamten Rollouts – im März 2023 – abstellt (Zwischengerichtsbescheid vom 14.04.2023 9 K 10/23, EFG 2023, 933). Die BStBK und ihr folgend das Finanzgericht Münster und das Hessische Finanzgericht vertreten die Auffassung, es sei darauf abzustellen, wann der einzelne Steuerberater den Registrierungsbrief erhalten habe (Hessisches FG Beschluss vom 21.03.2023 10 V 67/23, EFG 2023, 649; FG Münster Zwischengerichtsbescheid vom 14.04.2023 7 K 86/23 E, BB 2023, 996; Urteil vom 09.05.2023 15 K 2460/21 E bei juris; ebenso Mehnert/ Kalina-Kerschbaum, DStR 2022, 2573).

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Wollte man der letztgenannten Auffassung folgen, so gäbe es keinen allgemeinen, für alle Steuerberater einheitlichen Zeitpunkt für den Beginn der aktiven Nutzungspflicht, sondern müsste das Gericht in jedem Einzelfall ermitteln, wann das beSt dem Steuerberater zur Verfügung stand. Die Klage wäre nach dieser Auffassung zulässig, weil der Prozessbevollmächtigte seinen Registrierungsbrief erst nach der Klageerhebung erhalten hat.

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§ 52d Satz 2 FGO ist, wie die stark divergierenden Auslegungsergebnisse der einschlägigen Entscheidungen zeigen, auslegungsbedürftig. Sowohl die Auslegung, dass das beSt den Steuerberatern generell am 01.01.2023 zur Verfügung stand, als auch die, dass auf den Zugang des Registrierungsbriefes abzustellen sei, sind vom unklaren Wortlaut des § 52d Satz 2 FGO gedeckt (a.A. wohl nur 7. Senat des FG Niedersachsen Urteil vom 20.03.2023 7 K 183/22, EFG 2023, 647: eindeutiger Wortlaut). Der Senat ist der Auffassung, dass die besseren Argumente dafür sprechen, dass die Nutzungspflicht am 01.01.2023 beginnen sollte, insbesondere die Gesetzessystematik und die Gesetzgebungsmaterialien:

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a) § 52d Satz 2 FGO macht anders als Satz 1 für Rechtsanwälte (etc.) die aktive Nutzungspflicht davon abhängig, dass das elektronische Postfach „zur Verfügung steht“. Da es sich gem. § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO um ein elektronisches Postfach handeln muss, das auf einer gesetzlichen Grundlage errichtet ist, liegt es nahe, zur Konkretisierung des Zeitpunkts, ab dem ein elektronisches Postfach einem bestimmten Berufsstand zur Verfügung steht, ebenfalls auf die entsprechenden gesetzlichen, d.h. berufsrechtlichen Vorschriften über die Einrichtung des elektronischen Postfachs abzustellen. Für Steuerberater sieht § 86 Abs. 2 Nr. 11 StBerG vor, dass es der BStBK obliegt, das beSt einzurichten. Gem. § 86d Abs. 1 Satz 1 StBerG richtet sie für jeden Steuerberater ein beSt empfangsbereit ein. Diese Vorschriften sind gem. § 157e StBerG erstmals nach Ablauf des 31.12.2022, mithin ab dem 01.01.2023, anzuwenden.

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Dementsprechend ging auch der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien zum Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 07.07.2021 (BGBl. I S. 2363), mit dem die entsprechenden Vorschriften eingeführt wurden, davon aus, eine „berufsrechtliche (passive) Nutzungspflicht“ zum 01.01.2023 einzuführen (Bundestags-Drucksache 19/30516, S. 66 zu § 86d Abs. 6 StBerG). Dieses Auslegungsergebnis wird dadurch bestätigt, dass mit Art. 2 des Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 (BGBI. I S. 4607) § 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO n.F., früher § 174 ZPO) mit Wirkung zum 01.01.2023 dahin geändert wurde, dass eine Verpflichtung der Steuerberater zur Eröffnung eines sicheren Übermittlungsweges für die elektronische Zustellung aufgenommen wurde. Dabei ging der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien ebenfalls von einer Einführung des beSt zum 01.01.2023 aus (Bundestags-Drucksache 19/31119, S. 7 zu Art. 2 und S. 3 zu Art. 1 Nr. 5).

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Die Differenzierung zwischen aktiver und passiver Nutzungspflicht in den Gesetzgebungsmaterialien dürfte dabei auf der Überlegung beruhen, dass die aktive Nutzung für Steuerberater freiwillig bleiben sollte, soweit sie nicht aus prozessrechtlichen Gründen – mithin insb. gem. § 52d Satz 2 FGO – zur Nutzung verpflichtet sind (vgl. Mehnert, DStR 2021, 2810). Sofern ein Steuerberater aber mit einem Finanzgericht kommunizierte, war er demgemäß ab dem 01.01.2023 nicht nur zur passiven, sondern auch zur aktiven Nutzung des beSt verpflichtet (ebenso 7. Senat FG Niedersachsen Urteil vom 20.03.2023 7 K 183/22, EFG 2023, 643).

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Dem Gesetz lässt sich demgegenüber nach Auffassung des Senats nicht entnehmen, welche Folgen sich bei einer Verzögerung des Rollouts ergeben würden. § 52d Satz 3 und 4 FGO betreffen nur den Fall einer vorübergehenden technischen Störung. Die Steuerberaterplattform- und –postfachverordnung (StBPPV) sagt zur konkreten Form und zum Ablauf des Rollouts nichts aus. Auch die Gesetzgebungsmaterialien verhalten sich dazu nicht oder allenfalls sehr vage (a.A. FG Münster Zwischengerichtsbescheid vom 14.04.2023 7 K 86/23 E, BB 2023, 996 unter Hinweis auf Bundestags-Drucksache 19/30516, S. 60 letzter Absatz, erster Satz).

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b) Eine verfassungskonforme Auslegung des § 52d Satz 2 FGO dahin, stattdessen auf den Zugang des Registrierungsbriefes abzustellen, ist nach Auffassung des Senats nicht zulässig. Ausgangspunkt der verfassungskonformen Auslegung ist das Gesetz und die von ihm verwandte Begrifflichkeit. Nur dann, wenn eine Norm unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Zweck und Gesetzeszusammenhang mehrere Deutungen zulässt, von denen nur eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, ist eine verfassungskonforme Auslegung geboten und auch erlaubt (vgl. BFH-Urteil vom 24.05.2023 X R 22/20, DStR 2023, 1702 m.w.N.).

51

In Anwendung dieser Grundsätze wäre zwar eine abweichende Auslegung des § 52d Satz 2 FGO im Sinne der Rechtsauffassung der BStBK noch vom Wortlaut gedeckt und daher grundsätzlich möglich. Das Auslegungsergebnis, zu dem der erkennende Senat kommt, führt aber nicht zu einem verfassungswidrigen Ergebnis.

52

Bedenken werden insoweit von verschiedenen Senaten anderer Finanzgerichte v.a. wegen des Grundsatzes des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes – GG; Hessisches FG Beschluss vom 21.03.2023 10 V 67/23, EFG 2023, 649, FG Münster Zwischengerichtsbescheid vom 14.04.2023 7 K 86/23 E, BB 2023, 996) bzw. der Freiheit der Berufsausübung angemeldet (Art. 12 Abs. 1 GG; 9. Senat des FG Niedersachsen Zwischengerichtsbescheid vom 14.04.2023 9 K 10/23, EFG 2023, 933). Der Senat geht demgegenüber nicht davon aus, dass eine Klageerhebung für einen Steuerberater bei einer Auslegung des § 52d Satz 2 FGO in dem Sinne, dass die aktive Nutzungspflicht am 01.01.2023 begann, unmöglich oder unzumutbar wurde bzw. dass dadurch seine Berufsausübungsfreiheit unverhältnismäßig eingeschränkt wurde. Denn insoweit ist zum einen zu berücksichtigen, dass ihm regelmäßig das sog. Fast-Lane-Verfahren zur Verfügung stand. Zum anderen kann außergewöhnlichen Umständen, die eine Klageerhebung per beSt im Einzelfall unmöglich machten, mit der Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begegnet werden.

53

aa) Die Verfahrensgewährleistung nach Art. 19 Abs. 4 GG beschränkt sich nicht auf die theoretische Möglichkeit, die Gerichte gegen Akte der öffentlichen Gewalt anzurufen. Sie gibt dem Bürger darüber hinaus einen substantiellen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle. Art. 19 Abs. 4 GG verbietet dabei nicht die Errichtung jeder Schranke vor dem Zugang zum Gericht. Die dem Gesetzgeber obliegende normative Ausgestaltung des Rechtswegs muss aber das Ziel dieser Gewährleistung – den wirkungsvollen Rechtsschutz – verfolgen; sie muss im Hinblick darauf geeignet und angemessen sowie für den Rechtsuchenden zumutbar sein. Das muss auch das Gericht bei der Auslegung dieser Normen beachten; es darf den Beteiligten den Zugang zum Gericht nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (BVerfG-Beschluss vom 02.12.1987 1 BvR 1291/85, BVerfGE 77, 275; Nichtannahmebeschluss vom 18.04.2007 1 BvR 110/07, BVerfGK 11, 48 m.w.N.).

54

Mit § 52d Satz 2 FGO und den vergleichbaren Vorschriften in anderen Verfahrensordnungen verfolgt der Gesetzgeber ein verfassungsrechtlich anzuerkennendes Ziel, nämlich die Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs, die Schaffung einer rechtssicheren und schnellen Kommunikation mit den Gerichten sowie eine Kostenreduktion bezüglich Porto- und Druckkosten. Es handelt sich dabei grundsätzlich um vernünftige Gemeinwohlgründe (vgl. BVerfG-Nichtannahmebeschluss vom 20.12.2017 1 BvR 2233/17, BayVBl 2018, 387; FG Münster Zwischengerichtsbescheid vom 14.04.2023 7 K 86/23, BB 2023, 996; 9. Senat des FG Niedersachsen Zwischengerichtsbescheid vom 14.04.2023 9 K 10/23, EFG 2023, 933).

55

Die Frage, ob für einen Steuerberater, der noch nicht seinen Registrierungsbrief erhalten hatte, die Klageerhebung nach dem 31.12.2022 trotz § 52d Satz 2 FGO noch möglich und zumutbar war, kann nicht allein mit dem Argument bejaht werden, dass er die Klageschrift elektronisch auch über einen anderen sicheren Übermittlungsweg, insb. per De-Mail (§ 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 FGO), hätte übermitteln können. Allerdings stand dieser sichere Übermittlungsweg Steuerberatern bereits vor der Einrichtung des beSt und unabhängig von dem Rollout des beSt durch die BStBK zur Verfügung. Nach § 173 Abs. 2 Satz 2 ZPO in der Fassung vom 05.10.2021 „sollten“ sie bereits ab dem 01.01.2022 einen sicheren Übermittlungsweg für die elektronische Zustellung eröffnen (vgl. auch § 174 Abs. 3 Satz 4 ZPO in der Fassung vom 10.10.2013).

56

Jedoch knüpft § 52d Satz 2 FGO nur an die Verfügbarkeit des beSt (§ 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO) und nicht eines De-Mail-Kontos an, so dass es konsequent erscheint, bei der verfassungsrechtlichen Betrachtung ebenfalls nur auf die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Nutzung des beSt abzustellen. Andernfalls würde sich im Ergebnis übergangsweise eine Pflicht zur aktiven Nutzung von De-Mail ergeben, die ersichtlich nicht vom Gesetzgeber bezweckt war.

57

Dass es einem Steuerberater ganz allgemein erst mit dem Zugang des Registrierungsbriefs möglich gewesen wäre, das beSt zu nutzen, ließe sich letztlich nur dann sagen, wenn man das Fast-Lane-Verfahren außer Betracht ließe (in diesem Sinne: 9. Senat des FG Niedersachsen Zwischengerichtsbescheid vom 14.04.2023 9 K 10/23, EFG 2023, 933; FG Münster Zwischengerichtsbescheid vom 14.04.2023 7 K 86/23 E, BB 2023, 996; Finster in jurisPK-ERV § 52d Rn. 8.3). Als Grund dafür wird angeführt, dass die BStBK die Verantwortung für die rechtzeitige Einrichtung des beSt nicht auf den einzelnen Steuerberater hätte delegieren dürfen (9. Senat das FG Niedersachsen a.a.O.) bzw. dass keine Rechtsgrundlage für eine besondere Pflicht zur Nutzung des Fast-Lane-Verfahrens bestünde (Finster a.a.O.).

58

Der Senat ist der Auffassung, dass sich eine entsprechende Mitwirkungspflicht aus §§ 86c Abs. 1, 86d Abs. 6 StBerG ergibt. Denn der Steuerberater musste in jedem Fall bei der Registrierung und Freischaltung des beSt mitwirken (so auch 3. Senat des FG Niedersachsen Gerichtsbescheid vom 25.04.2023 3 K 22/23 bei juris). In welcher Weise das Registrierungsverfahren durchzuführen war, ist demgegenüber weder im StBerG noch in der StBPPV im Einzelnen geregelt. Es lässt sich daher nicht sagen, dass die Entscheidung der BStBK, ein „zweigleisiges“ Registrierungsverfahren anzubieten, rechtswidrig gewesen wäre (ähnlich FG Nürnberg Gerichtsbescheid vom 11.07.2023 6 K 177/23 bei juris).

59

Außerdem erscheint es jedenfalls im Regelfall nicht unzumutbar, das Fast-Lane-Verfahren zu durchlaufen. Sinn und Zweck des Verfahrens hatten die BStBK und die Steuerberaterkammer Düsseldorf ihren Mitgliedern hinreichend deutlich und rechtzeitig vor Beginn des Produktivbetriebs erläutert. Da eine einfache E-Mail zur Einleitung des Verfahrens genügte und sich das Verfahren im Übrigen nicht von dem normalen Registrierungsprozess unterschied, erscheint das Fast-Lane-Verfahren verfassungsrechtlich unbedenklich (ebenso 3. Senat des FG Niedersachsen Gerichtsbescheid vom 25.04.2023 3 K 22/23 bei juris).

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Soweit in außergewöhnlichen Fällen das Fast-Lane-Verfahren nicht zum Ziel führen konnte, weil z.B. die Mandatierung zu kurzfristig erfolgte, bietet das Prozessrecht mit der Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) ausreichende Instrumente, um Härten zu vermeiden. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 52d Satz 2 FGO, allein um Härten im Einzelfall zu vermeiden, ist deshalb nicht erforderlich.

61

bb) Aus den genannten Gründen kann eine Pflicht zur Nutzung des Fast-Lane-Verfahrens auch nicht als unverhältnismäßige Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit angesehen werden (a.A. 9. Senat des FG Niedersachsen Zwischengerichtsbescheid vom 14.04.2023 9 K 10/23, EFG 2023, 933).

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2. Die Klageschrift durfte nicht im Wege der Ersatzeinreichung gem. § 52d Satz 3 und 4 FGO als Fax übermittelt werden. Nach dieser Vorschrift bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften, also bspw. per Fax, zulässig, wenn eine Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Gemäß Satz 4 der Vorschrift muss die vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft gemacht werden.

63

Eine vorübergehende technische Störung lag im Streitfall nicht vor, vielmehr hatte sich der Prozessbevollmächtigte im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht für das beSt registriert und konnte es daher noch nicht nutzen. Eine vorübergehende technische Störung liegt beispielsweise bei einem Serverausfall vor. Es spielt nach den Gesetzgebungsmaterialien keine Rolle, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Einreichenden zu suchen ist. Auch ein vorübergehender Ausfall der technischen Einrichtungen des Prozessvertreters soll dem Rechtsuchenden nicht zum Nachteil gereichen (Bundestags-Drucksache 17/12634, S. 27 zu § 130d ZPO).

64

Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung zu § 52d Satz 3 FGO und den vergleichbaren Vorschriften in anderen Verfahrensordnungen (§ 130d ZPO usw.) stellt der Umstand, dass ein elektronischen Postfach noch nicht in Betrieb genommen wurde, einen von einer technischen Störung zu unterscheidenden „strukturellen Mangel“ dar, der nicht von den Vorschriften erfasst wird (vgl. 3. Senat FG Niedersachsen Gerichtsbescheid vom 25.04.2023 3 K 22/23 bei juris mit umfangreichen Nachweisen; FG Nürnberg Beschluss vom 25.04.2023 3 K 22/23 bei juris mit umfangreichen Nachweisen; siehe auch OLG Hamm Beschluss vom 04.04.2022 I-8 U 23/22, 8 U 23/22, NJW-RR 2022, 1360 und Biallaß, NJW 2023, 25). Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat an. Dafür spricht auch, dass im Hinblick auf § 56 FGO eine analoge Anwendung des § 52d Satz 3 FGO auf „strukturelle Mängel“, wie sie im Streitfall vorliegen, nicht geboten erscheint.

65

3. Die Einreichung der Klageschrift per beSt am 26.06.2023 und 14.08.2023 war verfristet (nachfolgend a). Die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor (nachfolgend b).

66

a) Die einmonatige Klagefrist für die Anfechtungsklage (§ 47 Abs. 1 Satz 1 FGO) endete mit Ablauf des 20.01.2023. Die Einspruchsentscheidung enthält eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung im Sinne des § 55 Abs. 1 FGO. Nach dieser Vorschrift beginnt die Frist für einen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Behörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Unbeschadet der Frage, ob es eines Hinweises auf § 52d FGO bedurft hätte (dazu FG München Urteil vom 25.01.2023 4 K 347/22, EFG 2023, 639), enthält die Rechtsbehelfsbelehrung im Streitfall einen solchen. Der Hinweis auf die gesetzlichen Vorschriften genügt als Information über die zu beachtenden Formvorschriften (FG Düsseldorf Urteil vom 23.11.2022 7 K 504/22 K, EFG 2023, 344).

67

b) Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) sind nicht erfüllt. Zwar waren die Kläger ohne Verschulden verhindert, die Klageschrift als elektronisches Dokument zu übermitteln. Sie haben die Wiedereinsetzungsgründe jedoch nicht innerhalb der Antragsfrist dargelegt.

68

Gem. § 56 Abs. 1 FGO ist Wiedereinsetzung auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Der Antrag ist gem. § 56 Abs. 2 FGO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

69

aa) Die Kläger waren ohne Verschulden verhindert, die Klageschrift als elektronisches Dokument zu übermitteln. Auch ein ihnen zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten liegt nicht vor (vgl. § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).

70

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung begründet bei berufsmäßigen Vertretern – wie einem Steuerberater – die mangelnde Kenntnis über verfahrensrechtliche Fristen grundsätzlich einen Verschuldensvorwurf; dabei genügt schon einfache Fahrlässigkeit (zu § 110 AO: BFH-Urteil vom 28.07.2015 VIII R 50/14, BStBl. II 2015, 894 m.N.). Bei berufsmäßigen Vertretern kommt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur ausnahmsweise in Betracht, z.B. wenn die Rechtslage in hohem Maße unsicher ist, die einzuhaltende Frist versäumt wurde, weil rechtlich vertretbare Überlegungen zu der Fristversäumung geführt haben, und schließlich trotz der Unsicherheit die Zweifel über die bestehende Frist bzw. die Möglichkeiten der Fristwahrung auch durch zumutbare Ausschöpfung bestehender Informationsmöglichkeiten nicht ausgeräumt werden konnten (BFH-Urteil vom 27.08.1998 III R 47/95, BStBl. II 1999, 65).

71

Den Prozessbevollmächtigten traf kein Verschulden daran, dass er die Klageschrift am 20.01.2023 nicht als elektronisches Dokument übermittelt hat, wie es § 52d Satz 2 FGO verlangt. Denn er hat nachvollziehbar vorgetragen, dass er so kurzfristig mit der Klageerhebung beauftragt wurde, dass er auch im Falle der sofortigen Einleitung des Fast-Lane-Verfahrens die Klage nicht hätte fristgemäß per beSt erheben können. Sein diesbezüglicher Vortrag ist glaubhaft. Aktenkundig ist, dass die Prozessvollmacht vom 19.01.2023 datiert und dass er nicht selbst die Steuererklärung erstellt hatte. Ebenfalls war für den Senat nachprüfbar, dass er zu diesem Zeitpunkt keine anderen Klageverfahren, zumindest vor dem Finanzgericht Düsseldorf, führte.

72

Dem steht nicht entgegen, dass der Prozessbevollmächtigte bereits eine Woche vor Ablauf der Klagefrist befürchtete, dass die mit der Erstellung der Steuererklärung beauftragte Kanzlei nicht rechtzeitig tätig werden würde. Auch unter Berücksichtigung des strengen Beurteilungsmaßstabs des § 56 Abs. 1 FGO kann dies nicht als leicht fahrlässig angesehen werden. Denn schon nach den Erklärungen der BStBK war das Fast-Lane-Verfahren nur für die Steuerberater gedacht, die aktiv mit einem Finanzgericht kommunizieren.

73

bb) Die Kläger haben die Wiedereinsetzungsgründe nicht innerhalb der Antragsfrist dargelegt.

74

(1) Die zweiwöchige Antragsfrist begann spätestens am 15.06.2023. Die Frist beginnt, wenn das Hindernis entfällt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO). Dem Wegfall des Hindernisses steht der Zeitpunkt gleich, ab dem eine fortbestehende Verhinderung nicht mehr unverschuldet ist (vgl. z.B. Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 56 FGO Rn. 17 m.w.N.).

75

Das Hindernis für die Übermittlung der Klageschrift als elektronisches Dokument ist allerdings grundsätzlich bereits wenige Tage nach Ablauf der Klagefrist entfallen. Denn der Prozessbevollmächtigte hätte am 20.01.2023 oder alsbald danach das Fast-Lane-Verfahren einleiten können. Sein Registrierungsbrief wäre dann binnen weniger (Werk-) Tage versandt worden, er hätte sich für das beSt registrieren und die formwirksame Klageerhebung per beSt nachholen können.

76

Selbst wenn man annähme, dass der Prozessbevollmächtigte aufgrund des telefonischen richterlichen Hinweises vom 23.01.2023 und der aufgrund der divergierenden Rechtsprechung der Finanzgerichte hochgradig unsicheren Rechtslage zunächst annehmen durfte, dass die Klage wirksam erhoben war, so wäre das darin liegende Hindernis allerspätestens mit dem Hinweis des Berichterstatters auf den BFH-Beschluss vom 28.04.2023, damit also am 14.06.2023, entfallen. Dem Prozessbevollmächtigten musste spätestens danach klar sein, dass er die Klageschrift nicht per Fax hätte übermitteln dürfen.

77

Nach dem 14.06.2023 kann nicht mehr von einem Hindernis für die formwirksame Klageerhebung, nämlich wegen unverschuldeter technischer Schwierigkeiten bei der Einrichtung des beSt, ausgegangen werden. Dafür spricht zum einem, dass es dem Prozessbevollmächtigten am 26.06.2023 tatsächlich gelungen ist, die Klageschrift über sein beSt zu übermitteln. Dies steht aufgrund des Prüfvermerks in der Gerichtsakte zweifelsfrei fest. Der Senat braucht somit nicht der Frage nachzugehen, warum der Prozessbevollmächtigte den Versand selbst in seiner beSt-Anwendung nicht nachvollziehen konnte.

78

Zum anderen hätte auch nach der Auffassung der BStBK und der Steuerberaterkammer Düsseldorf zur Auslegung des § 52d Satz 2 FGO die aktive Nutzungspflicht mit der Übersendung des Registrierungsbriefes, im Streitfall also am 16.03.2023, begonnen. Es ist zwar nachvollziehbar, dass es auch nach der Übersendung des Registrierungsbriefs u.U. gewisse technische Schwierigkeiten und Verzögerungen bei der Einrichtung des beSt geben kann. Allerdings muss ein Steuerberater gem. § 86d Abs. 6 StBerG die für die Nutzung erforderlichen technischen Einrichtungen vorhalten und sich entsprechend um die Beseitigung technischer Probleme bemühen.

79

Der Prozessbevollmächtigte hat sich nicht mit dem erforderlichen Nachdruck um die Einrichtung des beSt bemüht. Dies ist als leicht fahrlässig anzusehen. Eine Verzögerung von mehr als zwei Monaten kann nicht mehr als unverschuldet angesehen werden. Nach der eigenen Darstellung des Prozessbevollmächtigten hat er zwar bereits am 22.03.2023 einen ersten Versuch unternommen, sein beSt einzureichen, jedoch erst am 27.05.2023 das erforderliche Kartenlesegerät bestellt. Die weitere Darstellung seiner Bemühungen zur Einreichung des beSt ist zudem insofern nicht schlüssig, als die Übersendung der Klageschrift über sein beSt bereits am 26.06.2023 erfolgreich war, während er vorträgt, die für die Übermittlung erforderliche Transport-PIN erst Anfang August aufgefunden zu haben.

80

(2) Die Kläger haben die Wiedereinsetzungsgründe nicht innerhalb der Antragsfrist, sondern erst mit dem Schriftsatz vom 14.08.2023 vorgetragen. Nach ständiger Rechtsprechung sind die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (z.B. BFH-Beschluss vom 15.12.2010 IV R 5/10, BFH/NV 2011, 809 m.w.N.; Stapperfend in Gräber, FGO, 9. A. 2019, § 56 Rn. 110 ff.). Außerdem sind die Tatsachen im Verfahren über den Antrag, d.h. ggf. auch erst nach Ablauf der Antragsfrist, glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO).

81

(a) Mit seinem am 21.06.2023 eingegangenen Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte wie bereits in dem Schriftsatz vom 24.01.2023 ausgeführt, dass er seinen Registrierungsbrief erst nach der Klageerhebung und dem Ablauf der Klagefrist erhalten habe. Dies allein genügt für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht, weil der Prozessbevollmächtigte – ganz besonders in Kenntnis des BFH-Beschlusses vom 28.04.2023, der sich ausdrücklich mit dieser Frage befasst – wissen musste, dass er hätte darlegen müssen, warum er das Fast-Lane-Verfahren nicht nutzen konnte.

82

(b) Die Gründe, warum er das Fast-Lane-Verfahren nicht nutzen konnte, waren nicht aktenkundig oder gerichtsbekannt (vgl. dazu Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 56 FGO Rn. 526). Aktenkundig war, dass die Prozessvollmacht auf den 19.01.2023 datierte und dass die Steuererklärung nicht von ihm erstellt worden war. Daran allein konnte der Senat den für die Wiedereinsetzung maßgeblichen Sachverhalt nicht erkennen, zumal der Prozessbevollmächtigte im Veranlagungs- und Rechtsbehelfsverfahren als Vertreter der Kläger aufgetreten war.

83

Soweit er vorträgt, er habe der Sachverhalt im Zusammenhang mit der Fast Lane bereits im Januar telefonisch dem Vertreter des Berichterstatters vorgetragen, so hat dies keinen Ausdruck in den Akten gefunden und Richter N. kann sich daran auch nicht erinnern. Insb. enthält der unmittelbar im Nachgang zu dem Telefonat übermittelte Schriftsatz vom 24.01.2023 dazu keine Ausführungen.

84

(c) In dem Schriftsatz vom 14.08.2023 ist keine zulässige Ergänzung von unklaren oder unvollständigen Angaben zum Wiedereinsetzungsgrund zu sehen. Nach Ablauf der Antragsfrist können Wiedereinsetzungsgründe nicht mehr nachgeschoben werden. Lediglich unklare oder unvollständige Angaben können erläutert oder ergänzt werden; dies jedoch nur dann, wenn jedenfalls innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist der Kern der Wiedereinsetzungsgründe in sich schlüssig vorgetragen worden ist (z.B. BFH-Beschluss vom 20.06.1996 X R 95/93, BFH/NV 1997, 40; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 56 FGO Rn. 531).

85

Der Kern der Wiedereinsetzungsgründe lag im Streitfall in den Umständen, die das Fast-Lane-Verfahren ausnahmsweise für eine fristwahrende Klageerhebung ungeeignet machten. Dass dieser Umstand entscheidend für die Wiedereinsetzung sein würde, ergab sich unmissverständlich aus dem BFH-Beschluss vom 28.04.2023, auf den das Gericht hingewiesen hatten. Der Prozessbevollmächtigte hat somit die für die Wiedereinsetzung maßgeblichen Gründe erst nach Ablauf der Antragsfrist, mit Schriftsatz vom 14.08.2023, und damit in unzulässiger Weise nachgeschoben.

86

cc) Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in die Begründungsfrist sind nicht erfüllt. Zwar handelt es sich bei der Frist für die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags (Antragsfrist nach § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO) um eine wiedereinsetzungsfähige Frist (Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 56 FGO Rn. 540). Jedoch liegen Gründe, warum der Prozessbevollmächtigte die Wiedereinsetzungsgründe ohne Verschulden nicht fristgerecht vortragen konnte, nicht vor.

87

Der Prozessbevollmächtigte hat nach dem Hinweis des Gerichts auf den BFH-Beschluss vom 28.04.2023 innerhalb der Antragsfrist Stellung genommen und die versäumte Rechtshandlung, die formwirksame Klageerhebung, nachgeholt. Dass er insoweit verkannt hat, dass er sich mit dem Fast-Lane-Verfahren hätte auseinandersetzen müssen, ist nicht zu entschuldigen. Denn dies gab sich, wie bereits ausgeführt, unmissverständlich aus dem BFH-Beschluss vom 28.04.2023.

88

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zugelassen.

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