Der Wohnungsmarkt in Deutschland ist angespannt. Vor allem in Ballungsräumen wird es immer schwerer, eine Mietwohnung zu finden. Ein oft verwendeter Indikator für Wohnungsmangel ist der Anteil der Haushalte, die in überbelegten Wohnungen leben. Statistisch gilt eine Wohnung als überbelegt, wenn die Zahl der Haushaltsmitglieder größer ist als die Zahl der Zimmer.
2013 lag der Anteil der so beengt lebenden Haushalte in urbanen Regionen in Deutschland bei 10,4 %. Seitdem ist er immer mehr angestiegen und erreichte 2023 einen Wert von 16,6 %. Viele beengt lebende Haushalte würden gerne umziehen, finden aber keine passende Wohnung. Neben der Überbelegungsquote gibt es andere Zeichen von Knappheit am Wohnungsmarkt. Viele Menschen brauchen eine Wohnung, weil sie etwa wegen einer neuen Arbeitsstelle in eine andere Stadt ziehen möchten. Es kommt vor, dass die Stelle abgelehnt wird, allein weil die Wohnungssuche zu schwierig ist.
Ökonomische Folgen des Wohnungsmangels
Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist dieser Zustand doppelt schädlich. Wohnen ist ein Gut von grundlegender Bedeutung. Darüber hinaus erfordert eine erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung, dass Menschen dort arbeiten können, wo sie am produktivsten sind. Gerade wenn mit dem Strukturwandel neue Wertschöpfungspotenziale eher in urbanen Regionen entstehen, ist es wichtig, dass dort auch Wohnungen zur Verfügung stehen. Sonst können diese Potenziale nicht genutzt werden.
Prinzipiell sollte man erwarten, dass ein funktionierender Wohnungsmarkt hier reagiert. Wohnungsknappheit und steigende Mieten müssten eigentlich ein Anreiz für Investoren sein, mehr zu bauen oder Eigentums- in Mietwohnungen umzuwandeln.
Doch die Mieten reagieren nur beschränkt auf die veränderten Knappheiten, weil Preisbremsen, Mietendeckel und andere Regulierungen eine Steigerung eng begrenzen – vor allem für bestehende Mietverhältnisse. Dies beeinträchtigt die Funktionsweise des gesamten Wohnungsmarkts. Menschen, die in für sie eigentlich zu großen Wohnungen leben, ziehen nicht um, weil sie eine niedrige Bestandsmiete gegen eine höhere Neuvertragsmiete tauschen würden.
Die Mietdeckelung macht es für Investoren außerdem weniger interessant, neue Wohnungen zu bauen. Zusätzlich wandeln sie Miet- in Eigentumswohnungen um. Eine Untersuchung des ifo Instituts zeigt, dass der Berliner Mietendeckel, der sich später als verfassungswidrig erwies, zu einem massiven Einbruch des Wohnungsangebots geführt hat.
Politische Gegenmaßnahmen
Liegt die Lösung des Problems also in einer Deregulierung der Mieten einschließlich der Bestandsmieten? Kritiker verweisen darauf, dass deutlich steigende Mieten Menschen mit niedrigen Einkommen überfordern würden. Doch dieses Problem ist lösbar. Bedürftigen Haushalten kann die Politik mit gezielten einkommensabhängigen Transfers wie Wohngeld helfen. So lassen sich Funktionsstörungen am Mietmarkt beheben, ohne eine soziale Schieflage zu verursachen.
Es gibt freilich ein zweites – politökonomisches – Problem. Die Bestandsmieter, immerhin rund 58 % der Haushalte in Deutschland, bilden eine einflussreiche Interessengruppe, unabhängig vom Einkommen. Eine Lockerung von Höchstgrenzen für Mieten ginge zu Lasten dieser Gruppe, während Vermieter profitierten. Da die Bestandsmieter ja schon eine Wohnung haben, während die Deregulierung vor allem Menschen helfen würde, die eine Wohnung suchen, haben Erstere erhebliche Anreize, sich gegen eine Deregulierung zu wehren. Daher neigen politische Entscheidungsträger dazu, Mieten zu regulieren, obwohl sie wissen, dass sie damit die Wohnungsknappheit verschärfen.
Was kann die Politik noch tun? Um den Wohnungsbau zu fördern, sind Anreize wie Sonderabschreibungen sinnvoll. Diese sind im Wachstumschancengesetz enthalten, wären aber noch ausbaufähig. Zweitens gilt es, Baustandards zu überprüfen, um die Baukosten zu senken. Drittens sollte ein Bauantrag, den die Verwaltung nicht innerhalb einer Frist bearbeitet, als automatisch genehmigt gelten – und viertens mehr Bauland ausgewiesen werden. Falls keine Bereitschaft besteht, Mietpreisbremsen zu lockern, ließe sich zumindest das Instrumentarium zur Durchsetzung von Mietforderungen verbessern. Investoren im Wohnungsmarkt werden ja auch dadurch abgeschreckt, dass es in Deutschland schwierig ist, Mietansprüche durchzusetzen oder Wohnungen zu räumen, wenn Mieter nicht zahlen.
Sechstens schließlich könnten auch die Vermieter einen Beitrag leisten. Warum nicht Bestandsmietern in sehr großen Wohnungen eine Prämie anbieten, wenn sie umziehen und für junge Familien Platz schaffen? Wenn bei der Neuvermietung eine höhere Miete anfällt, würden alle Seiten profitieren.
Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts
Erschienen unter dem Titel „Die Wohnungskrise ist lösbar!“, WirtschaftsWoche, 7.6.2024.
(Quelle: Stellungnahme Ifo Institut vom 11.6.2024)